»Vielleicht«, antwortete sie.
»Ich heiße Pete«, sagte der Mann.
»Ich heiße Brett.«
»Schön dich kennenzulernen Brett.«
»Ebenfalls«, antwortete Brett. »Wohin bist du unterwegs?«
»Zum Beavertail Campingplatz«, antwortete Pete.
»Ich auch«, sagte Brett. »Es scheint mir um die zehn Minuten mit dem Auto von hier entfernt zu liegen.«
Pete nickte und lächelte. »Ja, das denke ich auch.«
Er trat dem Schild mit der Überschrift WANDERPFAD näher und betrachtete einen Augenblick lang die Hügellandschaft vor ihm.
Dann schaute er zu Brett und sagte: »Du siehst aus, als ob du gerade vom Wandern zurückgekommen bist.«
Brett wusste, dass dies leicht zu erraten war, da sie immer noch ihren Rucksack auf dem Rücken trug.
»Stimmt«, sagte sie.
Pete zwinkerte ihr zu. »Ich werde mich vielleicht selber an diesem Pfad versuchen. Würdest du ihn mir empfehlen?«
Brett war von dieser Frage ein wenig überrascht.
Sie antwortete: »Also, der Pfad ist toll, nur… es ist schon ziemlich spät, meinst du nicht auch? Bald wird es schon dunkel sein.«
Pete seufzte enttäuscht.
»Du hast wahrscheinlich recht«, sagte er. »Vielleicht komme ich morgen wieder zurück.«
Er starrte wieder einige Augenblicke die Hügellandschaft an. Dann machte er sich auf zu seinem Wohnmobil.
Er drehte sich noch um und sagte zu Brett: »Möchtest du vielleicht hereinkommen und ein Bier mit mir trinken?«
Brett war von diesem Angebot sowohl überrascht als auch angetan. Sie hatte zu diesem Ausflug nichts außer Wasser und ein paar Softdrinks zu trinken mitgebracht. Ein kühles Bier hörte sich erfrischend an. Außerdem wäre es wunderbar, einen Blick ins Innere des Wohnmobils werfen zu können.
»Das wäre nett«, antwortete sie.
Als er sie nach Innen begleitete, sah das Wohnmobil noch viel geräumiger aus, als es von draußen betrachtet den Anschein erweckte. Es besaß einen ziemlich großen Küchenbereich, komplett mit Ofen ausgestattet, und genug Bettausstattung für mehr als nur eine Person – vielleicht für ein Paar mit zwei Kindern.
Trotzdem erweckte es den Anschein, als sei dieser Kerl alleine unterwegs. Brett würde sich ungeheuer verwöhnt vorkommen, wäre sie alleine in einem solchen Wohnmobil unterwegs. Ihr eigenes Fahrzeug war so ziemlich mit nichts außer einer Matratze ausgestattet.
Pete zeigte auf eine Tür und meinte: »Du bist schon seit einer Weile unterwegs. Vielleicht möchtest du von meinem Badezimmer Gebrauch machen.«
Brett verschlug es den Atem.
Ein richtiges Badezimmer!
Natürlich konnte es nicht viel größer als ein Wandschrank sein. Aber im Vergleich zu Toiletten in Gaststätte und Tankstellen und Gemeinschaftsanlagen auf Campingplätzen war es ein wahrer Luxus.
»Danke!«, sagte sie.
Sie öffnete die Tür und trat in die Kabine ein. Die Tür schloss sich hinter ihr und sie befand sich im völligen Dunkeln.
Merkwürdig, dachte sie.
Sollte das Badezimmer nicht zumindest ein Fenster haben?
Sie tastete an der Wand neben der Tür umher, im Versuch einen Lichtschalter zu finden, fand aber keinen. Wie dem auch sei, konnte sie wirklich auf Strom hoffen, ohne dass das Wohnmobil anständig ans Stromnetz angebunden war?
Sie drehte sich und wollte die Kabine verlassen, aber der Türriegel bewegte sich nicht im Geringsten.
Er muss wohl kaputt sein.
Schüchtern rief sie…
»Hey, es sieht so aus, als ob ich hier feststecken würde.«
Sie erhielt keine Antwort.
Jetzt fing sie an sich Sorgen zu machen. Sie griff in die Tasche und zog ihr Handy heraus, um es als Taschenlampe einzusetzen.
Als sie anfing den Raum zu beleuchten, wurde ihr ein wenig bange.
Dies war kein Badezimmer.
Vielleicht war er das einmal, aber jetzt war alle für ein Badezimmer üblichen Einrichtungen entfernt worden.
Sie befand sich in einem schlichten rechteckigen Raum. Sowohl Wände als auch Decke waren mit kleinen quadratischen, mit kleinen Löchern versehenen Fliesen bedeckt.
Akustikfliesen, wurde ihr bewusst.
War dies ein schalldichter Raum?
Ihre Furcht nahm zu.
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie erkennen, dass die Fliesen eingedellt und zerkratzt waren.
Die Wände waren mit etwas rotem bespritzt und beschmiert.
Blut!
Als sie hörte wie sich der Türriegel bewegte, fing sie an zu schreien.
Aber sie wusste, es war vergebens.
Als die Tür sich zu öffnen anfing, wusste Brett Parma, dass sie sterben würde.
Der riesige, bullige Mann trat zum Mikrofon vor und begann seine Rede.
»Es ist mir eine große Ehre…«
Aber seine dröhnende Stimme zerbrach unter der schrillen Resonanz, die durch das große Auditorium ratterte.
Riley Sweeney erschrak durch den Lärm fast zu Tode.
Der Lärm ließ aber schnell nach und ein paar Sekunden später lächelte sie nervös, zusammen mit den anderen FBI-Akademie-Absolventen. Der FBI-Direktor Bill Cormack war für seine tiefe, dröhnende, hallende und soundsystemzerstörende Stimme bekannt.
Es würde ihm besser ergehen, wenn er das Mikrofon abstellen würde, dachte Riley.
Mithilfe seiner lauten Stimme wäre er sicherlich in der Lage, das ganze Publikum ohne große Mühe zu erreichen.
Mit einem bescheidenen Grinsen begann Direktor Cormack erneut ins Mikrofon zu reden, diesmal jedoch viel sanfter als zuvor.
»Es ist mir eine große Ehre die diesjährigen Absolventen der FBI-Akademie hier in Quantico ansprechen zu dürfen. Ich gratuliere euch dazu, dass ihr alle euch in den vergangenen acht Wochen gestellten Herausforderungen zu bewältigen wusstet.«
Riley trafen diese Worte sehr.
Acht Wochen!
Wenn ich doch nur volle acht Wochen gehabt hätte!
Sie hatte fast zwei Wochen während der Jagd nach einem brutalen Mörder verpasst, statt im Unterricht und bei den Übungen hier in der Basis mitzumachen.
Ihr Mentor, Sonderagent Jake Crivaro, zog sie kurzerhand aus der Akademie heraus, um an einem Fall in West Virginia zu arbeiten – einem wahrhaft grausigen Fall, bei dem der Mörder seine Opfer ermordete, indem er sie in Stacheldraht wickelte.
Die versäumten Studienverpflichtungen nachzuholen war schwere Arbeit. Sie beneidete die anderen Studenten dafür, dass sie mehr Zeit erhielten, solch rigorose Arbeit zu verrichten. Aber Riley wusste, nicht alle der anfänglichen 200 Teilnehmer würden heute ihren Abschluss machen. Manche hatten nicht bestanden und andere waren von alleine ausgeschieden.
Sie war stolz auf ihren Erfolg, der ihr trotz aller Hindernisse gelungen war.
Riley richtete ihre Aufmerksamkeit wieder zur Rede von Direktor Cormack.
»Voller Ehrfurcht schaue ich zurück auf die Reise, die ich und so viele andere Agenten vor mir hinter uns haben und die euch heute bevorsteht. Ich kann euch aus eigener Erfahrung berichten, dass es sich um eine zutiefst lohnende Reise handelt – aber manchmal auch eine etwas undankbare Reise. Eure selbstlosen Taten werden nicht immer auf eine dankbare Öffentlichkeit stoßen.«
Er hielt einen Moment lang inne, als würde er auf persönliche Erfahrung reflektieren.
Dann fuhr er fort: »Vergesst nicht, dass nur wenige Leute außerhalb des FBI in der Lage sein werden, sich ein Bild zu euren bedeutsamen Verantwortlichkeiten zu machen. Ihr werdet für eure Arbeit Kritik erhalten, jeder kleinste Fehler wird äußerster Überprüfung standhalten müssen, oft im Rampenlicht der öffentlichen Medien. Wenn es euch nicht gelingt einen Fall zu lösen, werdet ihr euch vernachlässigt und nicht gewürdigt fühlen.«
Er lehnte sich ein wenig nach vorne und sagte fast im Flüsterton…
»Aber vergesst nicht – ihr werdet nie alleine stehen. Ihr seid jetzt Teil einer Familie – der stolzesten, loyalsten und fürsorglichsten Familie die man sich vorstellen kann. Es wird hier immer jemand für euch da sein, sowohl um euch in der Niederlage zu trösten, als auch um eure Triumphe mit euch zu feiern.«
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