«Sieht sie nicht reizend aus, Albert?», flüsterte sie. «Ist unser Kind nicht das schönste Baby, das du in deinem ganzen Leben gesehen hast?»
«Komm jetzt, Mabel», sagte er. «Komm und koche uns etwas zu essen. Wir haben’s beide nötig.»
Nach Tisch setzten sich die Eltern im Wohnzimmer in ihre Sessel, Albert mit seiner Zeitschrift und seiner Pfeife, Mrs. Taylor mit ihrem Strickzeug. Diesmal aber war die Atmosphäre ganz anders als am Abend zuvor. Alle Spannungen hatten sich plötzlich in nichts aufgelöst. Mrs. Taylors hübsches ovales Gesicht strahlte vor Freude, ihre Wangen waren rosig, ihre Augen glänzten, und um den Mund lag ein kleines träumerisches Lächeln. Ab und zu sah sie von ihrer Handarbeit auf, um Albert einen liebevollen Blick zuzuwerfen. Gelegentlich verstummte das Klappern der Nadeln für einige Sekunden, und dann saß sie mäuschenstill, schaute zur Decke hinauf, lauschte, ob oben ein Schrei oder ein Wimmern ertönte. Doch nichts rührte sich im Schlafzimmer.
«Albert», begann sie nach einer Weile.
«Ja, Liebste?»
«Was wolltest du mir gestern Abend erzählen, als du ins Schlafzimmer gestürzt kamst? Du sagtest, du hättest eine Idee wegen des Babys.»
Albert Taylor ließ die Zeitschrift sinken und sah seine Frau verschmitzt an. «Habe ich das gesagt?»
«Ja.» Sie wartete, dass er weiterspräche, aber er schwieg.
«Warum grinst du so?», erkundigte sie sich dann. «Denkst du an etwas Komisches?»
«Komisch ist es, das stimmt», gab er zu.
«Sag’s mir doch, Liebster.»
«Ich weiß nicht recht, ob ich’s tun soll», antwortete er. «Vielleicht hältst du mich für einen Schwindler.»
Selten hatte sie ihn so selbstzufrieden gesehen. Sie lächelte ihm aufmunternd zu.
«Ich bin bloß auf dein Gesicht gespannt, wenn du das hörst, Mabel.»
«Aber Albert, was ist denn los?»
Er war nicht gesonnen, sich hetzen zu lassen.
«Du findest doch, dass es der Kleinen bessergeht, nicht wahr?», fragte er.
«Natürlich finde ich das.»
«Du stimmst mit mir überein, dass sie auf einmal ausgezeichnet trinkt und kaum wiederzuerkennen ist?»
«Ja, Albert, gewiss.»
«Gut», sagte er, und sein Lächeln wurde noch breiter. «Und siehst du, das habe ich fertiggebracht.»
«Was hast du fertiggebracht?»
«Das Kind gesund zu machen.»
«Ja, Liebster, davon bin ich fest überzeugt.» Mrs. Taylor strickte emsig.
«Du glaubst mir nicht, wie?»
«Natürlich glaube ich dir, Albert. Du hast es geschafft, du ganz allein.»
«Und wie habe ich das angefangen?»
«Nun …» Sie überlegte einen Augenblick. «Wahrscheinlich hast du ein besonderes Geschick, die richtige Mischung von Milch und Haferflocken zu treffen. Denn seitdem du das Fläschchen zurechtmachst, ist sie wohler und wohler geworden.»
«Du meinst also, das Mischen sei eine Art Kunst?»
«Sieht jedenfalls so aus.» Still in sich hineinlächelnd strickte sie weiter. Männer sind doch große Kinder, dachte sie.
«Ich will dir ein Geheimnis verraten», sagte er. «Du hast völlig recht mit deiner Vermutung. Allerdings kommt es beim Mischen gar nicht so sehr auf das Wie an. Das wichtigste sind die Zutaten, Mabel, verstehst du?»
Mrs. Taylor sah ihren Mann scharf an. «Albert», sagte sie, «du willst doch nicht etwa behaupten, du hättest dem Kind irgendwas in die Milch gemischt?»
Er grinste.
«Hast du’s getan oder nicht?»
«Kann schon sein», antwortete er.
«Was soll das heißen?»
Das Lächeln, das seine Zähne entblößte, gab ihm ein merkwürdig grimmiges Aussehen.
«Albert», rief sie, «hör auf, dich über mich lustig zu machen.»
«Ja, mein Herz.»
« In Wirklichkeit hast du ihr nichts in die Milch gemischt, nicht wahr? Sag mir die Wahrheit, Albert. Bei einem so kleinen Kind könnte das schlimme Folgen haben.»
«Doch, Mabel, ich hab’s getan.»
«Albert Taylor! Wie konntest du?»
«Reg dich nicht auf», erwiderte er. «Wenn du willst, sollst du alles genau hören, aber um Himmels willen ruhig.»
«Bier war es! Ich weiß genau, es war Bier!»
«Bitte, Mabel, rede keinen Unsinn.»
«Was war es denn sonst?»
Vorsichtig legte Albert seine Pfeife auf den Tisch und lehnte sich im Sessel zurück. «Sag mal», begann er, «hast du schon mal was von Gelée Royale gehört?»
«Nein, nie.»
«Das ist eine großartige Sache», erklärte er. «Wirkt geradezu Wunder. Und gestern Abend fiel mir plötzlich ein, dass ich etwas davon in die Milch tun könnte …»
«Um Gottes willen!»
«Mabel, du weißt ja noch gar nicht, was es ist.»
«Das interessiert mich auch nicht», versetzte sie. «Man darf doch einem so zarten Kind nicht irgendwas in die Milch tun. Bist du denn verrückt geworden?»
«Gelée Royale ist absolut unschädlich, Mabel, sonst hätte ich’s der Kleinen nie gegeben. Es kommt von Bienen.»
«Das hätte ich mir denken können.»
«Und es ist so kostbar, dass es praktisch unerschwinglich ist. Wer es als Medizin nehmen will, muss sich jedes Mal mit einem winzigen Tropfen begnügen.»
«Und darf ich fragen, wie viel du unserem Kind gegeben hast?»
«Ah», sagte er, «das ist der springende Punkt. Jetzt kommen wir zur Sache. Ich schätze, dass unser Baby allein bei den letzten vier Mahlzeiten ungefähr fünfzigmal so viel Gelée Royale geschluckt hat wie sonst jemand auf der Welt. Was sagst du nun?»
«Bitte, Albert, mach keine Witze.»
«Ich kann’s beschwören», sagte er stolz.
Sie saß mit halboffenem Mund und gerunzelter Stirn im Sessel und starrte ihn an.
«Weißt du, was dieses Gelée Royale kostet, wenn du’s kaufen willst, Mabel? Neulich habe ich die Annonce einer amerikanischen Firma gelesen, und da wurde die Pfunddose zu einem Preis von rund fünfhundert Dollar angeboten. Fünfhundert Dollar! Das ist teurer als Gold, verstehst du!»
Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon er sprach.
«Ich kann’s dir beweisen!» Er sprang auf und ging zu dem großen Bücherschrank, in dem er seine Bienenliteratur verwahrte. Im obersten Fach waren sämtliche Nummern der Amerikanischen Bienenzeitschrift sauber neben denen der Britischen Bienenzeitschrift und anderen Fachblättern aufgeschichtet. Albert nahm das neueste Heft der Amerikanischen Bienenzeitschrift heraus und schlug eine Seite mit kleinen Anzeigen auf.
«Bitte sehr», rief er. «Genau, wie ich gesagt habe. ‹Wir verkaufen Gelée Royale zum Großhandelspreis von vierhundertachtzig Dollar je Pfunddose.›»
Er reichte ihr das Heft, damit sie sich selbst überzeugen konnte.
«Glaubst du mir nun? Das ist eine Firma in New York, Mabel. Steht alles wörtlich da.»
«Es steht aber nicht da, dass man es einem Baby in die Milch rühren darf», antwortete sie. «Ich weiß wirklich nicht, Albert, was du dir dabei gedacht hast.»
«Das Zeug hilft ihr doch, oder nicht?»
«So sicher bin ich da gar nicht mehr.»
«Sei nicht albern, Mabel. Du weißt, dass es hilft.»
«Dann müssten es andere Leute ihren Kindern ja auch geben.»
«Ich sage dir doch, dass es zu teuer ist», antwortete er. «Nur so zum Einnehmen kann sich kein Mensch in der Welt reines Gelée Royale leisten – höchstens vielleicht ein oder zwei Multimillionäre. Die Einzigen, die es kaufen, sind große Handelsgesellschaften, die Hautcreme und andere Schönheitsmittel für Frauen herstellen. Sie mischen ganz wenig davon in eine große Dose Creme, und das geht dann zu enormen Preisen ab wie warme Semmeln. Es soll die Runzeln glätten.»
«Und stimmt das?»
«Du lieber Himmel, wie soll ich das wissen, Mabel? Aber darauf» – er kehrte zu seinem Sessel zurück –, «darauf kommt es nicht an. Wichtig ist nur, dass dieses Gelée Royale unserer Kleinen in kürzester Zeit geholfen hat, und deshalb finde ich, wir sollten es ihr auch weiterhin geben. Nein, unterbrich mich nicht, Mabel. Lass mich ausreden. Ich habe draußen zweihundertvierzig Bienenkörbe, und wenn ich hundert davon auf die Produktion von Gelée Royale umstelle, dann können wir ihr so viel geben, wie sie braucht.»
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