»Sicher habe ich das«, antwortete Morgan grimmig. »Michaels war Fields sogenannter Diener – er benahm sich wie ein Leibwächter und war in Wirklichkeit eher ein Schuft, wenn mich meine Menschenkenntnis nicht ganz täuscht. Er kam ab und an ins Büro. Sonst kann ich mich an nichts erinnern, Inspektor.«
»Er kennt Sie natürlich?« fragte Queen.
»Nun, ich denke schon«, gab Morgan zögernd zurück. »Ich habe nie mit ihm gesprochen, aber er hat mich ohne Zweifel bei seinen Besuchen im Büro gesehen.«
»Nun, es ist in Ordnung, Morgan«, brummte Queen, während er sich erhob. »Das war eine äußerst interessante und informative Unterhaltung. Und – nein, ich glaube nicht, daß es noch etwas gibt. Jedenfalls im Augenblick nicht. Gehen Sie ganz normal Ihren Geschäften nach, Morgan, und bleiben Sie in der Stadt – halten Sie sich zur Verfügung, falls wir Sie noch brauchen. Vergessen Sie das nicht, ja?«
»Das werde ich schon nicht vergessen«, sagte Morgan dumpf. »Und – die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe – über meinen Sohn – das wird unter uns bleiben?«
»Da haben Sie überhaupt nichts zu befürchten, Morgan«, sagte Queen, und wenige Augenblicke später befanden sich Ellery und er auf der Straße.
»Es ging also um Erpressung, Vater«, murmelte Ellery. »Das bringt mich auf eine Idee, weißt du?«
»Nun, mein Sohn, ich habe da selbst so meine Ideen!« kicherte Queen, und in telepathischem Schweigen gingen sie forschen Schrittes die Straße in Richtung Präsidium hinunter.
in welchem die Queens die feine Gesellschaft unsicher machen
Am Mittwochmorgen servierte Djuna einem gedankenverlorenen Inspektor und einem schwatzenden Ellery den Kaffee. Das Telefon läutete. Beide, Ellery und sein Vater, sprangen auf.
»Halt! Was machst du?« rief der Inspektor. »Es ist für mich; ich erwarte einen Anruf.«
»Aber, aber, mein Herr! Du wirst doch wohl einem Bücherliebhaber nicht verwehren, sein eigenes Telefon zu benutzen«, erwiderte Ellery. »Ich hab’ so das Gefühl, daß das mein werter Buchhändler ist, der mich wegen der seltenen Falconer-Ausgabe anruft.«
»Schau, Ellery, fang jetzt nicht an …« Während sie sich noch gutmütig über den Tisch hinweg gegenseitig aufzogen, nahm Djuna den Hörer ab.
»Den Inspektor – den Inspektor, sagten Sie? Inspektor …« sagte Djuna und hielt grinsend den Telefonhörer gegen seine schmale Brust, »es ist für Sie.«
Ellery ließ sich auf seinen Stuhl sinken, während Queen mit triumphierender Miene nach dem Apparat griff. »Ja?«
»Hier ist Stoates aus Fields Büro«, erklang munter eine jungenhafte Stimme. »Ich möchte Sie mit Mr. Cronin verbinden.«
Erwartungsvoll legte sich des Inspektors Stirn in Falten. Ellery lauschte aufmerksam, und sogar Djuna, in dessen kantigem Gesicht sich die Aufmerksamkeit eines Schimpansen zeigte, blieb wie angewurzelt in seiner Ecke stehen, so als würde auch er eine wichtige Nachricht erwarten. In dieser Hinsicht ähnelte er sehr seinen Verwandten im Tierreich – in seinem Gesichtsausdruck und in seiner Haltung war etwas Flinkes, eine aufgeweckte Neugierde, die die Queens immer wieder entzückte.
Schließlich drang eine hohe Stimme durch den Hörer. »Hier spricht Tim Cronin, Inspektor«, sagte sie. »Wie geht es Ihnen? Ich hab’ Sie ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.«
»Man wird älter, Tim, aber sonst hat sich nicht viel geändert«, antwortete Queen. »Was gibt’s? Haben Sie was entdeckt?«
»Nun, das ist wirklich das Eigenartigste an der ganzen Sache, Inspektor«, erklang Cronins aufgeregte Stimme. »Wie Sie wissen, bin ich schon seit Jahren hinter diesem Vogel Field her. Er ist mein ganz persönliches Schreckgespenst, solange ich zurückdenken kann. Der Staatsanwalt sagte mir, daß er Ihnen die ganze Geschichte vorletzte Nacht erzählt hat; ich muß also nicht mehr in die Einzelheiten gehen. Aber in all diesen Jahren des Beobachtens, des Wartens und des Herumstöberns ist es mir nie gelungen, gegen diesen Gauner ein einziges Beweisstück zu finden, das ihn hätte vor Gericht bringen können. Und er war ein Gauner, Inspektor. Darauf würde ich mein Leben verwetten … Nun, das ist die alte Geschichte. So wie ich Field kannte, hätte ich wirklich auch nichts anderes erwarten sollen. Und doch – nun, insgeheim habe ich darum gefleht, daß er irgendwann, irgendwie einen Fehler macht und daß ich ihn dann festnageln würde, wenn ich seine persönlichen Aufzeichnungen in die Hände bekommen könnte. Inspektor – es ist nichts damit anzufangen.«
In Queens Gesicht erschien ein Anflug von Enttäuschung; Ellery registrierte das mit einem Seufzen, stand auf und ging ruhelos im Raum auf und ab.
»Wir können wohl nichts dran ändern, Tim«, erwiderte Queen und bemühte sich, herzlich zu klingen. »Nur keine Sorge – wir haben noch andere Eisen im Feuer.«
»Inspektor«, sagte Cronin hastig, »Sie werden alle Hände voll zu tun haben. Field war ein wirklich durchtriebener Bursche. Und für mich sieht es so aus, daß derjenige, dem es gelang, ihn zu überlisten, genauso durchtrieben sein muß. Anders ist es gar nicht möglich, übrigens sind wir noch nicht zur Hälfte mit den Akten durch, und vielleicht gibt das, was wir durchgeschaut haben, doch noch etwas mehr her, als es sich eben angehört hat. Eine ganze Menge hier weist doch auf eine etwas zwielichtige Tätigkeit Fields hin – das Problem ist, es gibt nichts wirklich Belastendes. Wir hoffen, wir werden noch etwas finden, wenn wir weitersuchen.«
»In Ordnung, Tim – machen Sie nur weiter so«, murmelte der Inspektor. »Und lassen Sie mich wissen, was Sie herausgefunden haben … Ist Lewin da?«
»Sie meinen den Bürovorsteher?« Cronin sprach auf einmal leiser. »Er ist hier irgendwo. Warum?«
»Sie sollten ihn genau im Auge behalten«, sagte Queen. »Ich habe den heimlichen Verdacht, daß er nicht so dumm ist, wie er sich gibt. Lassen Sie ihn nicht allzu ungestört mit den Geschäftsunterlagen, die da herumliegen. Er könnte durchaus an Fields kleinem Nebengeschäft beteiligt gewesen sein.«
»Gut Inspektor. Ich ruf Sie später an.« Es klickte, als Cronin einhängte.
Um halb elf öffneten Queen und Ellery das hohe Eingangstor zum Besitz der Ives-Popes am Riverside Drive. Ellery fühlte sich zu der Bemerkung genötigt, das ganze Ambiente verlange geradezu nach förmlicher Kleidung – Cut und gestreifte Hose – und daß er sich äußerst unwohl fühlen werde, wenn sie erst einmal das steinerne Portal durchschritten hätten.
In der Tat war der Anblick des herrschaftlichen Hauses, in dem die Geschicke der Familie Ives-Pope verborgen lagen, in vielerlei Hinsicht ehrfurchteinflößend für jemanden wie die Queens mit ihrem etwas bescheideneren Geschmack. Es war ein riesiges, weitläufiges altes Haus, weit ab von der unruhigen Straße in einem Park von beträchtlichem Ausmaß. »Muß eine hübsche Stange Geld gekostet haben«, knurrte der Inspektor und ließ seinen Blick über die weiten Grünflächen rings um das Gebäude streifen. Gärten und Pavillons, Spazierwege und schattige Plätzchen – man fühlte sich weit weg von der Stadt, deren Getriebe doch nur wenig entfernt hinter dem hohen Eisengitter, das den Besitz umgab, lag. Die Familie Ives-Pope war unermeßlich reich; über diesen nicht unbedingt ungewöhnlichen Besitz hinaus verfügte sie über eine Abstammung, die weit zurückreichte in die halbdunklen Anfänge der amerikanischen Kolonisation.
Die Eingangstür wurde ihnen von einer aristokratisch wirkenden, einen Backenbart tragenden Gestalt geöffnet, deren Rücken aus Stahl zu bestehen schien und deren Nase in fast spitzem Winkel nach oben zeigte. Ellery schlenderte durch die Tür und betrachtete diesen uniformierten Prachtkerl voller Bewunderung, während Inspektor Queen in seinen Taschen nach einer Visitenkarte suchte. Das dauerte seine Zeit; der livrierte Herr mit dem steifen Rücken stand dort wie in Stein gemeißelt. Schon rot im Gesicht, fand der Inspektor schließlich eine abgenutzte Karte. Er legte sie auf das dargebotene Tablett und schaute zu, wie der Butler sich in sein Reich zurückzog.
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