Sie blickte immer noch auf die Blumen. »Sollen sie da liegen bleiben?«
»Natürlich. Sie haben nichts mehr mit Ihnen, nichts mit der Toten und nichts mit mir zu tun. Ich schicke Ihnen morgen neue. Aus einem anderen Geschäft.«
Der Schlitten hielt. Vor dem Eingang zum Hotel lagen Bretter über dem feuchten Schnee. Lillian stieg aus.
Er folgte ihr. Worin lasse ich mich da ein? dachte er. Und mit wem? Immerhin, es war etwas anderes, als Lydia Morelli, mit der er vor einer Stunde ein Telefongespräch aus Rom gehabt hatte. Lydia Morelli, die jeden Trick kannte und keinen vergaß.
Er holte Lillian an der Tür ein. »Heute abend«, sagte er, »wollen wir einmal über nichts anderes reden als über die oberflächlichsten [19] Поверхностный, несерьезный
Dinge der Welt.« Eine Stunde später war die Bar gepackt voll. Lillian blickte zur Tür.
»Da kommt Boris«, sagte sie. »Ich hätte es mir denken sollen.«
Clerfayt hatte den Russen bereits gesehen. Er ignorierte Clerfayt. »Dein Schlitten wartet draußen, Lillian«, sagte er.
»Schick den Schlitten weg, Boris«, erwiderte sie. »Ich brauche ihn nicht. Das ist Herr Clerfayt. Du bist ihm schon einmal begegnet.«
»Wirklich?« sagte Wolkow. »Oh, in der Tat! Bitte, verzeihen Sie.« Er sah knapp an Clerfayt vorbei. »In dem Sportwagen, der die Pferde scheu machte, nicht wahr?«
Clerfayt spürte den versteckten Hohn [20] Насмешка
. Er antwortete nicht und blieb stehen. »Du hast wahrscheinlich vergessen, daß morgen noch einmal Röntgenaufnahmen gemacht werden sollen«, sagte Wolkow zu Lillian.
»Ich habe es nicht vergessen, Boris.«
»Du mußt ausgeruht sein und geschlafen haben.«
»Ich weiß das. Ich habe noch Zeit dazu.«
Sie sprach langsam, wie man zu einem Kind spricht, das einen nicht versteht.
»Ich muß noch auf jemand warten«, sagte er zu Lillian. »Wenn du inzwischen den Schlitten –«
»Nein, Boris! Ich will noch bleiben.«
Clerfayt hatte jetzt genug. »Ich habe Miss Dunkerque hierher begleitet«, sagte er ruhig. »Und ich glaube fähig zu sein, sie wieder zurückzubringen.«
Wolkow sah ihn rasch an. Sein Gesicht veränderte sich. Dann faßte er sich und ging zur Bar.
Clerfayt setzte sich. Er war nicht mit sich zufrieden. Was tue ich da? dachte er. Ich bin doch nicht mehr zwanzig Jahre alt! »Warum gehen Sie nicht zurück mit ihm?« fragte er mißmutig.
»Wollen Sie mich loswerden?«
Er sah sie an. Sie schien hilflos zu sein, aber er wußte, daß Hilflosigkeit das Gefährlichste war, was es bei einer Frau gab – denn keine Frau war wirklich hilflos.
»Natürlich nicht«, sagte er. »Bleiben wir also!«
Sie blickte zur Bar hinüber. »Er geht nicht«, flüsterte sie. »Er bewacht mich. Er glaubt, daß ich nachgeben werde.«
Clerfayt nahm die Flasche und füllte die Gläser. »Gut. Lassen wir es also darauf ankommen, wer zuerst müde wird.«
»Sie verstehen ihn nicht«, erwiderte Lillian scharf.
»Er ist nicht eifersüchtig.«
»Nein?«
»Nein. Er ist unglücklich und krank und sorgt sich um mich. Es ist leicht, überlegen zu sein, wenn man gesund ist.«
Clerfayt stellte die Flasche zurück. Diese loyale, kleine Bestie! »Möglich«, sagte er gleichmütig. »Aber ist es ein Verbrechen, gesund zu sein?« Sie wandte sich ihm zu. »Natürlich nicht«, murmelte sie. »Ich weiß nicht, was ich rede. Es ist besser, ich gehe.«
Sie griff nach ihrer Tasche, aber sie stand nicht auf.
* * *
Clerfayt hatte von ihr genug, aber er hätte sie um nichts in der Welt gehen lassen, solange Wolkow noch an der Bar stand und auf sie wartete »Sie brauchen mit mir nicht besonders vorsichtig zu sein«, sagte er. »Ich bin nicht sehr empfindlich.«
»Hier ist jeder empfindlich.«
»Ich bin nicht von hier.«
»Ja.« Lillian lächelte plötzlich. »Das ist es wohl!«
»Was?«
»Das, was uns irritiert. Verstehen Sie das nicht? Sogar Hollmann, Ihren Freund.«
»Das ist möglich«, erwiderte Clerfayt überrascht.
»Ich hätte wahrscheinlich nicht kommen sollen. Irritiere ich Wolkow auch?«
»Haben Sie das nicht bemerkt?«
»Möglich. Warum gibt er sich aber dann soviel Mühe, es mich merken zu lassen?«
»Er geht«, sagte Lillian.
Clerfayt sah es. »Und Sie?« fragte er. »Sollten Sie nicht auch besser im Sanatorium sein?«
»Wer weiß das? Der Dalai Lama? Ich? Das Krokodil? Gott?«
Sie nahm ihr Glas. »Und wer ist verantwortlich? Wer? Ich? Gott? Und wer für wen? Kommen Sie, wir wollen tanzen?«
Clerfayt blieb sitzen. Sie starrte ihn an. »Haben Sie auch Angst für mich? Meinen Sie auch, ich sollte –«
»Ich meine gar nichts«, erwiderte Clerfayt. »Ich kann nur nicht tanzen; aber wenn Sie wollen, können wir es versuchen.«
Sie gingen zur Tanzfläche.
Das Sanatorium war still.
Lillian Dunkerque hockte in hellblauen Hosen auf ihrem Balkon. Die Nacht war weit weg und vergessen. Das Telefon klingelte. Sie hob den Hörer ab. »Ja, Boris – nein, natürlich nicht – wohin kämen wir, wenn wir das täten? – Lass uns nicht darüber reden – natürlich kannst du heraufkommen – ja, ich bin allein, wer sollte schon hier sein –?«
Wolkow kam auf den Balkon.
Sie beobachtete ihn.
»Boris«, sagte sie »Wir verstehen uns zu gut.«
»Wirklich?«
»Ja. Du verstehst mich zu sehr und ich dich, und das ist unser
Elend.«
Wolkow lachte. »Besonders bei Föhnwetter.«
»Nicht nur bei Föhnwetter.«
»Oder wenn Fremde angekommen sind.«
»Siehst du«, sagte Lillian. »Du weißt bereits den Grund. Du kannst alles erklären. Ich nichts. Du weißt alles im voraus über mich. Wie müde das macht! Ist das auch der Föhn?«
»Der Föhn und das Frühjahr.«
Lillian schloß die Augen.
»Warum bist du nicht eifersüchtig?« fragte sie.
»Ich bin es ja. Immer.«
Sie öffnete die Augen. »Auf wen? Auf Clerfayt?« Er schüttelte den Kopf.
»Das dachte ich mir. Worauf dann?«
Wolkow antwortete nicht. Wozu fragte sie? Und was wußte sie schon davon? Eifersucht begann nicht mit einem Menschen und endete nicht damit. Sie begann mit der Luft, die der geliebte Mensch atmete und endete nie. Nicht einmal mit dem Tode des anderen. »Worauf, Boris?« fragte Lillian. »Doch auf Clerfayt?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht auf das, was mit ihm heraufkommt.«
»Was kommt schon herauf?« Lillian schloß wieder die Augen. »Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Clerfayt fährt in ein paar Tagen wieder hinunter und wird uns vergessen und wir ihn.«
Sie lag eine Zeitlang still auf ihrem Liegestuhl. Wolkow saß hinter ihr und las. »Manchmal möchte ich etwas ganz Unsinniges tun, Boris«, sagte sie.
»Das möchte jeder.«
»Du auch?«
»Ich auch.«
»Warum tun wir es dann nicht?«
»Es würde nichts ändern.«
»Du auch?«
Boris sah auf die schmale Gestalt vor sich. Wie wenig sie von ihm wußte, obschon sie glaubte, ihn zu verstehen!
* * *
Die Glocken der Kirche im Dorf begannen zu läuten. Wolkow stand auf und ließ den Vorhang gegen die Sonne weiter herunter. »Eva Moser wird morgen entlassen«, sagte er. »Gesund.«
»Ich weiß. Sie ist schon zweimal entlassen worden.«
»Dieses Mal ist sie wirklich gesund. Das Krokodil hat es mir bestätigt.«
Lillian hörte durch das Verhallen der Glocken plötzlich den Ton Giuseppes. Der Wagen kam rasch die Serpentinen herauf und hielt. Sie wunderte sich, weshalb Clerfayt ihn heraufbrachte; es war das erste Mal seit seiner Ankunft.
Eine halbe Stunde später hörte Lillian den Wagen Clerfayts abfahren. Boris war vorher gegangen. Dann stand sie auf und ging nach unten.
Читать дальше