„Ich wollte das nicht“, sagte er.
„Was genau?“, fragte Rhodes.
Hughes kämpfte einen Moment lang gegen etwas an. Chloe hatte es schon oft erlebt; selbst nachdem Menschen mit ihrer eigenen Schuld konfrontiert worden waren und genau wussten, dass sie erwischt worden waren, war es oft sehr schwer für sie einzugestehen, dass sie diese moralische Grenze überschritten hatten.
„Hören Sie, ich weiß, dass es falsch war, aber ich brauchte einfach etwas extra Geld, wissen Sie? Ich habe vor drei Monaten meinen Job verloren und die Rechnungen…man, es werden einfach immer mehr. Und meine Braut, sie will…sie will nicht einmal über eine Hochzeit nachdenken, solange ich nicht stabil bin…“
„Also erschien Ihnen ein Einbruch die angemessene Lösung zu sein?“, fragte Rhodes.
Chloe hatte dasselbe gedacht, doch sie hatte nie den Sinn darin gesehen, einen Verdächtigen vor den Kopf zu stoßen. Es führte meistens nur dazu, dass alles nur noch länger dauerte. Ehrlichgesagt hatte sie sich in Bezug auf Hughes auch die ganze Zeit den Kommentar verkneifen müssen, dass es wahrscheinlich keine gute Idee war, Bars zu frequentieren, wenn er seit drei Monaten keine Arbeit mehr hatte.
„Erzählen Sie uns der Reihe nach was passiert ist“, sagte Chloe.
„Ich bin ihm ein paar Tage lang nachgegangen, um mir seinen Tagesablauf zu merken. Ich dachte nicht, dass er zuhause sein würde. Ich hatte vor da schnell rein und raus zu sein, und das wäre alles.“ Er hielt nun einen Moment lang inne und erst dachte Chloe schon, er könnte anfangen zu weinen. Doch, was sie als Angst deutete, begann sich langsam in Horror zu verwandelt. Hughes begriff die Schwere dessen, was er getan hatte, und es begann endlich bei ihm einzusickern und ihn herunterzuziehen.
„Doch als ich durch die Eingangstür kam war er direkt vor mir, auf dem Sofa. Ich hatte ein Brecheisen in der Hand, weil ich erwartet hatte, dass ich die Tür aufbrechen müsste. Und als er auf mich zukam und wir zu kämpfen begannen, ist es… ist es einfach mit mir durchgegangen. Ich war überrascht und erschrocken und ich habe einfach… ich habe begonnen ihn mit dem Brecheisen zu schlagen. Und ich konnte nicht aufhören… ich konnte nicht…“
„Was hat Sie dazu gebracht aufzuhören?“, fragte Rhodes.
„Ich habe gehört, wie das Garagentor aufging. Ich nehme an, es war seine Frau, die nach Hause gekommen war. Ich hatte auch das auf dem Schirm. Ich wollte einfach rein und wieder raus, bevor sie zurückkam, wissen Sie? Ich wollte nie jemanden verletzen oder töten… aber ich habe dieses Garagentor gehört und hörte auf. Ich sah, was ich getan hatte und…“
Er stoppte, immer noch nicht in der Lage sich dazu zu bringen, es auszusprechen.
„Reden Sie weiter“, beharrte Chloe.
„Ich wusste, dass er tot war und ich hatte das Gefühl, dass ich irgendetwas mitnehmen musste. Ich habe die Uhr gesehen, dachte sie sei aus Gold. Holte sein Portemonnaie aus seiner hinteren Hosentasche und nahm das Geld heraus. Zweiundachtzig Dollar.“
„Und dann sind Sie gegangen?“, fragte Chloe. „Direkt aus der Tür heraus?“
Hughes nickte. „Ich konnte sogar das Garagentor wieder zugehen hören. Ich habe seine Frau wahrscheinlich bloß um knappe dreißig Sekunden verpasst.“
„Sie wussten, dass er tot war, als sie gegangen sind?“, fragte Rhodes.
„Nicht mit absoluter Sicherheit.“ Er zitterte nun und die Handschellen um sein Handgelenk ratterten gegen die Stange, an die er gekettet war. „Aber so wie sein Schädel aussah… und das ganze Blut, ich dachte mir, es sei unmöglich, dass er noch am Leben ist. Oder wenn er nicht tot war… dann würde er es bald sein…“
„Mr. Hughes, kennen Sie einen Mann namens Viktor Bjurman?“
Die Frage schien ihn zu überrumpeln, vielleicht, weil sie auf den ersten Blick in keiner Verbindung zu seinen eigenen Handlungen stand. Nachdem er einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, schüttelte er den Kopf. „Nein. Nein, nicht, dass ich wüsste.“
„Waren Sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der letzten Woche in Pine Point?“, fragte Chloe.
„Ja. Da gibt es einen kleinen Reformmarkt. Ich kaufe dort meine Vitamine. Das war… letzten Freitag, glaube ich.“
Chloe machte einen Schritt vom Tisch weg. Sie betrachtete Hughes und dachte an seine Aussage und seine Antworten. Selbst ein schlechter Lügner konnte eine Story wie diese erfinden. Doch man musste schon ein wahrer Soziopath sein, um auch die kleinsten Details, vom Zittern bis zum Ausdruck aufrichtiger Angst, so gut hinzubekommen. Auf der Basis ihrer Instinkte und ihrer Erfahrung wusste sie, dass er die Wahrheit sagte – und dass es ihm vor den möglichen Konsequenzen graute. Die Tatsache, dass er sogar ein kleines persönliches Detail, wie die Vitamine, mit in seine Geschichte eingeschoben hatte, überzeugte sie endgültig.
Und davon ausgehend, war sie sich ziemlich sicher, dass das nicht der Mann war, der Viktor Bjurman umgebracht hatte. Was bedeutete, dass die Morde überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Sicher, es fühlte sich ziemlich gut an, recht behalten zu haben, doch es war ebenso frustrierend, da sie nun wieder ganz am Anfang standen, was Bjurmans Mord anbelangte.
„Mr. Hughes, wir werden die Polizei vor Ort bitten mit Ihnen zu arbeiten und einen Zeitablauf festzuhalten, der Auskunft darüber gibt, was Sie getan haben und wo Sie gewesen sind in der Zeit zwischen ihrem unbeabsichtigten Totschlag an Mr. Fielding und dem Moment, an dem sie festgenommen wurden. Wenn Sie alles detailliert genug angeben können, wird das FBI nicht eingeschaltet werden müssen. Haben Sie alles verstanden?“
Er nickte und schaute immer noch wie ein verwirrter Schüler im Matheunterricht drein. „Ich verstehe bloß nicht, wie das alles passiert ist. Ich verstehe nicht…“
„Haben Sie noch etwas, Agentin Rhodes?“, fragte Chloe.
„Nichts.“
Die Agentinnen ließen Hughes sitzen, wo er war, mit einem verängstigten und nun auch ziemlich verwirrten Ausdruck im Gesicht. Sobald sie wieder auf dem Flur standen, kam Cooper zu ihnen herübergeeilt. Ein weiterer Polizist war nun an seiner Seite und sie sahen beide genauso verwirrt aus, wie Hughes eben bei ihrem Verlassen des Raumes.
„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte er.
„Nein“, sagte Choe. „Sie und Ihre Männer haben hervorragende Arbeit geleistet. Das ist hundertprozentig ihr Mann, bloß nicht derjenige, den wir suchen. Wenn Sie feststellen könnten, wo er die letzten paar Tage gewesen ist, sodass wir ihn als Viktor Bjurmans Mörder ausschließen können, wäre das super.“
„Ja… ich habe mir gedacht, dass er den Mord nicht auch noch begangen hat“, sagte Cooper. „So zittrig und verängstigt wie er ist, kann ich mir nicht einmal vorstellen, wie er das, was er Fielding angetan hat, vollbringen konnte. Ich meine, Grundgütiger… haben Sie die Fotos gesehen?“
Sie wollte die Haltung der Polizisten nicht irgendwie beeinflussen, daher nickte Chloe bloß. Sie gab Cooper ihre Visitenkarte und sagte: „Würden Sie uns bitte anrufen, sobald sie eine ungefähre Zeitabfolge der Ereignisse haben?“
„Natürlich“ sagte Cooper, obwohl offensichtlich war, dass er noch nicht ganz begriffen hatte, wieso sie bereits gingen.
„Danke für Ihre Zeit“, sagte Rhodes, als sie an ihm vorbei zurück zum vorderen Teil des Gebäudes gingen.
Chloe war es unangenehm, dass sie auf eine nahezu unhöfliche Art und Weise gegangen waren, doch es gab wirklich keinen Grund für sie dort noch länger zu verweilen. Während sie zu ihrem Auto zurückliefen überlegte Chloe angestrengt, ob es nicht auch nur die kleinste Möglichkeit gäbe auf Nummer sicher zu gehen, dass Carol Hughes nicht auch noch Bjurman umgebracht hatte – obwohl jeder Justizbeamte, der seinen Namen wert war, das schon nach zwei Minuten in der Gegenwart des Kerls sagen könnte.
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