Ein großer strohblonder Mann stürzte aus einem kleinen Raum neben dem Haupteingang und kämpfte sich zu dem Beamten durch. Er warf einen raschen Blick auf die schlaffe Gestalt auf dem Boden.
»Was ist passiert, Doyle?«
»Das fragen Sie besser diesen Burschen hier«, antwortete der Polizist grimmig. Er schüttelte den Arm des Mannes, den er festhielt. »Es gibt einen Toten hier, und Mr.« – er richtete einen grimmigen Blick auf den immer kleiner werdenden kleinen Mann, und der stotterte: »Pusak, W-William Pusak« – »dieser Mr. Pusak«, fuhr Doyle fort, »hat ihn angeblich flüstern gehört, er wäre abgemurkst worden.«
Neilson starrte verblüfft auf die Leiche.
Der Polizist biß sich auf die Lippen. »Ich bin da in einem schönen Schlamassel, Harry«, bemerkte er heiser. »Der einzige Polyp hier und ein Haufen grölender Irrer, um die ich mich kümmern muß … Ich möchte, daß Sie mir einen Gefallen tun.«
»Sagen Sie’s nur … Das ist ja ein Höllenlärm!«
Doyle drehte sich wütend um, um einen Mann anzuschreien, der sich drei Reihen weiter vorne gerade erhoben hatte, nun auf seinem Sitz stand und die Geschehnisse beobachtete. »Hey Sie!« grölte er. »Sofort runter da! Hier, sofort zurück, der ganze Haufen! Zurück zu euren Plätzen, auf der Stelle, oder ich schnappe mir die ganze naseweise Meute!«
Er wandte sich wieder zu Neilson. »Gehen Sie in Ihr Büro, Harry, und melden Sie den Mord dem Präsidium«, flüsterte er. »Sagen Sie ihnen, sie sollen einen Trupp herschicken – einen großen am besten. Sagen Sie ihnen, daß es ein Theater ist – die wissen dann schon, was zu tun ist. Und hier, Harry – nehmen Sie meine Trillerpfeife, und blasen Sie sich draußen die Lunge aus dem Leib. Ich muß unbedingt sofort Hilfe bekommen.«
Während Neilson sich zurück durch die Menschenmenge kämpfte, rief Doyle ihm nach: »Sagen Sie ihnen lieber, daß sie den alten Queen herschicken sollen, Harry!« Der strohblonde Mann verschwand in sein Büro. Einige Augenblicke später hörte man ein schrilles Pfeifen vom Bürgersteig vor dem Theater.
Der dunkelhäutige Theatermanager, den Doyle angewiesen hatte, Wachen an den Eingängen und Fluren zu postieren, kam durch das Gedränge zurückgehastet. Sein Frackhemd war zerknittert, und er wischte sich in offensichtlicher Bestürzung über die Stirn. Eine Frau hielt ihn an, während er sich vorwärtsschlängelte. Sie kreischte.
»Warum hält uns dieser Polizist hier fest, Mr. Panzer? Sie sollten wissen, daß es mein gutes Recht ist, diesen Ort zu verlassen! Es ist nicht mein Problem, wenn ein Unfall passiert ist – ich hatte nichts damit zu tun – das ist Ihre Sache – sagen Sie ihm bitte, er soll damit aufhören, unschuldige Menschen herumzukommandieren!«
Der kleine Mann stammelte, während er versuchte zu entkommen. »Aber ich bitte Sie, Madam. Ich bin sicher, der Beamte weiß, was er tut. Hier wurde ein Mann getötet – das ist eine ernste Sache. Das sehen Sie doch ein … Als Manager dieses Theaters habe ich seinen Befehlen Folge zu leisten … Seien Sie ganz ruhig – haben Sie doch ein wenig Geduld …«
Er wand sich aus ihrem Griff und war weg, bevor sie protestieren konnte.
Doyle stand wild gestikulierend auf einem Sitz und brüllte: »Ich hab’ gesagt, Sie sollen sich hinsetzen und sich ruhig verhalten, der ganze Haufen hier. Es ist mir wurscht, ob Sie der Bürgermeister persönlich sind, Sie – ja, Sie da drüben, mit dem Monokel – bleiben Sie unten, oder ich muß nachhelfen! Merkt ihr Leute eigentlich nicht, was passiert ist? Mund halten, sage ich!« Er sprang auf den Boden und schimpfte vor sich hin, während er sich den Schweiß vom Rand seiner Mütze wischte.
In der ganzen Unruhe und Aufregung, mit einem Zuschauerraum, der wie ein riesiger Kessel zu kochen schien, und Hälsen, die sich über die Brüstung des Balkons reckten, da die Leute dort sich vergebens bemühten, die Ursache des Durcheinanders zu entdecken, war das abrupte Ende aller Aktivitäten auf der Bühne dem Publikum völlig entgangen. Die Schauspieler hatten sich noch einige Zeilen abgestottert, die durch das Drama vor der Bühne bedeutungslos geworden waren. Das langsame Sinken des Vorhangs setzte nun der Abendunterhaltung ein Ende. Die Schauspieler eilten schwatzend auf den Bühnenaufgang zu. Wie die Zuschauer spähten auch sie zum Zentrum des Aufruhrs hin.
Eine üppige ältere Dame in grellen Kleidern – der Name der hochbegabten überseeischen Schauspielerin, die für die Rolle der Madame Murphy, »Inhaberin einer Bar«, angekündigt war, war Hilda Orange; die schlanke, graziöse Gestalt des »Straßenmädchens Nanette« – Eve Ellis, die weibliche Hauptdarstellerin des Stückes; der große, starke Held von ›Spiel der Waffen‹, James Peale, bekleidet mit einem groben Tweedanzug und Schirmkappe; der elegante junge Mann in Abendkleidung, der den Jungen aus der guten Gesellschaft darstellte, der in die Klauen der »Bande« geraten war – Stephen Barry; Lucille Horton, deren Darstellung der »Königin der Straßen« die Theaterkritiker, die sich in dieser unglücklichen Saison über wenig genug aufregen konnten, zu einem Sturzbach charakteristischer Adjektive hingerissen hatte; ein spitzbärtiger alter Mann, dessen tadellose Abendkleidung das außerordentliche Genie von M. Le Brun, des speziell für ›Spiel der Waffen‹ engagierten Kostümbildners, bezeugte; der schwergewichtige Schurke, dessen finsteres Bühnengesicht sich in verunsicherte Fügsamkeit auflöste, während er über die außer Kontrolle geratene Zuschauerschaft blickte; tatsächlich hastete das komplette Ensemble des Stückes, perückt, gepudert und geschminkt – wobei einige rasch mit Hilfe von Handtüchern ihr Make-up entfernten –, geschlossen unter dem niedergehenden Vorhang hervor und zog den Bühnenaufgang herunter, wo sie sich ihren Weg durch den Mittelgang in Richtung des Unruheherdes freischubsten.
Ein neuer Tumult, diesmal am Haupteingang, brachte viele Leute dazu, sich – den vehementen Befehlen Doyles zum Trotz
– von ihren Plätzen zu erheben, um besser sehen zu können. Eine Gruppe Uniformierter verschaffte sich mit bereitgehaltenen Schlagstöcken Zugang. Doyle stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er den großen Mann in Zivil an ihrer Spitze begrüßte.
»Was ist los, Doyle?« fragte der Neuankömmling, während er mißbilligend das Inferno um sie herum betrachtete. Die Uniformierten, die mit ihm gekommen waren, trieben die Menge ans Ende des Zuschauerraumes hinter die Sitzreihen. Einige Leute, die herumgestanden hatten, versuchten, auf ihre Plätze zurückzuschlüpfen; sie wurden festgehalten und gezwungen, sich zu dem wütenden Haufen zu gesellen, der hinter der letzten Reihe zusammengedrängt wurde.
»Sieht so aus, als sei dieser Mann ermordet worden, Sergeant«, sagte Doyle.
»So.« Der Mann in Zivil blickte ohne Neugierde auf die einzige ruhige Gestalt im Theater – sie lag zu ihren Füßen, einen schwarzgewandeten Arm über das Gesicht geworfen, die Beine unbeholfen unter die Sitze der Vorderreihe gestreckt.
»Mit ‘ner Kanone?« fragte der Neuankömmling Doyle, während er seinen Blick wandern ließ.
»Nein, Sir, scheint nicht der Fall zu sein«, antwortete der Polizist. »Ich habe als erstes dafür gesorgt, daß ein Arzt aus dem Publikum ihn untersucht. Er glaubt, daß es Gift war.«
Der Sergeant brummte. »Wer ist das?« knurrte er und zeigte auf die zitternde Gestalt von Pusak, der immer noch an Doyles Seite war.
»Der Bursche, der die Leiche gefunden hat«, gab Doyle zurück. »Er hat sich seitdem nicht von der Stelle bewegt.«
»Das ist gut.« Der Detective wandte sich einer geschlossenen Gruppe zu, die zusammengedrängt wenige Meter hinter ihm stand, und fragte in die Menge: »Wer ist hier der Manager?«
Panzer trat hervor.
»Ich bin Velie, Detective-Sergeant vom Polizeipräsidium«, sagte der Mann in Zivil knapp. »Haben Sie denn nichts unternommen, um diesen grölenden Haufen von Idioten ruhig zu halten?«
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