„Haben Sie schon etwas gesehen, das Ihnen ins Auge sticht?“, fragte Lacey.
Suzy verzog die Lippen, als wäre sie unschlüssig. „Nicht wirklich. Aber ich bin sicher, Sie werden etwas für mich finden.“
Lacey zögerte. Sie hatte angenommen, dass Suzy selbst etwas finden wollte, nicht dass sie ihre Arbeit übernehmen sollte!
„Tut mir leid“, sagte Lacey etwas ratlos. „Wie meinen Sie das?“
Die junge Frau war damit beschäftigt, in ihrer Stofftasche zu wühlen, und hörte ihr offensichtlich nicht zu. Sie holte ein Notizbuch hervor, blätterte die Seiten durch, zückte einen Kugelschreiber und sah Lacey erwartungsvoll an. „Haben Sie morgen Zeit?“
„Zeit wofür?“, fragte Lacey immer verwirrter.
„Die Renovierung“, sagte Suzy. „Habe ich nicht …?“ Sie wurde still und ihre Wangen wurden knallrot. „Mist. Entschuldigung.“ Schnell schob sie den Stift und das Notizbuch zurück in ihre Umhängetasche. „Ich bin neu bei diesem ganzen Geschäftskram. Ich mache die Dinge immer in der falschen Reihenfolge. Lassen Sie mich von vorne anfangen. Also, mein Plan ist es, das B&B rechtzeitig für die Flugschau einzurichten und …“
„Da muss ich sie direkt unterbrechen“, fiel Lacey ihr ins Wort. „Welche Flugshow?“
„ Die Flugshow“, wiederholte Suzy.
Jetzt war Suzy an der Reihe, ihre Stirn verwirrt zu runzeln.
„Nächsten Samstag?“, fuhr die junge Frau fort. „Red Arrows? Schloss Brogain? Sie wissen wirklich nicht, wovon ich spreche?“
Lacey war ratlos. Suzy hätte genauso gut eine andere Sprache sprechen können. „Mein Akzent verrät Ihnen vielleicht, dass ich nicht von hier bin.“
„Nein, natürlich nicht.“ Suzy wurde wieder rot. „Nun, Flugshows sind hier im Vereinigten Königreich recht häufig. Diese Shows gibt es überall an der Küste, aber die in Wilfordshire ist wegen des Schlosses Brogain etwas ganz Besonderes. Die Red Arrows bilden beim Überfliegen eine sehr aufregende Formation, und jeder Highschool-Schüler, der einen Fotografiekurs belegt, kommt hierher um Fotos zu machen.“ Sie gestikulierte ausladend, während sie erzählte. „Ich muss es wissen, ich war schließlich selbst mal eine von ihnen.“
Vor ganzen vier Jahren , dachte Lacey.
„Es werden auch etwa eine Milliarde professioneller Fotografen kommen“, fuhr Suzy fort. Lacey wurde klar, dass sie offensichtlich gerne und viel redete, wenn sie nervös wurde. „Es ist wie ein Wettbewerb, bei dem jeder versucht, das beste Bild zu schießen. Und dann gibt es noch die Leute, die kommen, um ihren Vorfahren Respekt zu erweisen. Und all die Familien, die sich einfach nur Flugzeuge ansehen wollen, die wilde Kunststücke vorführen.“
„Ich schätze, ich muss mein regionales Geschichtswissen ein wenig auffrischen“, sagte Lacey und fühlte sich elendig unwissend.
„Oh, ich liebe nur Geschichte, das ist alles“, witzelte Suzy. „Ich liebe es, darüber nachzudenken, wie die Menschen vor ein paar Generationen gelebt haben. Ich meine, es ist noch gar nicht so lange her, dass die Leute für ihr Abendessen ihr eigenes Wild erlegt haben! Vor allem die Viktorianer faszinieren mich.“
„Die Viktorianer…“ Lacey wiederholte. „Schießen.“ Sie klickte mit den Fingern. „Ich habe da eine Idee!“
Irgendetwas an Suzys begeisterungsfähigem Enthusiasmus hatte Laceys staubige Zahnräder in ihrem Kopf wieder zum Leben erweckt. Sie führte Suzy in den Auktionssaal und den Flur entlang in Richtung Büro.
Suzy sah mit Neugierde zu, wie Lacey den Safe öffnete und die Holzkiste mit dem Steinschlossgewehr herauszog, bevor sie die Verschlüsse öffnete, den Deckel anhob und die antike Waffe vorsichtig herausnahm.
Suzy atmete scharf ein.
„Hier ist eine Inspiration für Ihr B&B“, sagte Lacey. „Viktorianisches Jagdhaus.“
„Ich…” Suzy stammelte. „Es ist…“
Lacey konnte nicht sagen, ob sie entsetzt oder erstaunt war.
„Ich liebe es!“, schwärmte Suzy. „Das ist eine brillante Idee! Ich sehe es geradezu vor mir. Blauer schottischer Tartan. Samt. Cord. Ein offenes Feuer. Holzpaneele.“ Ihre Augen wurden groß vor lauter Staunen.
„Und das nennt man Inspiration“, sagte Lacey zu ihr.
„Wie viel kostet es?“, fragte Suzy eifrig.
Lacey zögerte. Sie hatte nicht vorgehabt, das Geschenk von Xavier zu verkaufen. Sie wollte es nur als kreatives Sprungbrett nutzen.
„Es steht nicht zum Verkauf“, sagte sie.
Suzy schob enttäuscht ihre Unterlippe vor.
Lacey erinnerte sich an die Vorwürfe, die Gina Xavier gemacht hatte. Wenn schon Gina dachte, das Gewehr sei zu viel, was würde dann erst Tom denken, wenn er es herausfand? Vielleicht wäre es besser, wenn sie es einfach an Suzy verkaufen würde.
„… noch nicht“, fügte Lacey hinzu und traf eine schnelle Entscheidung. „Ich warte noch auf die Dokumente.“
Suzys Gesicht leuchtete auf. „Also kann ich es reservieren?“
„Das können Sie in der Tat“, sagte Lacey und erwiderte ihr Lächeln.
„Und Sie?“, fragte Suzy kichernd. „Kann ich Sie auch reservieren? Als Innenarchitektin? Bitte!“
Lacey zögerte. Eigentlich war sie ja nicht mehr als Innenarchitektin tätig. Diesen Teil ihrer Vergangenheit hatte sie bei Saskia in New York City zurückgelassen. Sie wollte sich auf den An- und Verkauf von Antiquitäten konzentrieren und lernen, wie man sie am besten versteigerte und darauf ihr Geschäft aufbauen. Sie hatte keine Zeit, für Suzy zu arbeiten, um ihr eigenes Geschäft zu führen. Natürlich könnte sie Gina mehr Verantwortung übertragen, aber angesichts des zunehmenden Touristenaufkommens schien es nicht besonders klug, sie alleine zu lassen.
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte Lacey. „Ich habe hier eine Menge um die Ohren.“
Suzy berührte entschuldigend ihren Arm. „Natürlich. Ich verstehe. Wie wäre es, wenn Sie morgen einfach vorbeikommen und sich das Anwesen unverbindlich anschauen? Und sich überlegen, ob Sie das Projekt übernehmen möchten, sobald Sie in Ruhe darüber nachgedacht haben?“
Lacey nickte ganz unwillkürlich. Nach allem, was mit Brooke passiert war, hatte sie erwartet, dass sie sich vor Neuankömmlingen besser in Acht nehmen würde. Aber vielleicht wäre sie doch in der Lage, sich von dieser ganzen Tortur zu erholen. Suzy hatte eine dieser ansteckenden Persönlichkeiten, von denen man sich leicht mitreißen lassen konnte. Sie würde eine ausgezeichnete Geschäftsfrau abgeben.
Vielleicht waren Carols Sorgen doch berechtigt.
„Ich schätze, es kann nicht schaden, sich die ganze Sache einmal anzusehen, wie?“, sagte Lacey.
Nächste Woche um diese Zeit würde sich Lacey bitter an diesen Moment erinnern und die Redewendung berühmte letzte Worte vor sich hinmurmeln.
Lacey fuhr in ihrem champagnerfarbenen Volvo an der Strandpromenade entlang. Sie hatte die Fenster hinuntergekurbelt und ließ sich von der sanften Mittagssonne wärmen. Sie war auf dem Weg zum ehemaligen Altersheim, das schon bald Wilfordshires neues B&B beherbergen würde, und hatte eine Überraschung für Suzy auf dem Beifahrersitz. Nicht Chester – ihr treuer Begleiter war viel zu beschäftigt damit gewesen, in der Sonne vor sich hinzuschnarchen, um gestört zu werden – sondern das Steinschlossgewehr.
Lacey war sich immer noch nicht sicher, ob es richtig war, sich davon zu trennen. Wenn sie das Gewehr in der Hand hielt, hatte sie das Gefühl, dass es ihr gehörte, als ob das Universum ihr sagen würde, dass sie sich darum kümmern sollte. Aber Gina hatte ihr bezüglich Xavier und seinen Absichten einen Floh ins Ohr gesetzt, und sie war einfach unschlüssig.
„Jetzt ist es wohl zu spät“, sagte Lacey mit einem Seufzer. Sie hatte bereits versprochen, es an Suzy zu verkaufen, und es hätte sehr unprofessionell ausgesehen, jetzt nur wegen eines komischen Gefühls aus dem Handel auszusteigen!
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