Man hat Experimente mit hungrigen Schimpansen gemacht, die wählen konnten zwischen Fressen und Beobachten eines Zimmers, das plötzlich sichtbar wurde und in dem sich elektrische Bahnen und andere Apparate bewegten. Die Schimpansen zogen es tatsächlich vor zu beobachten statt zu fressen. Diese alte, affenartige Neugier, das Verlangen zu wissen, was geschieht, ist der Hauptgrund, warum die meisten Wissenschaftler forschen.
Es ist natürlich richtig, daß Wissenschaftler noch andere Gründe haben. Wie alle andere Menschen wollen auch sie für ihre Arbeit bezahlt werden. Sie wollen berühmt werden. Sie wissen auch, daß ihre Entdeckungen das menschliche Elend verringern oder das Leben angenehmer machen können. Sie finden Wege, um der Kinderlähmung vorzubeugen, Farbfernseher zu entwickeln oder um frisches Wasser in trockene Wüstengebiete zu bringen.
Für die meisten Wissenschaftler jedoch – sicherlich für die größten – ist das grundlegende Motiv das Verlangen zu wissen. Genauso wie Bergsteiger sagen, sie müssen einen hohen Berg ersteigen, ›weil er da ist‹, so wollen die Astronomen das Geheimnis des, sagen wir, Großen Roten Flecks des Jupiter einfach deshalb lösen, weil auch er ›da ist‹. Der Rote Fleck, den sie durch ihre Teleskope sehen, ist für sie das gleiche wie für die Affen die elektrische Eisenbahn, die sie durch eine Öffnung in der Wand sehen. Wie die Affen sind die Astronomen erfüllt von Neugier.
Unsere Galaxis, die Milchstraße
Alle Naturwissenschaften besitzen eine Schönheit im Gefüge und in der Klarheit ihrer Gesetze, aber manche sind schöner als andere. Sicherlich ist die Astronomie eine der schönsten. Ihr Gegenstand ist so weit ausgreifend und so erhaben, daß er Ehrfurcht in den Gemütern erregt – mit Ausnahme der dumpfesten. Diese Sammlung von astronomischen Fragen beabsichtigt, Ihre Empfindung für die Wunder eines unbegreiflich kleinen Teils des Universums, des Sonnensystems, zu wecken. Dies ist der Name, den die Astronomen für unsere Sonne mit ihren neun bekannten Planeten und alle anderen Körper (das sind Monde, Planetoiden und Kometen) gebrauchen, die von der starken Anziehungskraft der Sonne festgehalten werden. Unsere Sonne ist, wie Sie vielleicht wissen, Teil einer gigantischen zweiarmigen, spiralförmigen Galaxis, der Milchstraße, die Milliarden anderer Sonnen enthält. Millionen dieser Sonnen können Planeten haben, die um sie kreisen, ähnlich den Planeten, die unsere Sonne umgeben. Millionen dieser Planeten können von irgendeiner Art Leben erfüllt sein. Das Leben auf diesen fremden Welten kann dem Leben auf der Erde ähnlich sein, oder es kann ganz anders sein, so daß wir es uns noch nicht einmal vorstellen können. Unser Milchstraßensystem ist nur eine von Milliarden anderer Galaxien. Vielleicht können wir in einem zweiten Buch einige Fragen über diesen unermeßlichen Weltenraum, der weit außerhalb der Umlaufbahn des Pluto, unseres äußersten Planeten, liegt, untersuchen.
Inzwischen sind hier einige Probleme über unser eigenes Sonnensystem zusammengestellt. Nachdem die Menschheit ihre ersten, zögernden Schritte in den Weltenraum gesetzt hat und wenn die Astronauten Fußspuren auf dem Mars und anderen Planeten hinterlassen werden, wird die Astronomie sicherlich immer mehr die Nachrichten beherrschen. Wir stehen an der Schwelle zu Hunderten aufsehenerregender und unerwarteter neuer Entdeckungen über das Sonnensystem. Niemand kann sich unterrichtet nennen, wenn er nicht zumindest die grundlegenden Tatsachen des riesigen und phantastischen Uhrwerks gigantischer Himmelskörper kennt, die nicht von uns gemacht wurden. Wir sind erstaunt (oder sollten es doch sein), uns selbst auf einem von ihnen wiederzufinden.
Martin Gardner
Die Erde
Unsere Erde, der dritte Planet von der Sonne aus, ist das ›Raumschiff‹, mit dem die ganze Menschheit reist. Während sie auf ihrer jährlichen Bahn um die Sonne kreist, rotiert sie wie ein riesiger Kreisel. Sie benötigt für eine vollständige Umdrehung 23 Stunden, 56 Minuten und 4 Sekunden. Diese Eigendrehung ist die Ursache dafür, daß die Sonne, der Mond und die Sterne scheinbar im Osten aufgehen und langsam über den Himmel wandern, bis sie im Westen wieder untergehen. Die Erdachse – eine gedachte gerade Linie, um die die Erde sich dreht – weicht um rund 23 Grad von der senkrechten Richtung zu der Ebene ab, in der sie sich um die Sonne bewegt. Diese Neigung bewirkt, daß die Menge des Sonnenlichts, die zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Plätzen der Erde auftrifft, sich ändert. Und diese Änderung der Sonneneinstrahlung ist verantwortlich dafür, daß in einigen Breiten die Jahreszeiten entstehen: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Südlich des Äquators herrschen die entgegengesetzten Jahreszeiten. Wenn in Europa Winter ist, hat man in Afrika oder Australien Sommer.
Während die Erde um die Sonne kreist, verändert die Neigung der Erdachse die Menge an Sonnenlicht, die in verschiedenen Breiten auftrifft. Diese Änderung im Sonnenlicht verursacht die vier Jahreszeiten, die hier für die Nordhalbkugel aufgezeichnet sind.
Das Raumschiff Erde umläuft die Sonne in einer leicht elliptischen Bahn mit 29,8 Kilometer in der Sekunde. Ein Umlauf dauert rund 365 1/4 Tage. Wegen dieses Viertels eines Tages müssen wir alle vier Jahre einen 366. Tag einfügen und haben ein ›Schaltjahr‹. Täten wir das nicht, dann würden jedes Jahr die Jahreszeiten später im Kalender eintreffen.
Zusätzlich zu den beiden hauptsächlichen Bewegungen der Erde, der Drehung um ihre Achse und des Umlaufs um die Sonne, wird sie noch von der Sonne mitgeführt, während diese sich mit einer Geschwindigkeit von rund zwanzig Kilometer in der Sekunde durch die Milchstraße bewegt. Das Sternensystem selbst dreht sich auch. Und schließlich gehört die Milchstraße zu einer Gruppe von Galaxien, die sich auch wieder durch das Weltall bewegen. Es gibt also mindestens fünf verschiedene Bewegungsarten, denen die Erde unterliegt. Wir können keine davon ›fühlen‹, genausowenig wie jemand in einem ruhig fliegenden Flugzeug die Bewegung wahrnimmt. Wenn man in einem Flugzeug eine Münze in die Luft wirft, bewegt sich die Luft und die Münze mit dem Flugzeug mit. Die Münze steigt und fällt genauso wieder herab, als wäre das Flugzeug auf dem Boden in Ruhe. Da auch die Erde ihre Lufthülle mit sich führt, während sie sich bewegt, gibt es keinen ›Wind‹, der uns spüren läßt, in welche Richtung sie sich bewegt.
Obwohl Millionen Menschen in der Vergangenheit glaubten, daß die Erde flach sei, waren schon viele Griechen in der Antike von der Kugelgestalt überzeugt. Aristoteles, der große griechische Philosoph und Naturwissenschaftler, behauptete (zu Recht), daß die Erde eine Kugel sei, da bei einer Mondfinsternis der Erdschatten einen kreisförmigen Rand habe. Eratosthenes, ein griechischer Astronom aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. berechnete tatsächlich den Erddurchmesser so genau, daß die Abweichung nur rund hundert Kilometer beträgt!
Blick auf die volle Erde aus 400 000 km Entfernung, aufgenommen von den Astronauten von Apollo 10. Die Westküste von Nordamerika kann eben rechts von der Mitte erkannt werden, der restliche Teil des Kontinents ist unter einer Wolkendecke verborgen.
Die Zentrifugalkraft ist eine nach außen gerichtete Kraft, die bei einer Drehung entsteht. Wenn man einen nassen Kreisel in Drehung versetzt, läßt die Zentrifugalkraft einzelne Wassertropfen von der Kreiseloberfläche wegfliegen. Da die Erde sich ebenfalls dreht, wurde sie am Äquator von der Zentrifugalkraft leicht ausgebuchtet; allerdings zu einer Zeit in der fernen Vergangenheit, als sie noch nicht so verfestigt war wie jetzt. Seitdem hat die Erde die Ausbuchtung beibehalten. Am Äquator beträgt der Erddurchmesser 12 757 km, während die Pole 12 714 km voneinander entfernt sind. Diese Abplattung an den Polen verleiht der Erde die Gestalt eines ›Rotationsparaboloids‹. In den letzten Jahren haben genaue Messungen an Erdsatelliten gezeigt, daß die Erde zusätzlich zu dieser Abplattung birnenförmig ist mit dem spitzen Ende nach Norden. Überraschenderweise hat Christoph Columbus einmal die Meinung geäußert, die Erde hätte die Gestalt einer Birne. Es war eine reine Vermutung, aber sie hat sich als richtig erwiesen.
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