Mein Gott, dachte sie. War das erst fünfeinhalb Jahre her?
Ja war es. Und jetzt wurde sie sprichwörtlich in die Richtung der Realisierung all dieser Träume gefahren, die fünf Jahre vom Schreibtischjob bis jetzt auf dem Beifahrersitz von Bryers Auto, schienen ihr wie eine Barrikade, die zwei Seiten von ihr getrennt hielten. Und das war genauso gut, dass Mackenzie besorgt war. Ihre Vergangenheit hatte niemals anderes getan, als sie zurückzuhalten und jetzt war sie endlich davon gelaufen und war froh es tot und verrotend in der Vergangenheit ruhen zu lassen.
Sie sah die Schilder für den Little Hill State Park als er langsamer fuhr und ihr Herz schlug schneller. Hier war sie nun. Ihr erster Fall bei dem sie offiziell im Job war. Alle Augen würden auf ihr ruhen, das wusste sie.
Die Zeit war reif.
Als Mackenzie im Little Hill State Park auf dem Besucherparkplatz aus dem Auto stieg, wappnete sie sich, sie fühlte sofort die Spannung des Mordes in der Luft. Sie verstand nicht, wie sie das spüren konnte, aber sie konnte es. Es war wie eine Art sechster Sinn, von dem sie sich manchmal wünschte, dass sie ihn nicht hätte. Niemand anderes hatte diesen anscheinend.
Auf eine Art erkannte sie, dass sie Glück hatte. Es war ein Segen, aber auch ein Fluch. Sie liefen über den Parkplatz zum Besucherzentrum. Der Herbst hatte noch nicht ganz in Virginia Einzug gehalten und schmückte sich mit roten, gelben und goldenen Farben. Eine Sicherheitsbarracke befand sich hinter dem Zentrum und eine gelangweilte Frau winkte ihnen von der Baracke aus zu sich.
Das Besucherzentrum war bestenfalls eine glanzlose Touristenfalle. Ein paar Kleiderständer stellten T-shirts und Wasserflaschen aus. Ein kleines Brett entlang der rechten Seite enthielt Karten von der Gegend und ein paar Broschüren mit Tipps zum Angeln. Im Zentrum davon stand eine einzelne ältere Frau, ein paar Jahre jenseits der Rente und lächelte sie von ihrem Platz hinter dem Schalter an.
“Sie kommen vom FBI, oder?” fragte die Frau.
“Das stimmt”, sagte Mackenzie.
Die Frau nickte ihnen kurz zu und nahm den Hörer des Telefons hinter der Theke ab. Sie drückte ein paar Nummern, die sie von einem Papier am Telefon ablas. Während sie warteten drehte Mackenzie sich um und Bryers folgte ihr.
“Du sagst, du hast nicht direkt mit der Strasburger Polizei gesprochen, stimmt’s?” fragte sie.
Bryers schüttelte den Kopf.
“Gehen wir als Freunde oder als Hindernis hinein?”
“Ich denke, dass werden wir sehen.”
Mackenzie nickte, während sie sich wieder zum Schalter umdrehten. Die Frau hatte gerade den Hörer auf die Gabel gelegt und schaute sie wieder an.
“Sheriff Clements wird in zehn Minuten hier sein. Er möchte sie gerne draußen an der Sicherheitsbarracke treffen.”
Sie gingen nach draußen und liefen zur Sicherheitsbarracke. Wieder fand Mackenzie sich fast hypnotisiert von den Farben der Blätter an den Bäumen. Sie lief langsam und nahm alles in sich auf.
“Hey, White?” sagte Bryers. “Alles ok?”
“Ja, Warum fragst du?”
“Du zitterst und bist ein wenig blass. Als erfahrener FBI Agent kann ich dir sagen, dass du nervös bist – sehr nervös.”
Sie drückte ihre Hände fest zusammen, in dem Bewusstsein, dass es tatsächlich ein kleines Zittern in ihren Händen gab. Ja, sie war nervös, aber sie hatte gehofft es verstecken zu können. Augenscheinlich machte sie einen sehr schlechten Job.
“Ok, du bist jetzt im echten Leben. Du darfst nervös sein. Aber geh damit um. Bekämpfe es nicht oder verstecke es nicht. Ich weiß dass hört sich kontraintiutiv an, aber du musst mir da vertrauen.”
Sie nickte, ein wenig peinlich berührt.
Sie gingen weiter ohne ein weiteres Wort zu sprechen, die wilden Farben der Bäume um sie herum, schienen das noch zu verstärken. Mackenzie schaute auf die Sicherheitsbarracke, auf die Absperrung von der Barracke bis zur Straße. So kitschig es sich auch anhörte, sie konnte nicht anders als das Gefühl wahrzunehmen, das die Zukunft für sie auf der anderen Seite der Absperrung wartete und sie merkte, dass sie gleichzeitig eingeschüchtert und ängstlich war diese zu überqueren.
Innerhalb von Sekunden hörten sie beide das leise Motorgeräusch. Schon fast danach kam ein Golf in Sicht, der um die Kurve bog. Er schien mit hoher Geschwindigkeit zu fahren und der Mann hinter dem Steuerrad beugte sich praktisch darüber, als wenn er das Auto so beschwören könnte noch schneller zu fahren.
Das Auto raste weiter und Mackenzie erhaschte einen kurzen Blick auf den Mann von dem sie annahm das es Sheriff Clements war. Er war ein harter Hund von ungefähr 40 Jahren. Er hatte den glasigen Blick eines Mannes, der eine harte Hand im Leben gespürt hatte. Sein schwarzes Haar begann schon an den Ecken zu ergrauen und er hatte die Art von Bartstoppeln, die sein Gesicht umgaben und die aussahen, als wenn sie schon immer da gewesen wären.
Clements parkte das Auto, nahm kaum von dem Sicherheitsmann in der Hütte Notiz und ging um die Absperrung herum, um Mackenzie und Bryers zu treffen.
“Agenten White und Bryers”, sagte Mackenzie und gab ihm die Hand.
Clements nahm sie und schüttelte sie passiv. Er machte dasselbe mit Bryers bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf den gepflasterten Weg lenkte, den er grad gegangen war.
“Wenn ich ehrlich bin,” sagte Clements “schätze ich das Interesse des Büros, aber ich bin mir nicht so sicher, ob wir Hilfe brauchen.”
“Tja, jetzt sind wir hier, also können wir auch mal schauen, ob wir nicht vielleicht doch helfen können”, sagte Bryers so freundlich wie er konnte.
“Na dann los in’s Auto und wir schauen mal”, sagte Clements. Mackenzie gab ihr bestes um ihn einzuschätzen, während sie sich ins Auto setzen. Ihre größte Sorge von Beginn an war es abzuschätzen, ob Clements einfach unter großem Stress stand oder ob er einfach von Natur aus ein Arsch war.
Sie saß neben Clements vorne im Auto während Bryers hinten saß.
Clements sagte kein einziges Wort. Tatsächlich schien es, als wenn er sich Mühe gab beide Wissen zu lassen, dass er es als unangenehm empfand, sie beide herumzuführen.
Nach ungefähr einer Minute bog Clements rechts ab, wo der gepflasterte Pfad aufhörte. Hier war Ende und er wurde zu einem dünnen Pfad, der kaum für die Breite des Autos gemacht war.
“Welche Anweisungen hat der Sicherheitsmann an der Sicherheitsbarracke erhalten?” fragte Mackenzie.
“Niemand kommt hier durch”, sagte Clements. “Keine Parkranger oder Polizisten, bevor ich nicht eine Erlaubnis erteilt habe. Wir haben schon genug Menschen die hier herumrennen, das macht alles ein wenig schwerer, als es sein müsste.
Mackenzie ignorierte den unterschwelligen Seitenhieb. Sie wollte nicht mit Clements streiten, bevor sie und Bryers eine Gelegenheit gehabt hatten, den Schauplatz zu sehen.
Schon fünf Minuten später trat Clements auf die Bremse. Er stieg aus dem Auto noch ehe es wirklich zum Stillstand kam. “Kommt”, sagte er als wenn er zu einem Kind sprach. “Hier entlang.”
Mackenzie und Bryers stiegen aus dem Auto. Überall hoch um sie herum blühte der Wald. Es war wunderschön, aber gefüllt mit einer Art schwerwiegender Stille die Mackenzie als Omen deutete – ein Signal, dass schlechtes Blut und schlechte Nachrichten in der Luft lagen.
Clements führte sie in den Wald, er lief schnell voran. Es gab keinen echten Pfad, um es mal sozusagen. Hier und da konnte Mackenzie Anzeichen eines alten Pfades sehen, der sich durch das Laub vor Bryers wand, während sie versuchte mit Clements Schritt zu halten. Ab und zu musste sie einen langen Zweig wegschlagen oder Spinnenweben aus ihrem Gesicht wegwischen.
Nachdem sie zwei oder drei Minuten gelaufen waren, hörten sie mehrere Stimmen. Die Geräusche der Bewegungen wurden lauter und sie begann zu verstehen, worüber Clements gesprochen hatte: sogar ohne den Schauplatz zu sehen, konnte Mackenzie sagen, dass er total überlaufen war.
Читать дальше