„Wie viel Zeit hast du noch übrig?“, fragt sie.
Ellington zuckte die Achseln. „Noch drei Tage, so wie es aussieht.“
„Ist das Okay, wenn ich gehe und mit Claire Lockes Freund spreche?“
„Ich denke schon“, sagte er mit einem komischen Seufzen. „Das Eheleben kommt bald. Du gewöhnst dich besser daran, dass ich die ganze Zeit vor dem Fernseher sitze. Besonders während der Fußballsaison.“
„Das ist in Ordnung“, erwiderte sie. „Solange du damit einverstanden bist, dass ich gehe und mein eigenes Ding mache, während du das machst.“
Und um ihm zu zeigen, was sie meinte, ging sie hinaus. Sie rief über ihre Schulter: „Gib mir ein paar Stunden.“
„Na klar. Aber erwarte nicht, dass das Essen fertig ist, wenn du zurückkommst.“
Das Geplänkel zwischen ihnen machte sie unglaublich glücklich, dass McGrath es ihnen erlaubt hatte, zusammen an dem Fall zu arbeiten. Zwischen der Dunkelheit und dem Regen draußen und ihrer merkwürdigen Traurigkeit wegen Claire Locke, wusste sie nicht, ob sie in der Lage wäre, diesen Fall alleine richtig zu handhaben. Aber mit Ellington hier fühlte sie, dass sie ein Stück Heimat bei sich hatte – etwas wohin sie gehen konnte, wenn der Fall zu überwältigend wurde.
Sie ging wieder hinaus. Es war Abend geworden und obwohl der Regen sich wieder auf Niesel eingestellt hatte, konnte Mackenzie nicht anders, als das als eine Art Omen zu sehen.
Mackenzie wusste nichts über den Freund, da nichts über ihn in den Notizen stand. Alles, was sie wusste war, dass sein Name Barry Channing war und das er in der Rose Street 376 lebte, im Apartment 7. Als sie an die Tür des Apartments 7 klopfte, wurde ihr von einer Frau, die wie in den späten Fünfzigern aussah, geöffnet. Sie sah müde und traurig aus – und offensichtlich nicht glücklich darüber, einen Besucher nach neun Uhr abends an einem regnerischen Sonntagabend zu bekommen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Frau.
Mackenzie überprüfte fast noch einmal die Nummer an der Tür, aber sagte dann, „Ich suche Barry Channing.“
„Ich bin seine Mutter. Wer sind Sie?“
Mackenzie zeigte ihr ihren Ausweis. „Mackenzie White vom FBI. Ich hatte gehofft, Ihrem Sohn ein paar Fragen über Claire stellen zu können.“
„Er ist wirklich nicht in der Lage mit irgendjemandem zu sprechen“, antwortete die Mutter. „Tatsächlich ist er –“
„Mein Gott, Mama“, sagte eine männliche Stimme hinter ihr. „Mir geht es gut.“
Die Mutter machte einen Schritt zur Seite und machte Platz für ihren Sohn, der in der Tür stand. Barry Channing war eher groß und hatte kurz geschnittenes, blondes Haar. Wie seine Mutter sah er aus, als wenn er nicht viel geschlafen hatte und man sah, dass er geweint hatte.
„Sie sagen, Sie kommen vom FBI?“, fragte Barry.
„Ja. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?“
Barry sah seine Mutter zögernd an und seufzte dann. „Ja, ich habe Zeit. Kommen Sie doch rein.“
Barry führte Mackenzie in sein Apartment, er ging einen schmalen Flur hinunter und in eine allgemein aussehende Küche. Seine Mutter ging währenddessen schmollend den Flur hinunter und verschwand aus dem Blickfeld. Als Barry sich auf einen Stuhl am Küchentisch setzte, hörte Mackenzie, wo irgendwo in der Wohnung eine Tür zuknallte.
„Tut mir leid“, entschuldigte sich Barry. „Ich glaube, meine Mutter stand Claire näher als ich. Und das sagt viel, wenn man bedenkt, dass ich vor zwei Wochen einen Verlobungsring gekauft habe.“
„Ihr Verlust tut mir sehr leid“, sagte Mackenzie.
„Das höre ich sehr oft im Moment“, erwiderte Barry und blickte auf den Tisch. „Es kam unerwartet, und obwohl ich gestern, als die Polizei mir das gesagt hat, wie ein Kind geweint habe, habe ich es geschafft, mich zusammenzureißen. Meine Mutter ist gekommen, um mir ein wenig mit der Beerdigung zu helfen und ich bin dankbar für ihre Hilfe, aber sie ist ein wenig überbeschützend. Sobald sie einmal weg ist, lasse ich wahrscheinlich alle Trauer raus, wissen Sie?“
„Ich werde Ihnen eine Frage stellen, die vielleicht dumm scheint“, sagte Mackenzie. „Aber kennen Sie vielleicht jemanden, der einen Grund hat Claire so etwas anzutun?“
“Nein. Die Polizei hat mich dasselbe gefragt. Sie hatte überhaupt keine Feinde, wissen Sie? Sie und ihre Mutter haben sich nicht gut verstanden, aber es ging nicht so weit, dass sie ihr das antun würde. Claire war eine ziemlich zurückhaltende Person, wissen Sie? Sie stand ihren Freunden nicht nahe oder irgendjemand anderem … sie hatte nur Bekanntschaften. So was eben.“
„Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?“, fragte Mackenzie.
„Vor acht Tagen. Sie ist hier hergekommen, um zu sehen, ob ich irgendwas habe, was sie noch in ihren Lagerraum bringen konnte. Wir haben darüber gelacht. Sie wusste nicht, dass ich den Ring hatte. Aber wir wussten beide, dass wir heiraten würden. Wir haben Pläne dafür gemacht. Als sie gefragt hat, ob ich noch etwas habe, was ich bei ihr lagern kann, war das nur noch eine weitere Art der Bestätigung, wissen Sie?“
“Nach dem sie da war, wie lange hat es gedauert, ehe Sie sich Sorgen gemacht haben? Mir ist nicht bekannt, dass Sie sie als vermisst gemeldet haben oder Ähnliches.“
„Naja, ich bin am Community College und mache meinen GPA, um wieder ins College zu gehen und mein Studium zu beenden. Ich habe viel Arbeit damit und dazu habe ich noch eine Arbeit, wo ich vierzig bis fünfundvierzig Stunden die Woche arbeite. Es gibt also immer wieder vier oder fünf Tage, wenn Claire und ich uns nicht sehen. Aber nach drei Tagen und keinen Nachrichten oder Anruf von ihr, habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen. Ich bin zu ihrer Wohnung gefahren, um mit ihr zu sprechen und sie hat nicht aufgemacht. Ich habe daran gedacht, die Polizei zu rufen, aber das schien mir dumm. Und wirklich ganz tief in mir drin habe ich mich gefragt, ob sie mich einfach verlassen hat. Vielleicht hat ihr der Gedanke an eine Hochzeit Angst gemacht oder so.“
„Als Sie sie das letzte Mal gesehen haben, schien sie da in Ordnung zu sein? Hat sie sich unnormal verhalten?“
„Nein, es ging ihr gut. Sie war in guter Stimmung.“
„Wissen Sie vielleicht, was sie in ihrem Lagerraum aufbewahren wollte?“
„Wahrscheinlich ein paar Bücher aus dem College. Sie hatte sie schon eine Weile in ihrem Kofferraum herumgefahren.“
„Wissen Sie, wie lange sie den Raum schon gemietet hat?“
„Ungefähr sechs Monate. Sie hatte Dinge aus Kalifornien geholt und dort gelagert. „Noch einmal … wir haben irgendwie gespürt, dass wir heiraten, also hat sie, anstatt die Dinge direkt in ihre Wohnung zu schaffen, ein paar Sachen in dem Lagerraum gelassen. Deswegen hat sie es überhaupt gemietet, denke ich. Ich habe ihr gesagt, dass es nicht nötig ist, aber sie sagte immer nur, es wäre so viel einfacher, wenn wir zusammenziehen.“
“Ich habe gefragt, ob Claire irgendwelche Feinde hatte … aber was ist mit Ihnen? Gibt es irgendjemanden, der Ihnen das antun würde, um Sie zu verletzen?“
Barry sah erstaunt aus, als wenn er daran noch nie gedacht hätte. Er schüttelte langsam seinen Kopf und sie dachte, er würde anfangen zu weinen. „Nein. Aber ich wünschte, es gäbe jemanden. Das würde mir helfen, einen Sinn darin zu sehen. Ich kenne eigentlich niemanden, der Claire tot sehen möchte. Sie war … sie war einfach nett. Die süßeste Person, die Sie je getroffen haben.“
Mackenzie sah, dass er ehrlich war. Sie wusste auch, dass sie von Barry Channing nichts weiter erfahren würde. Sie legte eine ihrer Visitenkarten auf den Tisch und schob sie zu ihm hinüber.
„Wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann rufen Sie mich bitte an“, sagte sie.
Er nahm eine Karte und nickte nur.
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