»Ja, bitte.«
Sie klappte ihren Block zu und marschierte von dannen. Augenblicklich war Mr. Gray wieder an der verschlossenen Tür zu Jonesys Büro, und er war wieder fuchsteufelswild.
Wie konntest du das tun?, fragte er. Wie konntest du das von da aus tun? Dann ein böser Knall, als Mr. Gray auf die Tür einschlug. Und er war mehr als nur wütend, das wurde Jonesy klar. Er hatte auch Angst. Denn wenn sich Jonesy ein-mischen konnte, war alles in Gefahr. leb weiß es nicht, sagte Jonesy, und das entsprach der
Wahrheit. Aber nimm's nicht so schwer. Lass dir dein Frühstück schmecken. Ich hab dich nur ein bisschen getriezt.
Wieso? Immer noch wütend. Immer noch aus dem Brunnen von Jonesys Gefühlen schöpfend und es wider besseres Wissen genießend. Wieso machst du so was?
Bezeichnen wir es mai als kleine Rache für den Versuch, mich zu rösten, als ich in meinem Büro geschlafen habe, sagte Jonesy.
Da der Restaurantbereich der Raststätte so gut wie leer war, kam Darlene in null Komma nichts mit dem Essen. Jonesy überlegte, ob er probieren sollte, lange genug die Kontrolle über seinen Mund zu erlangen, um etwas Freches zu sagen (Darf ich in Ihr Haar beißen, Darlene?, fiel ihm auf Anhieb ein), ließ es dann aber bleiben.
Sie stellte seinen Teller ab, warf ihm einen skeptischen Blick zu und ließ ihn dann allein. Mr. Gray, der mit Jonesys Augen den leuchtend gelben Eierhaufen und die dunklen Bacon-Streifen betrachtete (nicht nur kross, sondern, entsprechend der großartigen Tradition bei Dysart's, fast ver-schmurgelt), war ähnlich skeptisch gestimmt.
Nur zu, sagte Jonesy. Er beobachtete alles belustigt und neugierig von seinem Bürofenster aus. War es denkbar, dass die Eier und der Speck tödlich für Mr. Gray waren? Wahrscheinlich nicht, aber wenigstens würde dem schweinischen Entführer so richtig schön kotzübel davon werden. Nur zu, Mr. Gray. Iss. Bon appétit.
Mr. Gray schlug in Jonesys Daten den korrekten Gebrauch des Bestecks nach, nahm dann mit den Spitzen der Gabelzinken eine winzige Spur Rührei auf und schob sie in Jonesys Mund.
Was dann geschah, war ebenso erstaunlich wie komisch. Mr. Gray schlang sofort alles herunter und hielt zwischendurch nur kurz inne, um die Pfannkuchen mit künstlichem Ahornsirup zu übergießen. Es schmeckte ihm köstlich, vor allem der Bacon.
Fleisch!, hörte Jonesy ihn frohlocken - es klang so ähnlich wie eine Monsterstimme aus einem dieser lächerlichen alten Gruselfilme aus den Dreißigern. Fleisch! Fleisch! Das ist der Geschmack von Fleisch!
Schon komisch ... aber so komisch dann auch wieder nicht. Eher grauenerregend. Der Ruf eines frisch geborenen Vampirs.
Mr. Gray schaute sich um, dass auch niemand zusah (der recht stämmige Polizist widmete sich nun einem großen Stück Kirschkuchen), hob dann den Teller und leckte mit Jonesys Zunge das Fett ab. Dann leckte er sich auch noch den klebrigen Sirup von den Fingerspitzen.
Darlene kam wieder, schenkte Kaffee nach und sah die leeren und sauberen Teller. »Na, da können wir uns das Spülen ja fast sparen«, sagte sie. »Möchten Sie noch etwas?«
»Mehr Bacon«, sagte Mr. Gray. Er schaute in Jonesys Daten die korrekte Redeweise nach und fügte dann hinzu: »Eine doppelte Portion.«
Mögest du daran ersticken, dachte Jonesy, längst nicht mehr so hoffnungsfroh.
»Dann will ich den Ofen mal schüren«, sagte Darlene, eine Bemerkung, die Mr. Gray nicht verstand und auch nicht extra in Jonesys Akten nachschlug. Er gab zwei Tütchen Zucker in seinen Kaffee, schaute sich dann wieder um, dass auch niemand zusah, und schüttete sich den Inhalt einer dritten in den Rachen. Jonesys Augen schlössen sich schwelgerisch halb für ein paar Sekunden, während sich Mr. Gray dem Glück der Süße hingab.
Das kannst du haben, so oft du willst, sagte Jonesy durch die Tür. Jetzt glaubte er zu wissen, wie sich der Teufel gefühlt hatte, als er Jesus hoch hinauf geführt und ihn versucht hatte, indem er ihm die Reiche der Welt gezeigt hatte. Nicht gut; und auch nicht richtig schlecht; er tat nur seine Arbeit und verkaufte eben sein Produkt.
Außer dass ... na so was aber auch. Es fühlte sich durchaus gut an, denn er merkte, dass er zu ihm durchdrang. Er brachte ihn nicht unbedingt so richtig in Versuchung, setzte ihm aber durchaus zu. Löste ein sehnsüchtiges Prickeln bei ihm aus.
Gib es auf, beschwatzte ihn Jonesy. Werde ein Mensch. Dann kannst du für den Rest deines Lebens meine Sinne ausprobieren. Sie sind noch ziemlich scharf; ich bin noch keine vierzig.
Keine Antwort von Mr. Gray. Er schaute sich um, sah, dass niemand guckte, goss sich künstlichen Ahornsirup in den Kaffee, schlürfte ihn und sah sich dann schon nach seinem Bacon-Nachschlag um. Jonesy seufzte. Es kam ihm vor, als wäre er mit einem strenggläubigen Moslem unterwegs, den es im Urlaub irgendwie nach Las Vegas verschlagen hatte.
Am anderen Ende des Restaurants war ein Durchgang. Auf einem Schild darüber stand: truckers' lounge & duschen. In dem kurzen Flur dahinter hingen etliche Telefone, vor denen mehrere Fernfahrer standen und jetzt bestimmt ihren Frauen und Chefs erklärten, dass sie nicht pünktlich kämen, dass sie in Maine von einem überraschenden Sturm aufgehalten würden, dass sie im Dysart's Truck Stop (unter Kennern auch Dry Farts genannt, dachte Jonesy) südlich von Derry seien und dort wahrscheinlich mindestens noch bis morgen Mittag bleiben müssten.
Jonesy wandte sich von seinem Bürofenster mit dem Blick in die Raststätte zu seinem Schreibtisch, der nun mit seinem gewohnten Kram überhäuft war. Da war sein Telefon, das blaue Trimline. Wäre es möglich, Henry damit anzurufen? War Henry überhaupt noch am Leben? Jonesy glaubte schon. Er dachte, wenn Henry gestorben wäre, hätte er es in diesem Moment gespürt - vielleicht wäre es im Zimmer dunkler geworden. Elvis hat das Gebäude verlassen, hatte Biber oft gesagt, wenn er einen ihm bekannten Namen unter den Nachrufen erblickt hatte. So eine gekörn-te Scheiße. Jonesy glaubte nicht, dass Henry schon das Gebäude verlassen hatte. Vielleicht plante Henry sogar noch eine Zugabe.
8
Mr. Gray erstickte nicht an seinem zweiten Teller Bacon, aber als sich sein Unterbauch plötzlich zusammenkrampfte, brüllte er entsetzt auf. Du hast mich vergiftet!
Ganz ruhig, sagte Jonesy. Du musst nur ein wenig Platz schaffen, mein Freund.
Platz? Wie meinst-
Er verstummte, als ein weiterer Krampf seine Eingeweide packte.
Damit meine ich, dass wir jetzt besser mai ganz schnell für kleine Jungs gehen, sagte Jonesy. Meine Güte, habt ihr denn bei den ganzen Entführungen in den Sechzigern gar nichts über den menschliche Körper gelernt?
Darlene hatte die Rechnung liegen lassen, und Mr. Gray hob sie auf.
Lass ihr fünfzehn Prozent auf dem Tisch Hegen, sagte Jonesy. Das ist das Trinkgeld.
Wie viel ist fünfzehn Prozent?
Jonesy seufzte. Und das waren die Herren des Universums, die uns das Kino zu fürchten gelehrt hatte? Gnadenlose, raumfahrende Eroberer, die nicht mal wussten, wie man kacken ging oder ein Trinkgeld kalkulierte?
Wieder ein Krampf, dazu ein verhältnismäßig leiser Furz. Er roch, aber nicht nach Äther. Man muss sich auch über kleine Dinge freuen können, dachte Jonesy. Dann, an Mr. Gray gerichtet: Zeig mir die Rechnung.
Jonesy betrachtete durch sein Bürofenster den grünen Zettel. Lass einen Dollar fünfzig liegen. Und als Mr. Gray skeptisch wirkte: Das ist nur ein guter Rat von mir, mein Freund. Wenn du ihr mehr gibst, bleibst du ihr als spendabelster Gast des Abends in Erinnerung. Und wenn du ihr weniger gibst, bleibst du ihr als Geizkragen in Erinnerung.
Er spürte, wie Mr. Gray in Jonesys Daten die Bedeutung des Wortes »Geizkragen« nachschlug. Dann ließ er, ohne weiteren Kommentar, einen Dollarschein und zwei Vierteldollarmünzen auf dem Tisch liegen. Da das nun erledigt war, brach er zur Kasse auf, die sich auf dem Weg zur Herrentoilette befand.
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