Mackenzie spürte, dass sie noch etwas sagen sollte, aber das war einer dieser Momente, wo es klar war, dass es nichts weiter zu sagen gab. Sie ging zur Tür, und als sie diese hinter sich schloss, fühlte es sich wie ein Schmerz der Reue an, als sie hörte, wie Barry Channing zu weinen begann.
Der Regen draußen war jetzt kaum mehr als Nebel. Als sie zu ihrem Auto ging, rief sie Ellington an und hoffte, dass der Regen ganz aufhören würde. Sie war sich nicht sicher, warum sie das so aufregte. Es tat es aber.
„Ellington hier“, antwortete er, da er nie auf das Display schaute, ehe er ranging.
„Bist du fertig mit Fernsehen?“
„Das bin ich tatsächlich“, antwortete er. „Ich arbeite gerade mit Deputy Sheriff Rising daran die Personen auf der Liste auszuschließen, mit denen bereits gesprochen wurde. Gibt es was Neues bei dir?“
„Nein. Aber ich wollte zum Lagerraum fahren, in dem die erste Leiche gefunden wurde. Kannst du die Information von Rising einholen und mich in zwanzig Minuten vor der Polizeistation treffen? Und vielleicht kannst du den Besitzer telefonisch erreichen.“
„Mach ich. Bis dann.“
Er beendete den Anruf und Mackenzie fuhr weiter und dachte dabei an den trauernden Freund, den sie zurückgelassen hatte … sie dachte an Claire Locke, alleine im Dunkeln, hungernd und ängstlich in ihren letzten Momenten.
Mackenzie und Ellington kamen um 10:10 Uhr am U-Store-It an. Das Gebäude war anders als die Seattle Storage Solution, denn es war tatsächlich ein Gebäude. Das Gebäude selbst sah aus, als wenn es einmal ein kleines Lagerhaus gewesen und das Äußere mit einfacher Landschaftsgärtnerei verschönert worden war, was man nur halb in dem schwachen Licht erkennen konnte, das den Bürgersteig umrahmte. Weil sie vorher angerufen hatten, brannte innen Licht, da der Besitzer und Verwalter des Hauses auf sie wartete.
Sie trafen den Besitzer an der Tür, ein kleiner und übergewichtiger Mann mit Brille namens Ralph Underwood. Er schien zufrieden über ihren Besuch und gab sich keine Mühe die Tatsache zu verstecken, dass er recht begeistert von Mackenzie war.
Er führte sie durch das Vordergebäude, das aus einem kleinen Wartebereich und einem noch kleinerem Konferenzraum bestand. Er hatte sich viel Mühe dabei gegeben, das Gebäude warm und gemütlich erscheinen zu lassen, aber dennoch hatte es immer noch den Geruch eines alten Lagerhauses an sich.
„Wie viele Lagerräume haben Sie hier?“, fragte Ellington.
„Einhundertfünfzig“, erwiderte Underwood. „Jeder Raum hat eine Tür hinten, sodass man seine Sachen einfach von draußen ab- und auf Laden kann, damit man nicht durch die Vorderseite des Gebäudes gehen muss.“
„Hört sich recht effektiv an“, sagte Mackenzie, die noch nie einen Lagerkomplex gesehen hatte, der komplett in einem anderen Gebäude untergebracht war. „Sie sagten am Telefon, dass Sie Interesse daran haben, mehr über die Leiche zu erfahren, die ich vor zwei Wochen gefunden habe, korrekt?“
„Das stimmt“, erwiderte Mackenzie. Sie hatte Rising gebeten, ihr den Bericht zu schicken und sie las es jetzt von ihrem Handy ab. „Elizabeth Newcomb, Alter dreißig Jahre. Laut dem Polizeibericht wurde sie in ihrem eigenen Lagerraum gefunden, gestorben an einer Stichwunde in der Brust.“
„Ich weiß von dem allem nichts“, sagte Underwood. „Alles, was ich weiß ist, als ich an dem Morgen gekommen bin und wie immer meine Runde gedreht habe, habe ich etwas Rotes am Rand einer Lagerraumtür gesehen. Ich wusste sofort was es war, aber ich habe versucht mich davon zu überzeugen, dass ich nicht recht habe. Aber als ich den Lagerraum geöffnet habe, war sie da. Lag tot auf dem Boden in einer Blutlache.“
Er erzählte die Geschichte, als wenn sie an einem Lagerfeuer sitzen würden. Das irritierte Mackenzie ein wenig, aber sie wusste auch, dass Menschen mit einem Hang zum Dramatischen oftmals gute Informationsquellen waren.
„Haben Sie schon einmal was Ähnliches erlebt?“, fragte Ellington.
„Nein. Aber ich kann Ihnen sagen … ich habe hier schon ein Dutzend und mehr verlassene Lagerräume gehabt. Es steht in meinen Verträgen, wenn der Lagerraum nicht mindestens einmal innerhalb von drei Monaten geöffnet wird, dann rufe ich den Mieter an, um sicherzugehen, dass er noch an dem Raum interessiert ist. Wenn es nach sechs Monaten keine Kommunikation gegeben hat, dann verkaufe ich alles aus dem Lagerraum auf einer Auktion.“
Mackenzie wusste, dass das ein üblicher Vorgang war, aber soweit sie wusste, schien das schon fast illegal zu sein.
„Einige der Dinge, die Menschen in diesen Lagerräumen lassen sind … naja ein wenig nervig“, redete Underwood weiter. „In drei der verlassenen Lagerräume gab es alle Arten von Sex Spielzeug. Jemand hatte fünfzehn Waffen in seinem Raum gelagert, inklusive zwei AK-47s. Ein Lagerraum gehörte anscheinend einem Tierpräparator, weil es vier ausgestopfte Tiere gab … und ich spreche nicht von Teddybären, wissen Sie?“
Underwood führte sie durch eine Tür im hinteren Teil eines kleinen Eingangflügels. Es gab keinen Übergang nach der Tür, sie gingen durch und standen in einem großen Flur. Der Boden war aus Beton und die Wand war ungefähr sechs Meter hoch. Jetzt war Mackenzie noch überzeugter davon, dass dieser Ort wirklich einmal eine Art Warenhaus gewesen war. Die Lagerräume waren in fünf Gruppen geteilt, jede Gruppe wurde von einem Flur unterbrochen, der auf beiden Seiten des Gebäudes entlangführte. Die Cluster waren auf jeder Seite des Gebäudes so angeordnet, dass sie, als sie den zentralen mittleren Flur hinunterblickten, kein Ende zu haben schienen. Jetzt wo sie im Inneren waren, erkannte Mackenzie die Tiefe und Reichweite des Ortes für das, was es war. Das Gebäude war leicht einhundert Meter lang.
„Der Lagerraum, den Sie sehen wollen, ist hier“, sagte Underwood. Sie gingen ungefähr zwei Minuten und Underwood redete weiter über die merkwürdigen Dinge, die er einmal in seinen verlassenen Lagerräumen gefunden hatte, genauso wie Schätze, wie Spielzeug in neuwertigem Zustand, wertvolle Comics und einem echten Safe, der mehr als fünftausend Dollar darin hatte.
Endlich hielt er vor einem Lagerraum an, der mit C-2 markiert war. Er hatte anscheinend den Schlüssel vor ihrer Ankunft herausgesucht; er fischte einen einzelnen Schlüssel aus seiner Tasche und schloss die Tür auf. Er öffnete die Tür und enthüllte das muffige Innere.
Underwood drückte auf einen Lichtschalter an der Wand und das Licht im Raum, gab einen fast leeren Lagerraum frei.
„Haben keine Familienangehörige Dinge von ihr beansprucht?“, fragte Mackenzie.
„Ich habe vor vier Tagen einen Anruf von ihrer Mutter bekommen“, sagte er. „Sie wird irgendwann kommen, aber sie hat mir kein Datum oder so genannt.“
Mackenzie ging im Lagerraum herum und suchte nach allem, was dem was sie in Claire Lockes Lagerraum gesehen hatte, ähnlich sein könnte. Aber entweder hatte Elizabeth Newcomb nicht den Kampfgeist von Claire Locke gehabt oder die Beweise eines Kampfes waren bereits von der Polizei und den einheimischen Detektiven beseitigt worden.
Mackenzie ging zu den wenigen Dingen, die noch im hinteren Teil gelagert waren. Das meiste davon war in Plastiktüten gelagert, markiert mit Klebeband und schwarzem Marker: Bücher und Magazine, Kindheit, Mamas Sachen, Weihnachtsdekoration, Alte Backsachen.
Sogar die Art, wie sie gestapelt waren, schien sehr organisiert. Es gab ein paar kleinere Kartons voll mit Fotoalben und gerahmten Bildern. Mackenzie sah sich einige der Alben an, aber sah nichts, was helfen würde. Sie sah nur Bilder von lachenden Familienmitgliedern, Strandausblicken und einem Hund, der anscheinend mal ein sehr geliebtes Haustier gewesen war.
Ellington kam zu ihr und schaute sich in den Kisten um. Er hatte seine Hände auf die Hüften gelegt, einer dieser verräterischen Anzeichen, dass er ratlos war. Es überraschte sie immer noch ab und zu, wie gut sie ihn kannte.
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