Richard Pratt lehnte sich zurück, hielt die Hände in Brusthöhe und legte die Fingerspitzen sorgfältig gegeneinander. Er benahm sich lächerlich anmaßend, aber das war wohl Absicht – er wollte seinen Gastgeber verspotten. Ich war ziemlich gespannt, wie es weitergehen würde. Louise zündete sich eine Zigarette an. Pratt hörte das Zischen des aufflammenden Streichholzes und fuhr herum, plötzlich von Wut gepackt. «Bitte!», rief er. «Bitte, unterlassen Sie das! Es ist eine widerliche Angewohnheit, bei Tisch zu rauchen.»
Sie schaute ihn an, das brennende Streichholz noch in der Hand; der Blick ihrer großen, ruhigen Augen heftete sich auf sein Gesicht, verweilte dort einige Sekunden und entfernte sich dann langsam und verächtlich. Sie senkte den Kopf und blies das Streichholz aus, behielt jedoch die unangezündete Zigarette zwischen den Fingern.
«Entschuldigen Sie, meine Liebe», sagte Pratt, «aber ich kann es einfach nicht ertragen, wenn bei Tisch geraucht wird.»
Diesmal schaute sie ihn nicht an.
«Nun, lassen Sie mich sehen – wo waren wir stehengeblieben?», sprach er weiter. «Ach ja. Dieser Wein ist also aus Bordeaux, aus der Gemarkung Saint-Julien in Médoc. Gut und schön. Aber jetzt kommen wir zu dem schwierigsten Teil – dem Namen des Weinguts. Denn in Saint-Julien gibt es sehr viele Weingüter, und wie unser Gastgeber vorhin so treffend und richtig bemerkte, ist der Unterschied zwischen dem Wein des einen und dem des anderen oft recht geringfügig. Und trotzdem …»
Er hielt inne und schloss die Augen. «Ich versuche, die ‹Lage› zu bestimmen», erklärte er. «Wenn mir das gelingt, ist die Schlacht schon halb gewonnen. Einen Moment bitte … Dies ist offenbar kein Wein erster Lage – nicht einmal zweiter. Es ist kein großer Wein. Ihm fehlt die Qualität, das … das – wie soll ich sagen? – das Feuer, die Kraft. Aber eine dritte Lage – das könnte sein. Und doch bezweifle ich es. Wir wissen von unserem Gastgeber, dass es ein guter Jahrgang ist, und das schmeichelt dem Wein vermutlich etwas. Ich muss vorsichtig sein. Ich muss hier sehr vorsichtig sein.»
Er hob sein Glas und nahm einen kleinen Schluck.
«Ja», sagte er, mit den Lippen schmatzend. «Ich hatte recht. Es ist ein Wein vierter Lage. Jetzt bin ich sicher. Ein Wein vierter Lage von einem sehr guten Jahrgang, sogar von einem ganz großen Jahrgang. Deswegen schmeckte er im ersten Augenblick wie ein Wein dritter oder sogar zweiter Lage. Gut! Ausgezeichnet! Wir kommen der Sache schon näher. Was für Weingüter vierter Lage gibt es in der Gemarkung Saint-Julien?»
Wieder hob er das Glas und hielt den Rand an seine weiche, vorgewölbte Unterlippe. Ich sah die Zungenspitze hervorschießen, rosa und schmal, in den Wein tauchen und zurückschnellen – ein abstoßender Anblick. Mit geschlossenen Augen setzte er das Glas ab. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck schärfster Konzentration; nur die fleischigen Lippen bewegten sich, glitten übereinander wie zwei feuchte Schwammstücke.
«Da ist es wieder!», rief er. «Gerbsäure im Mittelgeschmack und dieses Gefühl, als zöge die Zunge sich leicht zusammen. Ja, ja, natürlich! Jetzt hab ich’s! Der Wein kommt von einem der kleinen Güter um Beychevelle. Ich erinnere mich deutlich … Die Gegend um Beychevelle … der Fluss … der kleine Hafen, der so verschlammt ist, dass die Weinkähne ihn nicht mehr benutzen können. Beychevelle … Vielleicht sogar ein Beychevelle selbst? Nein, das glaube ich nicht. Aber irgendwo in der Nähe … Château Talbot? Könnte es ein Talbot sein? Ja, das wäre möglich. Warten Sie …!»
Er nippte an seinem Glas. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sich Mike Schofield immer weiter über den Tisch beugte, den Mund ein wenig geöffnet, die kleinen Augen starr auf Richard Pratt gerichtet.
«Nein. Ich hatte unrecht. Es ist kein Talbot. Ein Talbot spricht einen etwas schneller an als dieser hier; das Bouquet ist dichter an der Oberfläche. Wenn es ein Vierunddreißiger ist, was ich glaube, dann kann es kein Talbot sein. Hm … Lassen Sie mich nachdenken. Kein Beychevelle, kein Talbot und doch – und doch den beiden so ähnlich, so nah verwandt, dass der Weinberg eigentlich zwischen ihnen liegen muss. Nun, welcher könnte das sein?»
Er zögerte, und wir blickten ihn mit atemloser Spannung an. Jeder von uns, sogar Mikes Frau, beobachtete ihn jetzt. Ich hörte, wie sich das Dienstmädchen auf Zehenspitzen dem Büfett hinter mir näherte und die Gemüseschüssel sehr vorsichtig absetzte, um die Stille nicht zu stören.
«Ah!», rief er plötzlich aus. «Ich hab’s! Ja, ich glaube, ich hab’s.»
Er trank den letzten Schluck Wein. Dann, das Glas noch in der zum Mund erhobenen Hand, wandte er sich Mike zu, lächelte – ein weiches, öliges Lächeln – und sagte: «Wenn Sie’s genau wissen wollen: Das ist der kleine Château Branaire-Ducru.»
Mike saß stumm und starr da.
«Und zwar vom Jahrgang neunzehnhundertvierunddreißig.»
Wir alle sahen auf Mike und warteten, dass er die Flasche in ihrem Korb umdrehte und das Etikett zeigte.
«Ist das Ihre endgültige Antwort?», fragte Mike.
«Ich denke schon.»
«Nun, ist sie es, ja oder nein?»
«Ja.»
«Wie war doch der Name?»
«Château Branaire-Ducru. Hübsches Weingütchen. Reizendes altes Château. Kenne es recht gut. Komisch, dass ich nicht gleich darauf gekommen bin.»
«Na los, Daddy», sagte Louise, «dreh sie um und lass uns den Namen sehen. Ich möchte meine beiden Häuser haben.»
«Einen Augenblick», murmelte Mike. «Nur noch einen Augenblick.» Er saß ganz still, wie vom Donner gerührt, und sein Gesicht wurde schwammig und bleich, als flösse die Kraft langsam aus ihm heraus.
«Michael!», rief seine Frau scharf vom anderen Ende des Tisches. «Was ist los?»
«Bitte, Margaret, halt du dich aus dieser Angelegenheit heraus.» Richard Pratt sah Mike an, mit lächelndem Mund und kleinen, glänzenden Augen. Mike sah niemanden an.
«Daddy!», rief seine Tochter angstvoll. «Daddy, du meinst doch nicht etwa, dass er richtig geraten hat?»
«Reg dich nicht auf, Kindchen», stieß Mike hervor. «Dazu besteht überhaupt kein Grund.»
Ich glaube, es war vor allem der Wunsch, seiner Familie zu entrinnen, der Mike bewog, zu Richard Pratt zu sagen: «Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Richard. Wir beide verziehen uns jetzt ins Nebenzimmer und bereden die Sache in aller Ruhe.»
«Ich will nichts bereden», erwiderte Pratt. «Ich will das Etikett auf der Flasche sehen.» Er wusste, dass er gewonnen hatte; seine Haltung, seine gelassene Arroganz waren die eines Siegers, und ich merkte ihm an, dass er höchst unangenehm werden würde, wenn es Schwierigkeiten geben sollte. «Worauf warten Sie noch?», fuhr er Mike an. «Los, drehen Sie um.»
Dann geschah dies: Das Dienstmädchen, eine kleine, aufrechte Gestalt in Schwarz und Weiß, stand auf einmal neben Richard Pratt und hielt etwas in der Hand. «Ich glaube, das gehört Ihnen, Sir», sagte sie.
Pratt wandte sich um und warf einen Blick auf die horngeränderte Lesebrille, die sie ihm zeigte. Er zögerte einen Moment. «So? Ja, vielleicht ist es meine. Ich weiß es nicht.»
«Doch, Sir, sie gehört Ihnen.» Das Dienstmädchen, eine ältere Frau – den siebzig näher als den sechzig –, lebte schon seit vielen Jahren im Hause und war der Familie treu ergeben. Sie legte die Brille auf den Tisch.
Pratt griff danach und schob sie ohne ein Wort des Dankes in die Brusttasche hinter das weiße Taschentuch.
Aber das Mädchen ging nicht fort. Sie blieb neben Richard Pratt stehen – genau gesagt, einen halben Schritt hinter ihm –, und es war etwas so Ungewöhnliches in ihrem Benehmen und in der Art, wie sie dort stand, klein, unbeweglich, hoch aufgerichtet, dass ich von einer plötzlichen Vorahnung befallen wurde. Ihr altes graues Gesicht mit dem vorgestreckten Kinn hatte einen frostigen und entschlossenen Ausdruck, die Lippen waren zusammengepresst, und die Hände hatte sie ineinandergekrampft. Die komische Haube auf ihrem Kopf und der schmale weiße Schürzenlatz ließen sie wie ein zerzauster, weißbrüstiger Vogel erscheinen.
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