Aber ich will jetzt auf Barry zu sprechen kommen. Die Originaldokumente, die wir in dem Hut mit der Aufschrift ›Diverses‹ gefunden haben, erzählen eine schmutzige Geschichte. Um es kurz zu machen: Stephen Barry hat einen Schuß schwarzes Blut in seinen Adern. Er kam aus einer armen Familie im Süden, und es gab einwandfreies Beweismaterial – Briefe, Geburtsregister und so etwas –, daß seine Abstammung einen schwarzen Schönheitsfleck besaß. Wie ihr wißt, war es Fields Geschäft, solche Dinge aufzustöbern. Irgendwie kam er an die Dokumente heran; wie lange das schon her ist, wissen wir nicht, sicherlich aber schon vor einiger Zeit. Als er sich Barrys Vermögenslage zu diesem Zeitpunkt anschaute, sah er, daß er nur ein Schauspieler war, der sich mühsam nach oben kämpfte, öfters abgebrannt als bei Kasse. Er beschloß, den Burschen zunächst einmal in Ruhe zu lassen. Wenn Barry irgendwann einmal zu Geld oder Ruhm kommen sollte, wäre immer noch Zeit genug, ihn zu erpressen … Aber selbst in seinen kühnsten Träumen konnte Field nicht Barrys Verlobung mit Frances Ives-Pope, der Tochter eines Multimillionärs, einer blaublütigen Dame der feinen Gesellschaft, vorausgesehen haben. Ich brauche wohl nicht zu erklären, was es für Barry bedeutet hätte, wenn die Ives-Popes von seiner Abstammung erfahren hätten. Außerdem – und das ist auch nicht ohne Bedeutung – litt Barry wegen seiner Spielleidenschaft an permanentem Geldmangel. Alles, was er verdiente, landete in den Taschen der Buchmacher auf der Rennbahn; außerdem hatte er Riesenschulden gemacht, die er niemals hätte begleichen können, wenn die Heirat mit Frances nicht zustande gekommen wäre. Tatsächlich brauchte er so dringend Geld, daß er selbst es war, der unterschwellig auf eine schnelle Heirat drängte. Ich habe mich gefragt, welche Gefühle er wohl Frances entgegenbrachte, um fair zu sein – ich glaube nicht, daß er sie nur wegen des Geldes heiraten wollte. Wahrscheinlich liebt er sie wirklich; aber wer würde das nicht?«
Der alte Mann lächelte, in Gedanken verloren, und fuhr dann fort. »Field machte sich vor einiger Zeit mit den Dokumenten an Barry heran. Barry zahlte, soviel er konnte, aber das war jämmerlich wenig und stellte natürlich diesen unersättlichen Erpresser nicht zufrieden. Verzweifelt hielt er sich Field mit Vertröstungen vom Leib. Aber Field war selbst in Schwierigkeiten geraten und trieb nun nach und nach seine ›Außenstände‹ ein. Barry, der mit dem Rücken zur Wand stand, wurde klar, daß alles verloren war, wenn Field nicht zum Schweigen gebracht wurde. So plante er den Mord. Denn soviel war ihm klar: Selbst wenn es ihm gelingen sollte, die 50.000 Dollar, die Field verlangte, aufzutreiben – eine schiere Unmöglichkeit – und selbst wenn er in den Besitz der Originaldokumente gelangen sollte, so konnte Field immer noch alle seine Hoffnungen zunichte machen, indem er einfach die Geschichte in Umlauf brachte. Es blieb ihm nichts anderes mehr übrig – er mußte Field umbringen. Und das tat er auch.«
»Schwarzes Blut, ja?« murmelte Cronin. »Armer Teufel.«
»Seiner Erscheinung merkt man das ja wohl kaum an«, bemerkte Sampson. »Er sieht nicht weniger weiß aus als wir.«
»Barry ist weit davon entfernt, ein Vollblutneger zu sein«, wandte der Inspektor ein. »Er hat nur ein Tröpfchen davon in seinen Adern, aber das wäre schon mehr als genug für die IvesPopes gewesen … Nun aber weiter. Als wir die Dokumente entdeckt und gelesen hatten, wußten wir alles. Von wem, wie und warum das Verbrechen begangen wurde. So wandten wir uns unserem Beweismaterial zu, um ihn überführen zu können. Man kann niemanden unter Mordanklage vor Gericht bringen, ohne Beweise zu haben … Nun, was glaubt ihr wohl, was wir da hatten? Nichts!
Laßt mich kurz auf die Anhaltspunkte eingehen, die vielleicht als Beweis hätten von Nutzen sein können. Die Abendtasche der jungen Dame etwa – sie gab nichts her; wertlos, wie ihr wißt … Die Herkunft des Gifts – ein völliger Fehlschlag. Zufällig verschaffte Barry es sich genau so, wie Dr. Jones – Jones, der Toxikologe – es angedeutet hatte. Barry kaufte sich ganz gewöhnliches Benzin und gewann daraus das Tetrableiäthyl. Er hinterließ keine Spuren … Ein anderer möglicher Anhaltspunkt, Monte Fields Zylinder, war verschwunden … Die zusätzlichen Eintrittskarten für die sechs leeren Plätze – wir hatten sie nie zu sehen bekommen, und es schien auch kaum eine Chance zu bestehen, daß wir sie jemals sehen würden … Das einzige weitere konkrete Beweismaterial
– die Dokumente – wies auf ein Motiv hin, bewies aber gar nichts. Ebensogut hätte dann auch Morgan das Verbrechen begehen können oder irgendein Mitglied aus Fields verbrecherischer Organisation.
Unsere einzige Hoffnung, Barry zu überführen, beruhte auf unserem Vorhaben, in seine Wohnung einbrechen zu lassen; wir hofften, daß sich dort entweder der Hut, die Eintrittskarten oder ein anderer Fingerzeig wie etwa das Gift oder der Apparat zu seiner Herstellung finden lassen würden. Velie besorgte mir einen professionellen Einbrecher, und in Barrys Wohnung wurde Freitag abend, während er auf der Bühne stand, eingebrochen. Nicht die Spur eines Beweises kam ans Tageslicht. Der Hut, die Eintrittskarten, das Gift – alles war vernichtet worden. Es war zu erwarten, daß Barry das getan haben würde; wir konnten uns nur noch dessen versichern.
Voller Verzweifelung ließ ich noch einmal mehrere der Theaterbesucher von Montag abend zusammenkommen, in der Hoffnung, daß ich auf jemanden stoßen würde, der sich daran erinnerte, Field an jenem Abend gesehen zu haben. Wir ihr sicher wißt, ist es manchmal so, daß Leute sich erst später wieder an etwas erinnern, was sie wegen der Aufregung bei einer früheren Befragung völlig vergessen hatten. Aber wie es nun einmal so kommt, war auch das ein Fehlschlag. Das einzige von Wert, was dabei herauskam, war die Aussage des Jungen vom Getränkestand, daß er gesehen hatte, wie Field eine Abendtasche im Seitengang aufhob. Was Barry anbelangt, so brachte es uns aber nirgendwo hin. Und ihr wißt ja noch, daß sich aus der Befragung des Theaterensembles am Donnerstag abend auch kein konkreter Anhaltspunkt ergeben hatte.
So standen wir nun da mit einem wundervollen hypothetischen Tatbestand, aber ohne auch nur einen wirklichen Beweis. Der Fall, den wir vorzutragen hatten, hätte einem gerissenen Verteidiger keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Es waren reine Indizienbeweise, die vor allem auf Schlußfolgerungen beruhten. Ihr wißt genausogut wie ich, welche Chancen ein solcher Fall vor Gericht gehabt hätte … Und dann fingen meine Schwierigkeiten erst richtig an, denn Ellery ging auf eine Reise.
Ich zermarterte mir den Kopf.« Queen blickte finster auf seine leere Kaffeetasse. »Es sah ziemlich schlecht aus. Wie konnte ich jemanden ohne Beweismaterial überführen? Es war zum Verrücktwerden. Aber dann tat Ellery mir noch einen letzten Gefallen, indem er mich telegrafisch auf eine Idee brachte.«
»Was für eine Idee?« fragte Cronin.
»Auf die Idee, es selbst ein wenig mit Erpressung zu versuchen.«
»Du als Erpresser?« Sampson blickte erstaunt. »Wozu hätte das denn führen sollen?«
»Wenn Ellery einen Vorschlag macht, solltet ihr ihm schon vertrauen, auch wenn es vielleicht etwas zwielichtig erscheinen mag«, erwiderte der Inspektor. »Ich erkannte sofort, daß unser einziger Ausweg darin bestand, das Beweismaterial selber zu fabrizieren.«
Die beiden Männer runzelten verblüfft die Stirn.
»Es war ganz einfach«, sagte Queen. »Field wurde durch ein ungewöhnliches Gift getötet. Er wurde umgebracht, weil er Barry erpreßt hatte. Lag es da nicht auf der Hand anzunehmen, daß Barry erneut Gift benutzen würde, wenn er plötzlich wieder auf die gleiche Weise erpreßt werden würde – und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach das gleiche Gift? Ich brauche euch wohl nicht an den Spruch ›Einmal ein Giftmörder, immer ein Giftmörder‹ zu erinnern. Wenn ich Barry nur dazu bringen konnte, es mit diesem Tetrableiäthyl bei jemand anderem zu versuchen, dann hatte ich ihn. Dieses Gift ist nahezu unbekannt
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