„Gut für die Coliner Polizei“, sagte Rhodes, als sie hinters Steuer stieg. „Ich bezweifele, dass diese Kerle jemals so viel Action abbekommen.“
„Ja, gut für sie“, sagte Chloe. Dann fügte sie hinzu: „Du hast es auch gesehen, oder? Er war geschockt von dem, was er getan hatte… fast so, als würde er es selbst immer noch nicht glauben können.“
„Ja, ich hab’s bemerkt. Nicht ganz was man von einem kaltblütigen Mörder zweier Männer erwarten würde, der vom FBI verhört wird.“
„Trotzdem sollte wir versuchen ein Alibi ausfindig zu machen. Mal sehen, was Cooper und seine Männer herausfinden können.“
„Einverstanden“, sagte Rhodes. „Aber was machen wir bis dahin?“
Chloe dachte einen Moment lang nach und sagte schließlich schulterzuckend: „Mittagessen?“
Es bedeutete die Niederlage zugeben, ohne sie tatsächlich zuzugeben. Chloe konnte den Gedanken nicht ausstehen, dass einen Mörder zu überführen als Niederlage zu werten war, aber der scheinbar banale Fall von Carol Hughes setzte sie schon zurück, was den Fall Bjurman anbelangte. Chloe wusste, dass ohne eine Verbindung zwischen Bjurman und Fielding sie vom Fall abgezogen werden würden, was bedeuten würde, dass Bjurmans Tod als ungelöster Mord an die örtlichen Polizeibehörden übergeben werden würde.
Und es war diese Befürchtung, die ihr noch etwas anderes offenbarte: die Tatsache, dass sie um jeden Preis an diesem Fall weiterarbeiten wollte, weil sie nicht bereit war zu dem Drama zurückzukehren, das zuhause mit Danielle auf sie wartete.
***
Ihr Mittagessen bestand aus einer fettigen, jedoch köstlichen Pizza und ein paar Salaten in einem örtlichen Pizzaladen. Sie aßen ziemlich schweigsam und waren sich sicher, dass Johnson oder einer seiner Untergebenen sie in jedem Moment anrufen würde, um sie zurückzupfeifen. Rhodes hatte das FBI Hauptquartier angerufen, nachdem sie das Polizeipräsidium von Colin verlassen hatten, um die Neuigkeiten zum Fall mitzuteilen, und selbst das hatte sich schon ziemlich final angefühlt. Chloe hatte keinerlei Zweifel daran, dass ihr Besuch in Pine Points sich dem Ende neigte.
„Quält dich noch irgendwas?“, fragte Rhodes.
„Wieso fragst du?“
Schulterzuckend wischte sich Rhodes die Hände an einer Serviette ab, die bereits von ihrer Margarita Pizza ganz durchfettet war. „Du siehst verstört aus… so, als hättest du etwas verloren.“
„Vielleicht ein bisschen“, gab Chloe zu. „Ich habe keinerlei Zweifel, dass Hughes Bjurman nicht umgebracht hat. Aber die ganze Bjurman Sache… irgendetwas an Theresa Diaz kommt mir sonderbar vor. Selbst, wenn sie damit rausgerückt wäre, dass sie mit Bjurman schlief – von was ich, übrigens, ziemlich überzeugt bin– ich glaube es gibt da immer noch etwas… etwas, das sie verbergen könnte.“
„Wenn sie miteinander geschlafen haben, war es vielleicht mehr als nur eine Affäre“, legte Rhodes nahe. „Vielleicht waren sie verliebt?“
„Möglich.“
Sie schwiegen erneut und überlegten sich das Gesagte. Etwa ein Viertel der Pizza war noch übrig, obwohl beide Agentinnen sich satt gegessen hatten.
Chloe konnte eine kleine Veränderung in sich spüren, als die Möglichkeit ihrer Rückkehr nach Hause immer realer wurde. Obwohl sie tatsächlich froh war von dem ganzen Danielle Drama fern zu sein – selbst wenn nur auf einer Distanz von eineinhalb Stunden Fahrt – machte sie sich trotzdem sehr große Sorgen darum, wie ihre Schwester reagieren würde, wenn (was viel wahrscheinlicher war, als falls , nahm Chloe an), das FBI sie kontaktieren würde. Die ganze Angelegenheit erzeugte einen glühenden Knoten der Sorge in ihrer Magengrube, weshalb sie ihr Bestes gab, diese Gedanken zu verscheuchen.
Als Rhodes Handy klingelte, während sie auf die Rechnung warteten, zuckten sie beide etwas zusammen. Sie dachten sich beide, dass es wohl Johnson sein würde, und Chloe gab ihr Bestes, nicht beleidigt zu sein, dass er sich entschlossen hatte, Rhodes statt sie zu kontaktieren.
Chloe hörte genau zu und versuchte so zu tun, als wäre sie nicht allzu interessiert an dem, was gesagt wurde. Doch das Mithören von Rhodes Anteil in diesem sehr kurzem Telefonat sagte ihr alles, was sie wissen musste. Als Rhodes auflegte, bestätigte ihr Gesichtsausdruck das. Es war eine Miene von milder Irritation und einer matten Art von Erleichterung.
„Er will, dass wir uns mit der Coliner Polizei in Verbindung setzen, bevor wir fahren, und dann sollen wir zurück nach Hause kommen“, sagte Rhodes. „Und wenn du mich fragst, sollten wir dann genau zur richtigen Zeit in DC sein, um noch ein paar Drinks zu trinken, bevor wir den Tag beenden.“
Sie beglichen ihre Rechnung und machten sich auf zum Coliner Polizeipräsidium. Auf ihrem Weg zurück nach Colin fuhren sie genau an dem Gehsteig vorbei, wo Bjurman ermordet worden war. Ohne Polizeiautos und Tatortabsperrung, sah es wie eine ganz normale Straßenecke in einer beliebigen Stadt Amerikas aus. Chloe verstörte es irgendwie zu wissen, dass es Antworten an dieser Straßenecke gab, die womöglich niemals gefunden werden würden – Antworten die, so wie es jetzt aussah, für immer außerhalb Chloes Reichweite verbleiben würden.
Danielle balancierte auf der sehr feinen Grenze zwischen angeheitert und absolut betrunken, als irgendjemand an ihrer Tür klopfte. Sie hatte getrunken, um diesem Kapitel ihres Lebens ein Ende zu setzen, es verschlossen zu halten, wie eine Schatztruhe, die auf dem Grund des Ozeans begraben war. Auf der Arbeit hatte man ihr letzten Abend keine Schicht zugeteilt, und auch keine für heute Abend. Aber sie würde morgen wieder anfangen, mit der Nachmittags- und der Nachtschicht auf einmal. Sie hatte nie gedacht, dass sie sich freuen würde, den Stripclub wiederzusehen oder den Geruch von verschüttetem Alkohol und billigem Rasierwasser der Männer, die an den Bars saßen, zu riechen.
Doch sie konnte es kaum erwarten, wieder zurück zu sein. Aber zuerst wollte sie in gewissem Sinne einen kleinen Absturz erleben. Es war eine Weile her, dass sie sich alleine betrunken hatte. Sie war sich sicher, dass manche Leute es als traurig und armselig ansehen würden, aber sie hatte es immer als eine Art Befreiung empfunden, die sie nicht ganz einordnen konnte.
Als es an der Tür klopfte, hatte sie bereits drei Margaritas runtergekippt, die sie in ihrem Mixer gemacht hatte – eine perfekte Mixtur, die sie auf der Arbeit gelernt hatte. Als sie zur Tür hinüberging, fragte sie sich, ob es Chloe sein könnte, die gekommen war, um alles noch einmal persönlich zu besprechen. Danielle hoffte beinahe, dass dies der Fall war. Mit einer ausreichenden Menge von Tequila in sich, würde sie ungehemmt die Dinge aussprechen, die eine nüchterne Danielle eher für sich behielt.
Als sie öffnete, fand sie allerdings nicht Chloe auf der anderen Seite der Tür vor. Es war ein Mann, auf eine Art gekleidet, die Danielle immer als „Affen-Anzug“ empfunden hatte. Weil ihre Schwester beim FBI arbeitete, erkannte sie die Klamotten und die viel zu ernste Miene sofort. Er war ein föderaler Agent. Er sah asiatischer Herkunft aus und als er sie anlächelte, erschien ihr sein Lächeln viel zu gestellt.
„Danielle Fine, korrekt?“, sagte der Mann.
„Ich bin’s. Und Sie sind…?“
„Agent Shin, FBI.“ Er zückte seine Dienstmarke und erlaubte ihr diese einen Moment lang zu betrachten, bevor er sie wieder zuklappte und zurück in die Innentasche seiner Jacke steckte. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich für einen Moment reinkäme?“
„Bei allem Respekt, wozu?“, fragte Danielle.
„Naja, obwohl ich Ihre Schwester nicht persönlich kenne, habe ich von der Tortur gehört, die sie beide in Texas durchgemacht haben. Es ist eine Geschichte, die beim FBI irgendwie die Runde macht. Ich wurde gebeten vorbeizukommen, und nach Ihnen zu sehen.“
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