Als Jovita Foley ins Zimmer getreten war, beeilte sie sich – sie legte vorher nicht einmal den Hut ab – einen herzlichen Kuß auf die Stirn Lissy Wag’s zu drücken, die dabei sofort bemerkte, daß ihre Gesichtszüge ausnehmend belebt waren und ihre Augen in besonderem Glanze strahlten.
»Was hast Du denn diesen Morgen? fragte sie fast unwillkürlich.
– O, nichts, meine Liebe, nichts! Ich freue mich so sehr, Dich etwas gesünder anzutreffen. Und dann ist so schönes Wetter… eine herrliche Maisonne… Du weißt ja… die schönen Sonnenstrahlen, die man trinkt… die man einathmet. Ach, eine gute Dosis Sonnenschein… ich bin überzeugt, die würde Dich sofort gesund machen. Doch… keine Unvorsichtigkeit… wegen ernster Complicationen!
– Wohin warst Du denn gegangen. meine gute Jovita?
– Wohin ich gegangen war?… Zuerst nach dem Geschäfte Marshall Field’s, um dort über Dich zu berichten. Unser Chef läßt sich hier alle Tage nach Dir erkundigen, und ich wollte ihm dafür unseren Dank abstatten.
– Daran hast Du recht gethan, Jovita. Es war ja schon eine große Freundlichkeit, uns Urlaub zu gewähren… und wenn dieser zu Ende ist…
– Ja, ja, meine Liebe; unsere Plätze werden schon nicht anderweitig besetzt werden.
– Gut. Doch nachher?
– Nachher?…
– Bist Du nicht noch anderswohin gegangen?
– Ich?… Anderswohin?«
Jovita Foley schien mit der Sprache zurückhalten zu wollen, doch das hielt sie nicht lange aus, vorzüglich als Lissy Wag noch einmal das Wort an sie richtete.
»Ist denn heute nicht der elfte Mai? fragte diese.
– Gewiß, der elfte, meine Liebe, antwortete sie eifrig und mit heller Stimme; schon seit zwei Tagen sollten wir eigentlich in einem Hôtel der schönen Stadt Milwaukee wohnen… wenn, wenn wir nicht durch eine Bronchitis hier an die Scholle gebannt wären.
– Ja, da wir aber den elften Mai haben, fuhr Lissy Wag fort, muß heute zum sechstenmale gewürfelt worden sein.
– Ganz richtig.
– Nun… und…?
– Und?… Nein, siehst Du, in meinem Leben hab’ ich noch kein so großes Vergnügen gehabt!… Komm, Schatz, laß Dich umarmen! Ich wollte Dir eigentlich nicht davon erzählen, da Du keine Aufregung erfahren sollst. Nun, sei es… es überwältigt mich einmal!
– So sprich doch, Jovita!
– Stelle Dir nur vor, meine Liebe, er hat auch neun Augen erhalten, aber aus vier und fünf gebildet…
– Welcher er?…
– Nun, der Commodore Urrican…
– O, mir scheint dieser Wurf noch besser zu sein, als…
– Ja wohl, er verweist ihn mit einem Male nach dem dreiundfünfzigsten Felde… also viel weiter als alle übrigen; er ist aber auch herzlich schlecht.«
Jovita Foley überließ sich einem ebenso außergewöhnlichen wie unerklärlichen Jubilieren.
»Und warum ist er schlecht? fragte Lissy Wag.
– Weil der Commodore damit zum Teufel gejagt ist.
– Zum Teufel?…
– Ja freilich, bis zum äußersten Ende von Florida.«
Das war in der That das Ergebniß des heutigen Würfelfalles, und Meister Tornbrock. der gegen Hodge Urrican noch eine etwas gereizte Stimmung bewahrte, verkündete diesen Ausfall mit sichtbarer Befriedigung. Der Commodore freilich mochte ihn wohl mit aufbrausendem Ingrimm vernommen haben, vielleicht hatte er gleichzeitig Turk zurückhalten müssen, seiner Wuth die Zügel schießen zu lassen. Etwas Sicheres wußte Jovita darüber freilich nicht, da sie den Saal des Auditoriums nach der Verkündigung des Meister Tornbrock sofort verlassen hatte.
»Nach dem äußersten Ende von Florida, rief sie immer wieder. nach dem alleräußersten Ende von Florida… über zweitausend Meilen weit von hier!«
Diese Mittheilung erregte übrigens die Kranke beiweitem nicht in dem Grade, wie ihre Freundin es gefürchtet hatte. Ihr gutmüthiger Charakter ließ sie den Commodore sogar aufrichtig bedauern.
»Nun, und so gleichgiltig nimmst Du die Sache auf? rief ihre ungestüme Gefährtin.
– Ach ja… der arme Mann!« murmelte Lissy Wag.
Der Tag verlief nicht schlecht, wenn auch noch von keiner eigentlichen Genesung die Rede sein konnte. Immerhin waren ernste Complicationen, die ein kluger Arzt stets im Auge behält, nicht mehr zu fürchten.
Vom nächsten Tage, dem 12., an, konnte sich Lissy Wag schon aufrichten, um etwas Nahrung zu nehmen. Da es ihr noch nicht erlaubt war, das Bett zu verlassen, obwohl das Fieber ganz verschwunden war, wurden beiden, vorzüglich Jovita Foley, die Stunden recht lang. Jovita setzte sich also wieder ins Krankenzimmer, und hier sollte nun die Unterhaltung – wenn auch nicht in der Form eines Dialogs, so doch in der eines Monologs – nicht wieder versiegen.
Wovon hätte Jovita Foley aber plaudern sollen, wenn nicht von Wisconsin, ihrer Rede nach dem schönsten und merkwürdigsten Staate der Union. Ihr Guide-book vor Augen, fand sie gar kein Ende. Konnte Lissy Wag auch erst am letzten Tage abreisen und sich dort nur wenige Stunden aufhalten, so mußte sie Wisconsin ebenso gut kennen, als wenn sie mehrere Wochen daselbst verweilt hätte.
»Denke Dir nur, meine Liebe, sagte Jovita Foley in bewunderndem Tone, daß es früher nach einem Flusse gleichen Namens Mesconsin hieß und daß es nirgends ein Land giebt, das sich mit ihm vergleichen könnte! Im Norden sieht man noch die Reste jener alten Fichtenwaldungen, die einst sein ganzes Gebiet bedeckten. Daneben besitzt es Thermalquellen, die denen Virginiens überlegen sind, und ich bin überzeugt, wenn Deine Bronchitis…..
– Sehr schön; wir haben uns aber doch wohl nach Milwaukee zu begeben?
– Ganz recht… nach Milwaukee, der bedeutendsten Stadt des Staates, deren Namen in alter Indianersprache soviel wie »Schönes Land« bedeute – einer Stadt von zweimalhunderttausend Einwohnern, darunter viele Deutsche. Man nennt sie wohl auch das deutsch-amerikanische Athen. Ach, wenn wir schon dort wären, welch reizende Spaziergänge gäb’ es da an den hohen Ufern, wo sich längs des Milwaukeeflusses prächtige Häuserreihen erheben, vornehme und saubere Stadttheile… durchweg aus milchweißen Backsteinen erbaut, wonach die Stadt einen besondern Namen bekommen hat… nun… Du erräthst ihn nicht?
– Nein, Jovita.
– Cream City, meine Liebe, die Sahnestadt!… Da könnte man sein Weißbrod hübsch eintauchen! Ach, warum muß diese verwünschte Bronchitis uns hindern, sofort dahin zu gehen!«
Wisconsin hat übrigens noch manche andere Städte, die zu besuchen Beide Zeit gehabt hätten, wenn sie gleich am 9. hätten abreisen können, z. B. Madison, das auf einer Landenge, fast einer Brücke, zwischen dem Mendota und dem Mononasee, die miteinander in Verbindung stehen, erbaut ist; ferner andere Orte mit auffallenden Namen, wie Fond du Lac am Southern Foxflusse, dessen Umgebung von artesischen Brunnen so durchlöchert ist, daß sie einen wahren Schaumlöffel bildet. Dann eine hübsche Ortschaft, Eau Claire, mit einem silberhellen Bergflusse, der ihren Namen rechtfertigt. Endlich den Winnebagosee, die Green Bay, den Ankerplatz der Zwölf Apostel vor der Ashlandbai, und den Teufelssee, eine der natürlichen Schönheiten dieses wunderbaren Wisconsin.
Mit lauter Stimme las Jovita Foley die Seiten aus ihrem Reiseführer ab und berichtete dabei über die verschiedenen Entwickelungsperioden des Landes, das früher einmal der Wohnsitz von Indianerstämmen war, dann von Franco-Canadiern, zur Zeit als es noch Badger State (Dachsland) hieß, sozusagen neu entdeckt und colonisiert wurde.
Am frühen Morgen des 13. war die Neugier der großen Menge in Chicago so gut wie verdoppelt. Die Tageszeitungen hatten die Gemüther bis zum höchsten Grade in Spannung versetzt. Im Saale des Auditoriums wimmelte es von Neugierigen ebenso wie an jenem Tage, wo das Testament William I. Hypperbone’s öffentlich verlesen wurde. Um acht Uhr früh sollte ja zum siebentenmale gewürfelt werden, und zwar für die geheimnißvolle und räthselhafte Persönlichkeit, die man nur unter den Buchstaben X. K. Z. kannte.
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