Dann richtete sich Scarlatti an die anderen im Saal.
Er sagte: „Es ist eine Menge passiert, seit ich meine kleine Jilly verloren habe. Ich habe mich zusammengerissen und aus meinem damaligen Zustand gezogen. Ich habe einen Entzug gemacht und ich besuche regelmäßig die Anonymen Alkoholiker, ich habe seit Monaten keinen Drink angerührt. Ich hoffe, dass ich für den Rest meines Lebens keinen Drink mehr in die Hand nehme. Ich habe eine feste Anstellung gefunden – nichts richtig beeindruckendes, nur ein Job als Reinigungskraft, aber es ist ein guter Job und ich kann Ihnen eine Empfehlung meines Vorgesetzten vorlegen, dass ich mich gut mache.“
Dann berührte er die Schulter der mysteriösen Frau, die neben ihm saß.
„Aber es gab noch eine große Veränderung in meinem Leben. Ich habe Barbara Long getroffen, die wundervollste Frau der Welt, und sie ist das Beste, was mir je widerfahren ist. Wir sind verlobt und werden Ende dieses Monats heiraten.“
Die Frau lächelte ihn mit funkelnden Augen an.
Scarlatti richtete sich nun an Jilly persönlich.
„Genau Jilly. Keine Alleinerziehenden-Familie mehr. Du wirst einen Vater und eine Mutter haben – eine echte Mutter nach all diesen Jahren.“
Riley fühlte sich, als wäre ein Messer durch ihre Brust gebohrt worden.
Jilly hat gerade doch gesagt, dass ich ihre echte Mom bin, dachte sie. Aber was konnte sie auf diesen Alleinerziehenden-Kommentar antworten. Sie hatte sich von Ryan lange bevor sie Jilly gefunden hatte, scheiden lassen.
Scarlatti richtete dann seine Aufmerksamkeit auf Brenda Fitch.
Er sagte: „Ms. Fitch, meine Anwältin hat gerade einige ziemlich harte Vorwürfe an Sie gerichtet. Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass es meinerseits keine gekränkten Gefühle gibt. Sie haben ihre Arbeit gemacht und ich weiß das. Ich möchte bloß, dass Sie sehen, wie sehr ich mich verändert habe.“
Dann schaute er Riley direkt in die Augen.
„Ms. Paige, ich bin auch Ihnen nicht böse. Ich bin wirklich sogar dankbar für alles was sie für Jilly getan haben, während ich mich um mein Leben gekümmert habe. Ich weiß, dass es für Sie nicht leicht gewesen sein muss, da Sie Single sind und so. Und noch dazu mit ihrer eigenen Teenage-Tochter im Schlepptau.“
Riley öffnete schon ihren Mund um zu protestieren, aber Albert fuhr herzlich fort. „Ich weiß, dass sie Ihnen viel bedeutet und Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich werde von jetzt an ein guter Vater für Jilly sein. Und ich möchte, dass sie weiterhin ein Teil von Jillys Leben bleiben.“
Riley war perplex. Sie begriff jetzt erst, wieso seine Anwältin die Entführungsvorwürfe überhaupt gegen sie vorgebracht hatte.
Es ist die klassische ‚Guter Cop, Schlechter Cop‘ Masche.
Jolene Paget hatte sich als harte Anwältin inszeniert, die bereit war ihren Fall mit allen Mitteln zu gewinnen. Sie hatte somit den Weg für Scarlatti geebnet, der nun wie der freundlichste Typ der ganzen Welt erscheinen würde.
Und er war sehr überzeugend. Riley konnte nicht anders, als sich zu fragen…
Ist er in Wirklichkeit vielleicht doch ein guter Kerl?
Hatte er wirklich nur eine schwere Phase?
Und das Schlimmste – hatte sie selbst vielleicht Unrecht, indem sie versuchte ihm Jilly wegzunehmen? Tat sie nichts, außer unnötiges Leid zu Jillys Leben hinzuzufügen?
Zuletzt schaute Scarlatti mit einem dringlich bittenden Blick auf den Richter.
„Euer Ehren, ich bettle Sie an, bitte lassen Sie mich meine Tochter wiederhaben. Sie ist mein Fleisch und Blut. Sie werden Ihre Entscheidung nicht bereuen. Ich verspreche es Ihnen.“
Eine Träne floss über seine Wange, als er sich wieder setzte.
Seine Anwältin erhob sich wieder und sah selbstgefälliger und sicherer aus, denn je.
Sie sprach Jilly in einem Ton von öliger, falscher Aufrichtigkeit an.
„Jilly, ich hoffe, dass du verstehst, dass dein Vater nur das Beste für dich will. Ich weiß, dass ihr Eure Schwierigkeiten hattet in der Vergangenheit, aber sei Ehrlich – ist das nicht ein Verhaltensmuster von dir?“
Jilly sah verwirrt aus.
Paget fuhr fort: „Ich bin mir sicher, dass du nicht abstreiten wirst, dass du von deinem Vater weggelaufen bist, und das ist wie dich Riley Paige überhaupt gefunden hatte.“
Jilly sagte: „Ich weiß, aber das war weil – “
Paget unterbrach sie und zeigte zu den Flaxmans.
„Und bist du nicht auch von diesem netten Paar weggerannt, als sie so gütig waren, dich bei Ihnen aufzunehmen?“
Jillys Augen weiteten sich und sie nickte still.
Riley musste schlucken. Sie wusste, was Paget als nächstes sagen würde.
„Und bist du nicht einmal sogar von Riley Paige und ihrer Familie weggerannt?“
Jilly nickte und ließ ihren Kopf elendig hängen.
Und natürlich stimmte das. Riley erinnerte sich nur zu gut wie schwer es für Jilly gewesen war sich an das Leben in ihrem neuen Zuhause zu gewöhnen – sie hatte besonders mit dem Gefühl der Wertlosigkeit zu kämpfen. In einem Moment besonderer Schwäche war Jilly erneut zu einem Lastwagenrastplatz weggerannt. Sie dachte, dass ihren Körper zu verkaufen das einzige war, für was sie im Leben gut war.
„Ich bin ein Nichts“, hatte Jilly Riley gesagt, als die Polizei sie zurückgebracht hatte.
Die Anwältin hatte ihre Recherche gut gemacht, aber Jilly hatte sich seit dieser Zeit so sehr verändert. Riley war sich sicher, dass diese Tage der Unisicherheit vorüber waren.
Immer noch in einem Ton tiefer Besorgnis sagte Paget zu Jilly…
„Früher oder später, meine liebe, musst du die Hilfe der Menschen annehmen, denen du wichtig bist. Und gerade will dein Vater nichts sehnlicher, als dir ein gutes Leben geben. Ich denke, dass du es ihm schuldest ihm eine Chance zu geben, das zu tun.“
Paget wandte sich nun an den Richter: „Euer Ehren, ich muss die Sache Ihnen überlassen.“
Zum ersten Mal schien der Richter wirklich bewegt zu sein.
Er sagte: „Mr. Scarlatti, ihr eloquentes Plädoyer hat mich dazu gezwungen meine Entscheidung zu ändern.“
Riley holte laut Luft.
Passiert das gerade wirklich alles?
Der Richter fuhr fort: „Das Gesetz Arizonas ist sehr eindeutig, was die Sache der Familientrennung angeht. Die erste Überlegung geht die Befähigung des Erziehungsberechtigten an. Die zweite Überlegung bezieht sich auf das Wohl des Kindes. Nur wenn der Erziehungsberechtigte untauglich ist, kommt die zweite Überlegung ins Spiel.“
Er hielt einen Moment inne um nachzudenken.
„Mr. Scarlattis Untauglichkeit konnte hier heute nicht festgestellt werden. Es ist sogar eher umgekehrt. Soweit ich es beurteilen kann, scheint er alles dafür zu tun, um ein hervorragender Vater zu werden.“
Beunruhigt erhob sich Kaul und sprach beißend.
„Euer Ehren, ich erhebe Einspruch. Mr. Scarlatti hat seine Rechte freiwillig aufgegeben, und das hier ist alles komplett unerwartet. Die Adoptionsagentur hatte keinerlei Gründe um Belege für seine Untauglichkeit zu sammeln.“
Der Richter sprach mit einer Note der Endgültigkeit in der Stimme und schlug mit dem Gerichtshammer.
„Dann gibt es für mich auch nichts weiter zu betrachten. Sorgerecht wird dem Vater zugesprochen, beginnend mit dem gegenwärtigen Moment.“
Riley schrie entsetz auf.
Es wird wahr, dachte sie.
Ich verliere Jilly.
Riley begann beinahe zu hyperventilieren als sie begriffen hatte, was geschehen war.
Sicherlich kann ich diese Entscheidung anfechten, dachte sie sich.
Die Agentur und ihr Anwalt könnten ohne Probleme solide Belege für Scarlattis gewalttätiges Verhalten auftreiben.
Aber was würde in der Zwischenzeit passieren?
Jilly würde nie bei ihrem Vater bleiben. Sie würde wieder wegrennen – und dieses Mal könnte sie wirklich für immer verschwinden.
Читать дальше