»Nur über meine Leiche.«
Humphries' Lächeln wurde noch fröhlicher. »Vergessen Sie nicht, dass Sie das gesagt haben, Pancho. Ich war's jedenfalls nicht.«
Mit einem Stirnrunzeln wandte Pancho sich von ihnen ab und verschwand in der Menge, ohne Amanda jedoch aus den Augen zu lassen. Wenn ich sie doch nur allein erwischen würde, ohne dass der Stecher an ihr dranhängt …
Und dann sah sie, wie Amanda sich aus dem Griff ihres Mannes löste und zur Treppe ging, die zu ihrem Schlafzimmer hinaufführte. Sie machte fast den Eindruck, als ob sie auf der Flucht wäre. Pancho ging durch die Bar in die Küche und an einer geschäftigen Schar vorbei, die geräuschvoll Geschirr spülte und wegen der anfallenden Arbeit nörgelte. Dann ging sie die Hintertreppe hinauf.
Pancho wusste, wo die herrschaftliche Suite war. Vor acht Jahren, bevor Mandy Fuchs geheiratet hatte und als der Stecher ihr penetrant nachstellte, war Pancho in Humphries' Haus eingebrochen, um etwas Industriespionage für die Astro Corporation zu betreiben. Unter dem Schutz des von unten heraufziehenden Lärms der Partygäste huschte sie durch den Korridor im ersten Stock und durch die offene Doppeltür des Wohnzimmers, das dem herrschaftlichen Schlafzimmer vorgelagert war.
Pancho raffte ihr langes Kleid, ging zur Schlafzimmertür und lugte hinein. Amanda war im Bad; sie sah Mandy im Ganzkörper-Spiegel an der offenen Badezimmertür. Sie stand am Waschbecken und hielt ein Pillenfläschchen in der Hand. Das Schlafzimmer war komplett verspiegelt, die Wände ebenso wie die Decke. Ich frage mich, ob der Stecher noch immer Videokameras hinter den Spiegeln versteckt hat, sagte Pancho sich.
»Hey, Mandy, bist du da drin?«, rief sie und betrat das mit flauschigen Teppichen ausgelegte Schlafzimmer.
Sie sah, dass Amanda erschrocken zusammenzuckte. Sie ließ das Pillenfläschchen fallen. Die Pillen regneten wie ein kleiner Hagelschauer ins Waschbecken und auf den Fußboden.
»O je, tut mir Leid«, sagte Pancho. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Ist schon in Ordnung, Pancho«, sagte Amanda. Ihre Stimme zitterte fast genauso sehr wie ihre Hände. Dann sammelte sie die Pillen im Waschbecken auf und versuchte sie wieder ins Fläschchen zu tun. Sie ließ aber genauso viele wieder fallen, wie sie einfüllte.
Pancho kniete sich hin und sammelte die ovalen blutroten Tabletten auf. Es war kein Warenzeichen aufgeprägt.
»Was sind das denn für welche«, fragte sie. »Etwas Spezielles?«
Amanda stützte sich aufs Waschbecken und versuchte mühsam die Contenance zu wahren. »Das ist so eine Art Beruhigungsmittel.«
»Du brauchst Beruhigungsmittel?«
»Hin und wieder«, erwiderte Amanda.
Pancho nahm Amanda das Fläschchen aus den zitternden Händen. Es trug kein Etikett.
»Du brauchst diesen Scheiß nicht«, knurrte Pancho. Sie schob sich an Amanda vorbei und wollte die Pillen in die Toilette schütten.
»Nicht!«, kreischte Amanda und riss Pancho das Fläschchen aus den Händen. »Untersteh dich!«
»Mandy, dieser Müll kann nicht gut für dich sein.«
Amanda schossen die Tränen in die Augen. »Sag du mir bloß nicht, was gut für mich ist, Pancho. Woher willst du das denn wissen. Du hast ja keine Ahnung.«
Pancho schaute ihr in die geröteten Augen. »Pancho, ich bin's, deine Freundin? Du kannst mir doch alles sagen, was dich bedrückt.«
Amanda schüttelte den Kopf. »Das würdest du nicht wissen wollen, Pancho.«
Nach drei vergeblichen Versuchen ließ sie den Schraubverschluss der Flasche mit einem Klicken einrasten, öffnete den Medizinschrank überm Waschbecken und stellte das Fläschchen wieder an seinen Platz. Pancho sah, dass der Schrank mit Pillenfläschchen angefüllt war.
»Meine Güte, du hast ja eine ganze Apotheke«, murmelte sie.
Amanda sagte nichts.
»Brauchst du das ganze Zeug denn?«
»Hin und wieder«, wiederholte Amanda.
»Aber wieso?«
Amanda schloss die Augen und holte tief Luft, wobei sie erschauerte. »Sie helfen mir.«
»Helfen dir wobei?«
»Wenn Martin wieder einmal eine Sondervorstellung will«, sagte Amanda mit so leiser Stimme, dass Pancho sie kaum hörte. »Wenn er andere Frauen bestellt, die uns im Bett ›Hilfestellung‹ leisten. Wenn er von mir verlangt, dass ich Aphrodisiaka nehme, um meine Reaktion auf ihn und seine Freundinnen zu verstärken. Ein paar von ihnen sind Videostars, musst du wissen. Du kennst sie sicher, Pancho — sie sind Prominente.«
Pancho merkte, wie ihr die Kinnlade herunterfiel.
»Und wenn Martin ein paar seiner merkwürdigen jungen Freunde mitbringt, brauche ich wirklich Tabletten, um das zu überstehen. Und für die Videos, die er an die Decke projiziert. Und wenn ich dann einschlafen will, ohne diese ekligen, schrecklichen Szenen immer wieder sehen zu müssen.«
Amanda schluchzte nun; die Tränen rannen ihr die Wangen hinab, und ihre Worte waren nicht mehr zu verstehen. Pancho legte die Arme um sie und drückte sie an sich. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Es wird alles wieder gut, Mandy«, flüsterte sie. »Du wirst sehen. Es wird alles wieder gut.«
Nach einer Weile löste Amanda sich etwas von ihr.
»Siehst du das denn nicht, Pancho? Begreifst du es nicht? Er wird Lars töten, wenn ich ihn nicht befriedige. Er hat mich völlig unter Kontrolle. Es gibt keinen Ausweg für mich.«
Darauf hatte Pancho keine Antwort mehr.
»Nur deshalb war ich damit einverstanden, das Kind zu bekommen, Pancho. Er hat versprochen, mit den Sexspielen aufzuhören, wenn ich seinen Sohn gebäre. Ich werde natürlich auch die Finger von den Drogen lassen müssen. Ich habe schon ein Entgiftungsprogramm angefangen.«
»Was die Nachrichtensender wohl für diese Story geben würden«, murmelte Pancho.
»Das kannst du nicht machen! Das darfst du nicht tun!« Angst blitzte in ihren verweinten Augen auf. »Du bist die Einzige, der ich es erzählt habe …«
Pancho fasste sie an den bebenden Schultern. »Keine Sorge! Ich bin doch deine Freundin, Mandy. Ich werde niemandem ein Sterbenswörtchen erzählen.«
Amanda starrte sie an.
»Nicht einmal, wenn ich dadurch verhindern könnte, dass Astro vom Stecher übernommen wird. Das geht nur uns beide an, Mandy, und niemanden sonst.«
Amanda nickte zögernd.
»Aber ich sag dir eins. Ich würde am liebsten nach unten gehen und diesem selbstgefälligen Hundesohn dermaßen eine reinhauen, dass ihm das Grinsen für immer vergeht.«
Amanda schüttelte matt den Kopf. »Wenn es doch nur so einfach wäre, Pancho. Wenn …«
Das Telefon im Schlafzimmer summte. Amanda holte tief Luft und ging zum Bett. Pancho schloss die Badezimmertür halb und verbarg sich vor der Kamera des Telefons.
»Antworten«, sagte Amanda.
»Wie lang willst du denn noch da oben bleiben«, hörte Pancho Humphries' gereizte Stimme. »Die ersten Gäste wollen sich verabschieden.«
»Ich bin gleich wieder unten, Martin.«
Amanda ging ins Bad zurück und brachte das Make-up in Ordnung. Doch selbst wenn der Stecher sehen würde, dass sie geweint hat, wäre es ihm völlig egal, sagte Pancho sich.
Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. Wenn Lars das wüsste, würde er Humphries töten. Er würde sich durch alle Armeen im Sonnensystem kämpfen, um Humphries in die Finger zu kriegen und ihm den Garaus zu machen.
Selene: Suite im Hotel Luna
Pancho fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Von einem Sturm der Gefühle wegen Amanda Humphries aufgewühlt, streifte sie durch die Räume und Korridore ihrer Hotelsuite.
Amanda hatte sich über die Jahre daran gewöhnen müssen, dass sie sich als Vorstandsvorsitzende eines der größten Konzerne im Sonnensystem Luxus zu leisten vermochte. Erst als ihre jüngere Schwester zu der Fünfjahres-Expedition zum Saturn aufbrach, kam ihr schließlich die Erkenntnis: Schwesterherz ist nun auf sich allein gestellt, und ich bin nicht mehr für sie verantwortlich. Ich kann nun so leben, wie ich es will.
Читать дальше