»Ich werde ihn heiraten«, sagte sie stattdessen. »Das ist keine Möglichkeit, sondern eine Tatsache.« Der Tonfall brachte ihr einen Seitenblick von Amys ein, aber sie knickte nicht ein. Jede Weise Frau, die sich versprach, hatte es verdient, dass man sie korrigierte.
»Und die Feuchtländerin Min Farshaw? Offensichtlich liebt sie ihn. Was wirst du wegen ihr unternehmen?«
»Das ist meine Angelegenheit. Wir werden eine Übereinkunft finden. Ich habe mit Min Farshaw gesprochen, und ich glaube, sie wird sich nicht widersetzen.«
»Du würdest auch sie zur Erstschwester nehmen?« Irgendwie klang Amys amüsiert.
»Wir werden eine Übereinkunft finden, Weise Frau.«
»Und wenn nicht?«
»Das werden wir«, sagte Aviendha energisch.
»Und wieso bist du dir da so sicher?«
Aviendha zögerte. Ein Teil von ihr wollte auf diese Frage nur mit Schweigen reagieren, wollte die blattlosen Dickichte passieren und Amys keine Antwort geben. Aber sie war nur ein Lehrling, und auch wenn man sie nicht zu einer Antwort zwingen konnte, wusste sie doch genau, dass Amys so lange nachhaken würde, bis die Antwort kam. Sie hoffte bloß, dass sie durch ihre Erwiderung nicht zu viel Toh auf sich laden würde.
»Ihr habt von Mins Sichten gehört?«, fragte sie.
Amys nickte.
»Eine dieser Vorhersagen hatte mit Rand al'Thor und den drei Frauen zu tun, die er lieben wird. Eine weitere drehte sich um die Kinder, die ich vom Car'a'carn bekommen werde.«
Sie führte das nicht weiter aus, und Amys setzte sie auch nicht weiter unter Druck. Sie wussten beide, dass man eher einen Steinhund finden würde, der bei einem Kampf den Rückzug antrat, als eine von Mins Vorhersagen, die nicht in Erfüllung gegangen war.
Einerseits war es gut zu wissen, dass Rand al'Thor ihr gehören würde, auch wenn sie ihn teilen musste. Natürlich verspürte sie keinen Neid auf Elayne, aber Min ... nun, eigentlich kannte sie sie ja gar nicht. Trotzdem war die Vorhersage ein Trost. Aber sie war auch ärgerlich. Sie liebte Rand al'Thor, weil sie sich dazu entschieden hatte, und nicht weil es das Schicksal so wollte. Natürlich bot Mins Sicht keine Gewähr, dass sie Rand auch tatsächlich heiratete, also hatte sie sich möglicherweise falsch ausgedrückt. Ja, er würde drei Frauen lieben, und drei Frauen würden ihn lieben, aber würde sie eine Möglichkeit finden, ihn zu heiraten?
Nein, die Zukunft stand nicht fest, und aus irgendeinem Grund fand sie das tröstlich. Vielleicht hätte sie sich Sorgen machen sollen, aber das tat sie nicht. Sie würde ihre Ehre zurückgewinnen, und dann würde sie Rand al'Thor heiraten. Vielleicht würde er kurz darauf sterben, aber genauso gut konnte sie heute in einen Hinterhalt geraten und durch einen Pfeilschuss sterben. Sich zu sorgen brachte gar nichts.
Toh war jedoch eine ganz andere Sache.
»Ich habe mich falsch ausgedrückt, Weise Frau«, sagte sie. »Ich habe gesagt, dass ich Rand al'Thor laut dieser Vorhersage heiraten werde. Das stimmt nicht. Wir drei werden ihn lieben, und auch wenn man da selbstredend an Ehe denkt, weiß ich es dennoch nicht mit Sicherheit.«
Amys nickte. Es gab kein Toh; sie hatte sich schnell genug korrigiert. Das war gut. Sie würde nicht noch mehr zusätzliche Schande zu der anhäufen, die sie bereits auf sich geladen hatte.
»Also gut«, sagte Amys und betrachtete den Pfad vor ihr. »Lass uns über die heutige Strafe sprechen.«
Aviendha entspannte sich etwas. Also blieb ihr noch genug Zeit, um herauszufinden, was sie falsch gemacht hatte. Feuchtländer schienen die Strafmethoden der Aiel oft zu verwirren, aber Feuchtländer verstanden ja auch wenig von Ehre. Ehre erwarb man nicht, weil man bestraft wurde, sondern die Strafe akzeptierte, und sie zu erdulden stellte die Ehre wieder her. Das war die Seele des Toh - sich freiwillig zu beugen, um das zurückzugewinnen, was verloren gegangen war. Sie konnte nicht verstehen, warum die Feuchtländer das nicht begriffen; in der Tat war es seltsam, dass sie Ji'e'toh nicht instinktiv folgten. Was war ein Leben ohne Ehre?
Amys würde ihr zu Recht nicht sagen, was sie falsch gemacht hatte. Aber sie kam einfach nicht auf die richtige Antwort, und sie würde weniger Schande auf sich laden, wenn sie sie bei einer Unterhaltung herausfand. »Ja«, sagte sie vorsichtig. »Ich sollte bestraft werden. Mein Aufenthalt in Caemlyn drohte mich schwach zu machen.«
Amys schnaubte. »Du bist genauso wenig schwach wie zu der Zeit, als du die Speere getragen hast, Mädchen. Sogar etwas stärker, wie ich finde. Deine Zeit mit deiner Erstschwester war wichtig für dich.«
Also war es das nicht. Als Dorindha und Nadere sie geholt hatten, hatten sie gesagt, sie müsste ihre Ausbildung als Lehrling fortführen. Aber seit die Aiel nach Arad Doman aufgebrochen waren, hatte sie keinen Unterricht bekommen. Sie hatte Wasser tragen, Schultertücher flicken und Tee servieren müssen. Alle möglichen Strafen hatte man ihr auferlegt, ohne ihr dabei zu erklären, was sie falsch gemacht hatte. Und wenn sie etwas Offensichtliches tat - so wie auf einen Spähtrupp gehen, was sie nicht hätte tun sollen -, war die Strenge der Strafe stets größer, als das Vergehen eigentlich gerechtfertigt hätte.
Es war beinahe so, als wollten die Weisen Frauen, dass sie lernte, was eine Strafe zu bedeuten hatte, aber das konnte nicht sein. Sie war keine Feuchtländerin, der man beibringen musste, wie Ehre funktionierte. Was sollten ständige und unerklärte Strafen anderes erreichen, als sie auf einen ernsten Fehler hinzuweisen, den sie begangen hatte?
Amys griff sich an die Seite und band dort etwas los. Der Wollbeutel, den sie hochhielt, war etwa von Faustgröße. »Wir haben entschieden, dass wir in deinem Unterricht zu nachlässig waren. Zeit ist kostbar, und Feinheiten sind nicht möglich.«
Aviendha verbarg ihre Überraschung. Ihre vorherigen Strafen waren subtil gewesen?
»Und darum«, fuhr Amys fort und übergab ihr den kleinen Beutel, »wirst du das hier nehmen. Darin sind Samen. Manche sind schwarz, andere braun, andere weiß. Heute Abend, bevor wir schlafen, wirst du die Farben voneinander trennen und dann zählen, wie viele es von jeder Farbe gibt. Wenn du dich irrst, werden wir sie wieder vermischen, und du fängst von vorn an.«
Aviendha ertappte sich dabei, dass sie starrte, und beinahe wäre sie gestolpert. Wasser zu tragen war eine nötige Arbeit. Kleider zu flicken war eine nötige Arbeit. Mahlzeiten zu kochen war eine wichtige Arbeit, vor allem wenn die kleine Vorhut keine Gai'schain mitgebracht hatte.
Aber das ... das war sinnlose Arbeit! Nicht nur hatte sie keine Bedeutung, sie war frivol. Es war die Art von Strafe, die nur für die stursten oder schändlichsten Leute reserviert war. Es machte beinahe den Eindruck, als würden die Weisen Frauen sie Da'tsang schimpfen!
»Bei den Augen des Sichtblenders«, flüsterte sie, als sie sich zwang, das Tempo aufrechtzuerhalten. »Was habe ich denn getan? «
Amys warf ihr einen Blick zu, und sie wich ihm aus. Sie wussten beide, dass sie keine Antwort auf diese Frage wollte. Stumm nahm sie den Beutel entgegen. Es war die demütigendste Strafe, die sie je erhalten hatte.
Amys lief zu den anderen Weisen Frauen. Aviendha schüttelte ihre Lähmung ab, ihre Entschlossenheit kehrte zurück. Ihr Fehler musste gravierender gewesen sein als gedacht. Amys' Strafe deutete es zumindest an.
Sie öffnete den Beutel und schaute hinein. Drei kleine leere Algode -Beutel lagen darin, die beim Sortieren helfen sollten, fast vollständig von Tausenden von Samen begraben. Diese Strafe sollte gesehen werden, sollte ihr Schande bringen. Was auch immer sie getan hatte, es hatte nicht nur die Weisen Frauen beleidigt, sondern alle in ihrer Umgebung, selbst wenn sie - wie Aviendha - gar nicht wussten, dass es geschehen war.
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