„Wir stehen auf deiner Seite, Duncan!“, rief ein anderer. „Wir sind bereit, mit dir in den Tod zu reiten!“
Mehr Jubel erhob sich, und die Dorfbewohner eilten zu ihren Pferden, um sich Duncans Männern anzuschließen. Zufrieden mit seiner wachsenden Armee, gab Duncan seinem Pferd die Sporen und ritt aus dem Dorf hinaus. Dabei begann er zu erkennen, wie lange ein Aufstand in Escalon überfällig gewesen war.
Bald erreichten sie ein weiteres Dorf. Die Männer erwarteten sie bereits mit lodernden Fackeln. Sie hatten die Hörner gehört, die Schreie, sahen die wachsende Armee und wussten genau, was geschah. Sie riefen einander zu, erkannten einander und begriffen, was vor sich ging. Sie brauchten keine Ansprachen mehr.
Duncan ritt durch die Ortschaft hindurch und die Bewohner brauchten keine Überredung, sie sehnten sich nach der Freiheit, wollten ihre Würde zurück, ihre Waffen ergreifen, auf ihre Pferde aufsteigen und sich Duncan anschließen, wo immer er sie auch hinführen würde.
So ritt Duncan durch ein Dorf nach dem anderen, und erhellte trotzt Wind und Schnee die Nacht. Ihre Sehnsucht nach Freiheit war stark. Er erkannte, dass sie bereit waren, alles zu tun, die Nacht zu erhellen, bereit ihre Waffen zu nehmen, und ihre Leben zurückzufordern.
* * *
Duncan war die ganze Nacht lang geritten und führte seine wachsende Armee gen Süden. Seine Hände waren wund und kalt vom Halten der Zügel. Je weiter sie nach Süden kamen, desto mehr begann sich die Landschaft zu verändern; die trockene Kälte von Volis wich der feuchten Kälte von Esephus. Die Luft war schwer, so wie Duncan sie in Erinnerung hatte, mit der Feuchtigkeit und dem Salzgeruch des Meeres. Auch die Bäume waren anders hier, niedriger, vom Wind Ostwind verbogen, der hier nie aufhörte zu wehen.
Sie überwanden Hügel um Hügel. Die Wolken rissen auf; der Mond brach hindurch und erhellte ihnen den Weg. Sie ritten, Krieger gegen die Nacht, und es war eine Nacht, die Duncan für den Rest seines Lebens nicht vergessen würde – angenommen er überlebte sie. Von dieser Schlacht hing alles ab. Er dachte an Kyra, seine Familie sein Zuhause, und wollte sie nicht verlieren. Sein Leben stand auf dem Spiel genauso wie das aller die er kannte und liebte – heute Nacht würde er alles riskieren.
Duncan blickte zurück über seine Schulter und war überglücklich zu sehen, dass er mehrere hundert weiterer Männer rekrutiert hatte, die ihm nun alle folgten. Er wusste, dass sie selbst jetzt noch in der Unterzahl waren und noch dazu eine professionellen Armee gegenüberstehen würden. Tausende von Pandesiern waren in Esephus stationiert. Duncan wusste, dass Seevig immer noch Hunderte von Männern treu waren, doch er konnte nicht wissen, ob alle von ihnen das Risiko eingehen würden, sich Duncan anzuschließen. Duncan musste davon ausgehen, dass sie es nicht tun würden.
Bald überwanden sie den nächsten Hügel und blieben ehrfürchtig stehen. Denn dort, weit unter ihnen, breitete sich das Meer der Tränen aus, dessen Wellen an die Küste brandeten, den großen Hafen und die alte Stadt Esephus, die sich daneben erhob. Die Stadt sah aus, als wäre sie ins Meer gebaut worden und die Wellen brachen sich an ihren dicken Mauern. Sie wirkte, als kehrte sie dem Land den Rücken, ihre Tore öffneten sich zur See hin, als scherte sie sich mehr um Schiffe als um Pferde.
Duncan betrachtete den Hafen, die zahllosen Schiffe, die in ihm vor Anker lange und es verstimmte ihn, die Banner Pandesias an ihren Masten zu sehen, das Blau und Geld, das wie Stich in sein Herz über den Schiffen wehte. Die Flagge Pandesias – ein Schädel im Mail eines Adlers – machte Duncan krank. Eine solch großartige Stadt von Pandesia besetzt zu sehen beschämte Duncan, und selbst im Dunkel der Nach waren seine geröteten Wangen zu sehen. Die Schiffe lagen selbstgefällig, sicher vertäut und niemand rechnete mit einem Angriff. Natürlich. Wer sollte es auch wagen, sie anzugreifen? Und dann auch noch mitten in der Nacht während eines Schneesturms?
Duncan spürte die Blicke seiner Männer auf sich und er wusste, dass der Augenblick der Wahrheit gekommen war. Sie alle erwarteten seinen Befehl, jenen Befehl, der das Schicksal Escalons für immer verändern würde, und hier saß er auf seinem Pferd, umgeben vom heulenden Sturm und spürte, wie sein Schicksal in ihm aufwallte. Er wusste dass das einer der Augenblicke war, die sein Leben bestimmten – und das Leben all dieser Männer.
„VORAN!“, polterte er.
Seine Männer jubelten und stürmten gemeinsam den Hügel hinunter auf den Hafen zu, der nur ein paar Hundert Meter vor ihnen lag. Sie hielten ihre Fackeln hoch erhoben und Duncan spürte, wie sein Herz in seiner Brust raste, während der Wind ihm ins Gesicht schlug. Er wusste, dass es Selbstmord war, doch er wusste auch, dass es verrückt genug war, um vielleicht doch erfolgreich zu sein.
Sie stürmten über die Felder, ihre Pferde rasten so schnell, dass die kalte Luft ihnen fast den Atem nahm und als sie sich dem Hafen näherten, war Duncan bereit für die Schlacht.
„BOGENSCHÜTZEN!“, rief er.
Seine Bogenschützen, die in ordentlichen Reihen hinter ihm ritten, zündeten ihre Pfeile an und erwarteten seinen Befehl. Sie ritten mit donnernden Hufen weiter, doch die Pandesier waren sich immer noch nicht des Angriffs bewusst, der auf sie zukam.
Duncan wartete, bis sie näher kamen – vierzig Meter nur noch, dann dreißig, dann zwanzig – und endlich war die Zeit gekommen.
„SCHIESST!“
Die finstere Nacht wurde plötzlich erhellte von Tausenden brennender Pfeile, die in hohem Bogen durch die Luft flogen, durch den Schnee auf die pandesischen Schiffe zu, die im Hafen lagen. Ein Pfeil nach dem anderen, wie Glühwürmchen in der Nacht, fand sein Ziel und landete in den Segeln der Schiffe.
Es brauchte nicht lange, bis die Segel lichterloh brannten und sich das Feuer schnell im windigen Hafen ausbreiteten.
„NOCH EINE SALVE!“, schrie Duncan.
Salve um Salve folgte, in denen die brennenden Pfeile wie feuriger Regen auf die pandesische Flotte herabregneten.
Zunächst war alles totenstill, die Krieger schliefen arglos. Duncan erkannte, dass die Pandesier zu arrogant geworden waren um einen Angriff wie diesen zu erwarten.
Duncan gab ihnen keine Zeit, sich zu sammeln; ermutigt ritt er voran und führte seine Männer zu den Mauern, die den Hafen umgaben.
„FACKELN!“, rief er.
Seine Männer ritten ans Ufer, hoben ihre Fackeln und warfen sie Duncans Beispiel folgend mit lautem Geschrei auf die Schiffe vor ihnen. Die schweren Fackeln landeten wie Knüppel an Deck und setzten ein Dutzend weiterer Schiffe in Brand.
Die wenigen pandesischen Krieger, die Wachdienst schoben, bemerkten zu spät was geschah und gefangen von einer Wand aus Flammen blieb ihnen nichts anderes übrig, als schreiend über Bord zu springen.
Duncan wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die übrigen Pandesier erwachten.
„HÖRNER!“, schrie er.
Die Hörner erklangen mit dem alten Schlachtruf Escalons, kurze Stöße, von denen er wusste, dass Seevig und seine Männer sie erkennen würden. Er hoffte, dass sie sie wecken würden.
Duncan sprang von seinem Pferd, zog sein Schwert und rannte auf die Hafenmauer zu. Ohne zu zögern sprang er über die niedrige Steinmauer auf ein brennendes Schiff und führte seine Männer in die Stadt. Er musste die Pandesier erledigen, bevor sie sich formieren konnten.
Anvin und Arthfael an seiner Seite stießen laute Schlachtschreie aus und die Männer schlossen sich ihnen an, da sie wussten, dass sie ihr Leben in die Waagschale warfen. Nach so vielen Jahren der Unterdrückung war der Tag der Rache endlich gekommen.
Schließlich erwachten die Pandesier. Krieger kamen aus den Unterdecks hervor wie Ameisen, husteten vom Rauch, verwirrt und benommen. Als sie Duncans Männer sahen zogen sie ihre Schwerter und griffen an. Duncan wurde von einem Strom von Männern angegriffen – doch er wich nicht zurück; im Gegenteil, er griff seinerseits an.
Читать дальше