Sie hatte keine Zeit für einen richtigen Plan gehabt, aber der Krug eignete sich praktisch als Waffe, und sie zerschlug ihn an einem der Bettpfosten. Das zerbrochene Porzellan war nicht scharf genug, um besonders wirksam zu sein, trotzdem würde sich die gezackte Kante zweifellos in weiche, weiße Haut bohren und Narben hinterlassen. Gegen einen Dämon, der sich auf die Schönheit seiner Gestalt verließ, um seine Opfer anzulocken, konnte das so verheerend wie ein Dolch sein.
Sham stürzte sich auf Lady Sky – die ihr auswich, indem sie sich mit einer Geschwindigkeit vom Bett rollte, um die Sham als Diebin sie beneidete. Sham bekam die Füße unter sich und hechtete Sky erneut entgegen, wurde jedoch von einem festen Griff um ihren Arm zurückgehalten.
»Shamera …« Kerims Stimme klang lallend und verwirrt.
»Hure!«, kreischte Sham, kämpfte gegen Kerims Umklammerung an und schwenkte den zerbrochenen Krug wild durch die Luft. Lady Sky wich einen Schritt zurück. Den ersten Anflug von Erleichterung verspürte Sham, als die entschlossene Miene in Lady Skys Gesicht einem Ausdruck von Angst wich, die der Dämon nicht empfand, davon war Sham überzeugt. Welcher Dämon würde sich schon vor einer Wahnsinnigen fürchten, die ein zerbrochenes Stück Keramik schwenkte?
»Hexe«, klagte Lady Sky sie an und schaute flehentlich zu Kerim. »Sie hat dich mit einem Bann belegt, Kerim, jeder weiß es. Man munkelt, sie beherrscht dich, nur du merkst es nicht.«
»Schamloses Miststück«, schleuderte Sham giftig zurück. »Wenn ich dich noch einmal in seinem Bett erwische, gehören deine Knochen mir! Kannst du keinen eigenen Mann finden?« Im Gegensatz zu dem damenhaften Tonfall der anderen Frau hätte Shamera mühelos einen Schreiwettbewerb gegen die Fleischhöker in Fegfeuer gewonnen.
»Geh, Sky«, meldete sich Kerim unverhofft zu Wort. »Ich kümmere mich um das hier. Aber du solltest vorläufig besser gehen.«
Lady Sky hob das Kinn, machte auf dem Absatz kehrt, zog von dannen und schloss die Tür hinter sich. Leise. Sham hielt ihre Pose noch einen Atemzug lang aufrecht, bevor sie die Überreste des Krugs zu Boden fallen ließ und sich mit zittriger Hand übers Gesicht fuhr.
»Du kannst mich jetzt loslassen«, teilte sie Kerim mit.
Er zögerte, aber da sie keine plötzlichen Bewegungen machte, als er den Griff lockerte, gab er sie schließlich vollständig frei.
»Was sollte das alles?«, fragte er mit nach wie vor benommener Stimme.
Sham sprach, ohne ihn anzusehen. »Ich glaube, ich habe den Dämon gefunden.« Sie hatte nicht vorgehabt, es ihm zu sagen, ehe sie nicht Beweise zur Untermauerung besaß – oder ihre Gedankengänge zumindest klar genug geordnet hatte.
Einen Atemzug lang reagierte er überhaupt nicht, griff sich nur die Bettwäsche und benutzte sie, um sich das Wasser aus dem Gesicht zu wischen. »Ich fühle mich, als hätte ich eine Nacht hinter mir, in der ich mich selbst unter den Tisch getrunken habe. Warte einen Augenblick, bis ich mich gesammelt habe.«
Nach einer Weile schaute er zu Sham auf, die immer noch auf dem Bett stand. »Dringende Neuigkeiten hin, dringende Neuigkeiten her, ich muss mich dafür bedanken, dass du mich davon abgehalten hast, etwas sehr Dummes zu tun. Sky ist noch nicht über Fahills Tod hinweg – geschweige denn über den von Ven. Was sie im Augenblick überhaupt nicht brauchen kann, ist, sich auf jemand Neuen einzulassen.«
Benommen schüttelte er den Kopf. »Ich will verdammt sein, wenn ich weiß, wie ich hier gelandet bin. Das Letzte, woran ich mich deutlich erinnere, ist, dass ich in den Gemächern meiner Mutter mit ihr und Lady Sky gegessen habe. Ich muss wohl zu viel getrunken haben, obwohl mir das schon seit Jahren nicht mehr passiert ist.«
Sham schürzte die Lippen. »Das war kein Alkohol, Kerim, es war Magie.«
Er betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Wie dieser Liebestrank, den du gedroht hast, einem meiner Gardisten zu geben?«
»Vielleicht. Kerim, ich kann mich nicht erinnern, ob du es mir je erzählt hast – wie ist Lady Skys Ehemann gestorben?«
»Die Schwindsucht.«
Sham hielt sich an einem der hohen Bettpfosten fest, als Kerim das Gewicht verlagerte und die Matratze unter ihr zum Schaukeln brachte. Ihre Gedanken rasten ihr voraus, fügten die Teile zusammen. »Sag, Kerim, könnte das Kind, das sie gerade erst verloren hat, von dir gewesen sein?«
Seine Züge erstarrten, aber nach einer kurzen Weile nickte er. »In der Nacht, in der Fahill gestorben ist, sind seine Angetraute und ich bis lange in die Nacht hinein auf gewesen, haben getrunken und geredet. Sie war verstört, auch weil sie erst zwei Monate davor eine Fehlgeburt erlitten hatte. Als ich aufwachte, lag ich in ihrem Bett. Viel weiß ich nicht mehr von jener Nacht – aber als sie schwanger wurde, kam ich ins Grübeln.«
»War es auf dem Rückweg von Fahills Bestattung, dass dein Pferd gestolpert ist und du dir den Rücken verrenkt hast?«
»Ja«, antwortete Kerim.
»Lady Skys Fehlgeburt fand, kurze Zeit nachdem ich die Herrschaft des Dämons über dich gebrochen habe, statt«, sagte Sham.
»Warte«, warf er ein und hob eine Hand. »Willst du mir etwa weismachen, Lady Sky sei der Dämon?«
Sham nickte.
Er schloss die Augen und ließ es sich durch den Kopf gehen, eine bessere Reaktion, als sie erwartet hatte. Als er die Lider letztlich öffnete, betrachtete er, wie sie argwöhnisch an der Ecke seines Bettes kauerte, und schwenkte ungeduldig die Hand.
»Setz dich, du machst mich ganz schwindlig.«
Sham kam der Aufforderung nach und schlug die Beine unter – wobei sie ein wenig Abstand zwischen ihm und sich wahrte. Nachdem sie sich niedergelassen hatte, sagte Kerim: »Ich gebe es ungern zu, aber sie kommt wohl genauso gut infrage wie jeder andere. Ein Teil von mir möchte behaupten, dass eine Frau zu solchen Dingen nicht in der Lage ist, aber ich habe gegen Frauen in den Söldnertruppen bei Sianim ebenso gekämpft wie gegen weibliche Krieger bei Jetaine – in beiden Fällen ist uns nie mehr als ein Patt gelungen.«
Sham grinste flüchtig. »Ich muss zugeben … wäre Sky ein Mann, hätte ich sie mir schon früher viel eingehender angesehen.«
»Was macht dich jetzt so sicher?«, wollte er wissen.
Sham fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Die Möglichkeit kam mir überhaupt erst in den Sinn, als ich hier hereingeplatzt bin. Ich bin ursprünglich gekommen, um mit dir über etwas zu reden, das ich gerade gelesen hatte, in …« Plötzlich verlor sie den Faden, als sich einige weitere Teile zusammenfügten und sie erkennen ließen, was genau der Dämon zu erreichen versuchte.
»Einem Buch?«, schlug Kerim nach einem Atemzug vor.
»Eigentlich Büchern. Ich lese gerade in den beiden, die mir Lord Halvok gegeben hat. Ich bin hergekommen, um nach dir zu suchen, weil ich etwas entdeckt habe, demzufolge der Dämon jemand sein muss, dem du vertraust«, erklärte sie. »Als ich Sky hier sah, haben alle Teile zusammengepasst.«
Sie rieb mit der Hand über eine feuchte Stelle auf dem Bettzeug. »Du weißt, dass Dämonen von einem anderen Ort hierher gerufen werden – beschworen von einem Magier und in einen Bund gezwungen. Sie werden zu Sklaven der Wünsche ihrer Meister gemacht. Wenn der Meister stirbt, stirbt auch der Dämon – es sei denn, es gelingt ihm, den Magier selbst zu töten. Und das ist, was unser Dämon geschafft hat. Wenn du der Dämon wärst, was würdest du wollen?«
»Vergeltung?«
Sham schüttelte den Kopf und schaute auf das Bettzeug. Sie fühlte sich müde: zu viele Gefühle, zu viel Denken. »Ich wurde einst aus meinem Heim gerissen und hineingeschleudert in eine mir fremde, gefährliche Welt. Ich weiß , wie sich das anfühlt. Ich wollte Vergeltung, ja, aber was ich mehr als alles andere wollte, war, nach Hause zurückzukehren.«
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