„Ist sie offiziell einem dieser Dinge beigetreten?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Ms. Ramirez, ich bin mir sicher, dass Sie wissen, dass ich Sie fragen muss, wo Sie sich für den vorhergehenden Teil des Tages aufgehalten haben, bevor sie Jessie Fairchilds Leiche entdeckt haben.“
„Ja, dessen bin ich mir bewusst“, sagte sie und seufzte leicht. „Es war Freitag. Und freitags habe ich den Morgen für mich. Manchmal schlafe ich einfach aus und schaue mir ein paar Fernsehsendungen an. Manchmal erledige ich Besorgungen. Aber letzten Freitag war ich tatsächlich für einen Teil des Vormittags in der Bibliothek.“
„Hat Sie irgendjemand dort gesehen, der dies bestätigen kann?“
„Ja. Ich habe ein paar alte Kisten vom Speicher aussortiert. Ich habe einen Haufen alter Taschenbücher an die Freunde der Bücherei gespendet. Ich habe sie auf einem der kleinen Rollwagen der Bibliothek hineingerollt und half dem Bibliothekar-Assistenten sogar dabei, sie zu sortieren.“
„Erinnern Sie sich daran, um wie viel Uhr dies in etwa gewesen sein könnte?“
„Sicher. Ich kam um kurz nach halb elf dort an, glaube ich. Ich ging um etwa elf oder ein wenig später. Dann bin ich zum Haus der Fairchilds gefahren.“
„Haben Sie auf dem Weg dorthin irgendwo angehalten?“
„Das habe ich. Ich habe bei McDonalds angehalten, um mir etwas zum Mittagessen zu holen.“
„Und als Sie am Haus ankamen… haben Sie nichts Ungewöhnliches gesehen?“
„Überhaupt nichts. Das erste Ungewöhnliche, was mir auffiel, war, als ich Jessie in ihrer Laufkleidung auf dem Bett liegen sah.“
„Uns wurde von der Polizei mitgeteilt, dass ihr Mann sich in der Stadt befand… nicht auf einer Geschäftsreise. Wissen Sie, ob da etwas Wahres dran ist?“
„Ich denke schon. Normalerweise lassen sie mich wissen, wann Mark unterwegs sein wird. Aber so weit ich weiß, war er am Freitag im Büro vor Ort. Ich kam gegen elf Uhr dreißig bei ihnen an… was bedeutet, dass er wahrscheinlich etwa drei oder vier Stunden bevor ich ankam, gegangen war.“
„Ms. Ramirez“, sagte Rhodes, „denken Sie, dass es irgendeine Möglichkeit gibt, dass Mark sie ermordet hat?“
Rosa schüttelte zuversichtlich ihren Kopf. „Nein. Ich meine, ich weiß, dass nichts unmöglich ist, aber ich bezweifle es wirklich. Er ist ein netter Kerl. Und sehr verspielt und lieb zu ihr. Sie sind beide Anfang fünfzig… die Art von Pärchen, die noch immer Händchen halten. Ich habe sogar mal gesehen, wie er ihr spielerisch auf den Hintern gehauen hat, wie zwei junge Frischvermählte. Sie schienen sehr glücklich.“
Chloe ließ all dies auf sich wirken. Sie war sich sicher, dass Rosa nichts mit Jessie Fairchilds Mord zu tun hatte. Sie würde die örtliche Polizei das Alibi, welches sie gerade genannt hatte, überprüfen lassen, aber sie hatte das Gefühl, dass es vergebliche Mühe sei.
„Vielen Dank für Ihre Zeit“, sagte Chloe und trank ihren Kaffee in einem langen Schluck aus. Sie reichte Rosa eine ihrer Visitenkarten, als sie sich auf den Weg zur Tür machte. „Bitte melden Sie sich bei mir, sollte Ihnen noch etwas einfallen“, sagte sie.
Rosa nickte, während sie sie zur Tür begleitete. „Es gibt tatsächlich noch eine Sache, die mir einfällt“, sagte sie.
„Was wäre das?“
„Der Ring auf dem Nachttisch… der genutzt wurde, um ihre Kehle aufzuschneiden. Es ist ungewöhnlich, dass er dort war. Jessie war so etwas wie eine Art Ordnungsfreak – deshalb hatte sie eine Putzfrau, obwohl sie das Haus selbst größtenteils sauber hielt. Ich habe noch nie Schmuck einfach so rumliegen gesehen.“
Chloe nickte, da sie sich bereits damit beschäftigt hatte. Der Ring war nicht nur eine Botschaft des Täters gewesen, sondern es bewies auch, dass der Mord höchstwahrscheinlich nicht mit dem Reichtum oder einem verpatzten Einbruch zu tun hatte. Es war ein teurer Ring, der für nichts weiter verwendet worden war, als eine grobe Waffe darzustellen. Obwohl der Mörder ihn zu einem gewissen Zeitpunkt in der Hand gehabt hatte, hatte er kein Interesse daran gehabt, ihn zu stehlen.
Und allein das sprach Bände über den Mörder.
Nun, dachte Chloe, muss ich nur noch die Botschaft des Mörders übersetzen.
Es war kurz nach fünf, als Chloe und Rhodes Rosas Wohnung verließen. Von ihrem Parkplatz aus waren es nur fünfundvierzig Minuten Fahrt bis nach DC zurück. Chloe sah dies als großen Bonus an, da es dadurch nicht nötig war, in ein Motel einchecken zu müssen. Die einzige Schwierigkeit, die es mit sich brachte, war allerdings, dass es schwer zu sagen war, wann sie Feierabend machen sollten.
„Sollten wir zur Bibliothek gehen und Rosas Alibi überprüfen?“, fragte Rhodes, als Chloe vom Parkplatz des Wohnkomplexes fuhr.
„Ich habe darüber nachgedacht, aber es ist Sonntagnachmittag. Es ist zweifelhaft, dass die Bücherei überhaupt noch geöffnet ist. Ich denke, ich würde gerne herausfinden, woher dieser Ring kommt. Wenn wir zum Beispiel herausfinden könnten, wer ihn zuletzt getragen hat. Wenn sich der Ehemann nicht einmal daran erinnern kann, dass er seiner Frau gehörte…“
Rhodes öffnete ihren Mund, um zu antworten, aber das Klingeln von Chloes Handy unterbrach sie. Chloe beantwortete den Anruf sofort, wobei sie an diesem schleppenden Sonntagnachmittag auf einen Hinweis hoffte.
„Hier spricht Agentin Fine“, antwortete sie.
„Agentin Fine, hier spricht Deputy Nolan. Ich dachte, Sie würden gerne hören, dass ich in der Lage war, Kontakt mit Mark Fairchild, dem Ehemann, aufzunehmen. Er wird heute Abend gegen acht Uhr zum Polizeirevier kommen. Er und sein Bruder sind auf dem Weg zurück, um sich um die Beerdigungsangelegenheiten, die Versicherungsunterlagen und solche Dinge zu kümmern.“
„Und er weiß, dass das FBI sich mit der Untersuchung befasst?“
„Das tut er. Er schien erfreut darüber zu sein und möchte gern mit Ihnen sprechen.“
„Dann werde ich Sie um neun treffen“, sagte Chloe und beendete das Gespräch genau so, wie sie es gehofft hatte: mit einer weiteren Informationsquelle. Wenn die Informationen einem zugeflogen kamen, anstatt dass man sie aufspüren musste, war dies in der Regel ein schneller und einfacher Fall.
Chloe hoffte nur, dass die Dinge in demselben Tempo weitergingen.
* * *
Es war vom ersten Blick an deutlich zu sehen, dass Mr. Fairchild nicht gut geschlafen hatte. Allein seinem Erscheinungsbild nach zu urteilen hätte Chloe wetten können, dass er nicht geschlafen hatte, seit er erfuhr, dass seine Frau getötet worden war. Er hatte dunkle Ränder unter seinen Augen – Augen, die ins Nichts zu starren schienen, während sie gleichzeitig schnell in dem kleinen Konferenzraum umherflitzten, so als versuche er, alles aufzunehmen. Sein Haar war zerzaust und ein dünner Stoppelbart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts.
Trotzdem sah er konzentriert und entschlossen aus. Er saß etwas in sich zusammengesackt auf einem Stuhl und hielt eine Tasse Kaffee, die Nolan ihm gegeben hatte, trank jedoch nicht davon. Sein Bruder stand in der Ecke und sah genau so müde aus, er wachte jedoch über seinen trauernden Bruder.
Chloe wusste, dass das bevorstehende Gespräch schwierig werden könnte. Trauernde Menschen, die eindeutig müde waren und noch immer mit dem Gedanken des kürzlichen Verlustes zu kämpfen hatten, konnten kompliziert sein. Sie würden entweder endlos lange reden, oft ohne auf den Punkt zu kommen, oder sie würden innerhalb weniger Sekunden die Kontrolle über ihre Emotionen verlieren. Sie wusste also, dass sie die Leitfragen sorgfältig auswählen und ihm dabei das Gefühl verleihen musste, dass er die Kontrolle hatte.
„Mr. Fairchild, ich möchte bitte, dass Sie mir Ihren Freitagmorgen beschreiben. Beziehen Sie jedes Detail mit ein, egal wie klein oder trivial es zu sein scheint.“
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