(Abra?)
Er hatte gefürchtet, die mentale Kommunikation könnte sich diesmal schwierig gestalten, aber Abra meldete sich sofort und so stark wie eh und je; wäre sie eine Radiostation gewesen, dann eine, die mit hunderttausend Watt sendete. Sie saß in ihrem Zimmer am Computer und tippte an irgendeiner Hausaufgabe. Als Dan wahrnahm, dass sie ihren Stoffhasen Hoppy auf dem Schoß hatte, war er zugleich amüsiert und traurig. Was sie da gemeinsam unternahmen, belastete Abra so sehr, dass sie in einen jüngeren Zustand zurückgekehrt war, zumindest in emotionaler Hinsicht.
Da die Verbindung zwischen ihnen weit offen war, fing sie diesen Gedanken auf.
(mach dir keine Sorgen um mich mir geht’s gut)
(prima weil du bald einen Anruf machen musst)
(ja okay aber wie geht es dir )
(gut)
Sie wusste es besser, fragte jedoch nicht nach, und genau so wollte er es haben.
(hast du das)
Sie schuf ein Bild.
(noch nicht es ist Sonntag da hat kein Laden offen)
Ein weiteres Bild, bei dem er lächeln musste. Ein Walmart … nur dass das Schild über dem Eingang ABRA’S MEGAMARKT lautete.
(die würden uns sowieso nicht verkaufen was wir wollen aber wir finden bestimmt einen Laden der es tut)
(ja glaub schon)
(du weißt doch was du zu ihr sagen sollst)
(klar)
(sie wird versuchen dich in ein langes Gespräch zu verwickeln und herumzuschnüffeln lass das nicht zu)
(tu ich bestimmt nicht)
(melde dich gleich danach damit ich mir keine Sorgen mache)
Natürlich würde er sich massenhaft Sorgen machen.
(ja sicher hab dich lieb Onkel Dan)
(hab dich auch lieb)
Er malte einen Kuss. Abra sandte einen zurück: große, rote Comiclippen. Die spürte er fast auf seiner Wange. Dann war sie fort.
Billy starrte ihn an. »Du hast gerade mit ihr gesprochen, stimmt’s?«
»Ja, stimmt. Sieh auf die Straße.«
»Ja, ja. Du hörst dich an wie meine Exfrau.«
Billy betätigte den Blinker, wechselte auf die Überholspur und rollte an einem riesigen, schwerfälligen Wohnmobil vorbei, einem Fleetwood Pace Arrow. Während Dan es vorüberziehen sah, fragte er sich, wer wohl darin saß und ob jemand durch die getönten Scheiben spähte.
»Ich will noch etwa hundert Meilen schaffen, bevor wir uns aufs Ohr legen«, sagte Billy. »So wie ich die restliche Strecke berechnet hab, hast du dann morgen eine ganze Stunde Zeit für deinen Einkauf, und wir sind trotzdem zu dem Zeitpunkt in den Bergen, den ihr für den Showdown vorgesehen habt. Aber dafür müssen wir auf jeden Fall vor Tagesanbruch los.«
»Gut. Du hast doch verstanden, wie es laufen wird, oder?«
»Ich hab nur kapiert, wie es laufen soll .« Billy warf ihm einen kurzen Blick zu. »Hoffen wir doch mal, dass die uns nicht mit dem Fernglas beobachten, falls sie eins haben. Meinst du eigentlich, dass wir lebendig aus der ganzen Sache rauskommen? Sag mir die Wahrheit! Wenn die Antwort nein lautet, werde ich mir nämlich nachher das größte Steak aller Zeiten bestellen. Die letzte Rechnung kann Mastercard gern bei meinen Verwandten eintreiben, und weißt du was? Ich hab gar keine Verwandten. Falls du nicht meine Ex dazurechnest, und die würde keinen Finger für mich krumm machen.«
»Klar werden wir es überleben«, sagte Dan, aber das hörte sich ziemlich matt an. Er fühlte sich zu miserabel, als dass er eine tapfere Miene hätte aufsetzen können.
»Tatsächlich? Na, vielleicht bestelle ich mir trotzdem ein anständiges Steak. Was ist mit dir?«
»Ich glaube, ich könnte etwas Suppe runterbringen. Solange es sich um klare Brühe handelt.« Bei der Vorstellung nämlich, etwas zu essen, bei dem man nicht auf den Grund des Tellers sah – Tomaten- oder Champignoncremesuppe etwa –, zog sich sein Magen sofort wieder zusammen.
»Na gut. Wie wär’s, wenn du wieder die Augen zumachst?«
Dan wusste, dass er nicht tief schlafen konnte, egal wie erschöpft und krank er sich fühlte – nicht solange Abra mit dieser uralten Kreatur fertigwerden musste, die wie eine Frau aussah –, aber er schaffte es einzudösen. So seicht dieser Schlaf auch war, er brachte weitere Träume hervor, zuerst vom Overlook (nun ging es um den Aufzug, der sich mitten in der Nacht von selbst in Gang gesetzt hatte) und dann von seiner Nichte. Diesmal war Abra mit einem Stromkabel erdrosselt worden. Mit hervorquellenden, vorwurfsvollen Augen starrte sie Dan an. Es war nur allzu leicht zu erkennen, wie der Vorwurf lautete. Du hast gesagt, du wirst mir helfen. Du hast gesagt, du rettest mich. Wo warst du?
8
Abra schob das, was sie zu tun hatte, immer wieder auf, bis ihr klar wurde, dass ihre Mutter sie bald drängeln würde, sich schlafen zu legen. In die Schule würde sie morgen zwar nicht gehen, aber was sie erwartete, war ein großer Tag. Und vielleicht eine sehr lange Nacht.
Etwas aufzuschieben macht es nur schlimmer, cara mia .
Das war ein typischer Spruch von Momo. Abra blickte zum Fenster und wünschte sich, dort ihre Urgroßmutter zu sehen statt Rose. Das wäre schön gewesen.
»Momo, ich hab furchtbare Angst«, sagte sie. Aber nachdem sie zweimal tief durchgeatmet hatte, um sich zu beruhigen, griff sie nach ihrem iPhone und wählte die Nummer der Overlook Lodge auf dem Bluebell Campground. Ein Mann meldete sich, und als Abra sagte, dass sie mit Rose sprechen wolle, fragte er sie nach ihrem Namen.
»Sie wissen doch, wer ich bin«, sagte sie. Und fügte mit einer hoffentlich provokant wirkenden Neugier hinzu: »Sind Sie eigentlich schon krank, Mister?«
Darauf gab der Mann am anderen Ende (es war Toady Slim) keine Antwort, aber sie hörte, wie er jemand etwas zumurmelte. Einen Moment später war Rose am Telefon, inzwischen wieder deutlich gefasster.
»Hallo, meine Liebe. Wo bist du?«
»Auf dem Weg«, sagte Abra.
»Tatsächlich? Das ist fein, meine Liebe. Also würde ich nicht feststellen, dass der Anruf aus New Hampshire kommt, wenn ich das nachher überprüfen würde?«
»Oje, doch das würdest du«, sagte Abra. »Ich rufe nämlich mit meinem Handy an. Wir leben inzwischen im 21. Jahrhundert, du Intelligenzbestie.«
»Was willst du?« Nun klang die Stimme barsch.
»Dafür sorgen, dass du die Regeln kennst«, sagte Abra. »Ich werde morgen um fünf Uhr nachmittags da sein. Ich komme in einem alten, roten Pick-up.«
»Wer fährt den?«
»Mein Onkel Billy«, sagte Abra.
»Ist das einer von denen, die meinen Leuten eine Falle gestellt haben?«
»Nein, er war bei mir und deinem Crow. Hör auf, mir Fragen zu stellen. Halt einfach die Klappe, und hör zu.«
»Wie unhöflich«, sagte Rose betrübt.
»Er stellt seinen Wagen am Parkplatzende vor dem Schild ab, auf dem steht, dass alle Kinder umsonst was zu essen bekommen, wenn eine Mannschaft aus Colorado gewonnen hat.«
»Ich sehe, du hast dir unsere Website angeschaut. Das ist aber nett. Oder war es vielleicht dein Onkel? Übrigens ist es sehr tapfer von ihm, sich als Chauffeur zur Verfügung zu stellen. Ist er der Bruder von deinem Vaters oder von deiner Mutter? Tölpelfamilien sind nämlich ein Hobby von mir. Ich zeichne liebend gern Stammbäume.«
Sie wird versuchen herumzuschnüffeln, hatte Dan gesagt und damit vollkommen recht gehabt.
»Hab ich dir nicht gesagt, du sollst die Klappe halten und zuhören? Ist das so schwer zu kapieren? Willst du nun, dass ich komme, oder nicht?«
Keine Antwort, nur erwartungsvolles Schweigen. Unheimliches erwartungsvolles Schweigen.
»Vom Parkplatz aus werden wir alles sehen können: den Campingplatz, die Lodge und das Dach der Welt ganz oben auf dem Hang. Wäre besser, wenn mein Onkel und ich dich da oben stehen sehen und nirgendwo diese Typen von deinem Wahren Knoten. Die werden schön in der Lodge bleiben, während wir aufeinandertreffen. In dem großen Raum dort, ist das klar? Onkel Billy wird zwar nicht wissen, ob die nicht da sind, wo sie sein sollen, aber ich schon. Wenn ich merke, dass auch nur ein Einziger von denen irgendwo anders ist, sind wir sofort wieder weg.«
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