1›Die vorgetäuschten Morde‹. Der Roman um dieses Verbrechen ist noch nicht veröffentlicht worden. J. J. McC.
2Ellery Queen hatte seinen ersten Auftritt als privater Berater im Verlauf dieser Ermittlung.
3Chicago Press, 16. Januar 191-.
J.J-McC.
New York
1. März 1929
»Ein Polizist muß oft den Weg der ›bakadori‹ gehen – jener Vögel, die, obwohl sie wissen, daß die Strandräuber mit Fäusten und Knüppeln auf sie warten, dem schmachvollen Tod ins Auge sehen, um ihre Eier im Sand zu vergraben … Genau so sollte ganz Nippon einen Polizisten nicht davon abhalten können, das Ei der Gründlichkeit auszubrüten.«
Aus Tausend Blätter von Tamaka Hiero
in welchem uns ein Theaterpublikum und eine Leiche vorgestellt werden
Die Theatersaison 192- begann alles andere als vielversprechend. Eugene O’Neill hatte es versäumt, rechtzeitig ein neues Stück zu schreiben und so für die finanzielle Unterstützung durch die Intelligenzija zu sorgen, und das Durchschnittspublikum, das sich ohne sonderliches Interesse ein Stück nach dem anderen angesehen hatte, hatte die echten Theater längst aufgegeben zugunsten der raffinierteren Vergnügungen der Filmpaläste.
Als daher am Montagabend, dem 24. September, ein feiner Sprühregen den Neonglanz im Theaterviertel des Broadway dämpfte, wurde dies von den Geschäftsführern und Produzenten zwischen der 37. Straße und dem Columbus Circle mit Verdrossenheit aufgenommen. Diverse Theaterstücke wurden auf der Stelle von den Männern in den oberen Etagen, die sich auf Gott und den Wetterdienst als Zeugen für ihre Niederlage beriefen, vom Spielplan abgesetzt! Der durchdringende Regen fesselte die potentiellen Theaterbesucher an ihre Radios und Bridgetische. Das Broadway-Viertel bot wahrlich einen öden Anblick für die wenigen, die die Verwegenheit besaßen, seine leeren Straßen zu durchstreifen.
Der Gehweg vor dem Römischen Theater auf der 47. Straße westlich des White Way war jedoch verstopft von einer Menschenmenge, so als ob Hochsaison und schönes Wetter wären. Der Titel des Stückes – ›Spiel der Waffen‹ – leuchtete grell über dem Eingang. Die Kassierer bedienten behend die schnatternde Menge, die für Karten der Abendvorstellung Schlange stand. Ein gelb-blau gekleideter Portier, der durch die Würde seiner Uniform und die Gelassenheit seines Alters beeindruckte, geleitete unter Verneigungen die befrackten und mit Pelz behangenen Gäste in den Zuschauerraum; er tat dies mit einem Anflug von Befriedigung darüber, daß die Unbilden der Witterung niemandem etwas anhaben konnten, der an der Produktion von ›Spiel der Waffen‹ beteiligt war.
Im Theater selbst – einem der neuesten am Broadway – drängten die Leute sichtbar nervös zu ihren Plätzen, da der stürmische Beginn des Stückes allgemein bekannt war. Rechtzeitig hörte der letzte Besucher auf, mit seinem Programmheft zu rascheln; der letzte Nachzügler stolperte über die Füße seines Platznachbarn; die Lampen verlöschten, und der Vorhang hob sich. Ein Schuß zerriß die Stille, ein Mann schrie … Das Stück war im Gange.
›Spiel der Waffen‹ war das erste Theaterstück der Saison, das Geräusche verwendete, die gewöhnlich mit der Unterwelt in Verbindung gebracht wurden. Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen, Überfälle auf Nachtclubs, der tödliche Klang von Bandenkriegen – das komplette Repertoire einer romantisierten Verbrecherwelt war in drei kurze Akte zusammengedrängt worden. Es war ein übersteigertes Abbild der Zeit – ein wenig roh, ein wenig häßlich und alles in allem zufriedenstellend für das Theaterpublikum. Egal ob es regnete oder die Sonne schien, die Vorstellungen waren ausverkauft. Auch der heutige Abend zeigte deutlich die Popularität des Stückes.
Die Vorstellung ging glatt voran. Das Publikum war – wie es sich gehörte – am donnernden Höhepunkt des ersten Aktes von Erregung gepackt. Da der Regen aufgehört hatte, schlenderten die Leute in der ersten zehnminütigen Pause nach draußen in die Nebenstraßen, um Luft zu schnappen. Als der Vorhang sich zum zweiten Akt hob, steigerte sich die Lautstärke der Knallerei auf der Bühne. Der zweite Akt wirbelte mit einem geschossenen Dialog, der zwischen den Rampenlichtern abgefeuert wurde, auf seinen Höhepunkt zu. Ein leichter Tumult im hinteren Teil des Theaters blieb unbeachtet – nicht ungewöhnlich in diesem Lärm und in der Dunkelheit. Niemand schien zu bemerken, daß etwas nicht stimmte, und das Stück ging zügig voran. Nach und nach jedoch wurde der Aufruhr heftiger. Zu diesem Zeitpunkt rutschten einige Zuschauer am Ende des linken Parketts auf ihren Sitzen herum, um ihre Rechte mit ärgerlichem Geflüster geltend zu machen. Der Protest war ansteckend. In unglaublich kurzer Zeit wandten sich unzählige Augenpaare diesem Teil des Zuschauerraums zu.
Ein schriller Schrei durchdrang plötzlich das Theater. Die Zuschauer, aufgeregt und gefesselt von der raschen Folge der Ereignisse auf der Bühne, reckten ihre Hälse erwartungsvoll in die Richtung, aus der der Schrei kam, begierig darauf, etwas mitzubekommen, was sie für eine neue Überraschung des Stückes hielten.
Ohne Vorwarnung gingen die Lichter im Theater an und enthüllten verwirrte, furchtsame oder erwartungsvolle Gesichter. Ganz auf der linken Seite, nahe bei einem verschlossenen Ausgang, stand ein stattlicher Polizist, der einen schmächtigen aufgeregten Mann am Arm festhielt. Er wehrte mit seiner mächtigen Hand eine Gruppe Neugieriger ab und brüllte mit durchdringender Stimme: »Jeder bleibt, wo er ist! Keine Bewegung! Niemand verläßt seinen Platz!«
Die Leute lachten.
Die lachenden Gesichter verschwanden bald, als das Publikum anfing, ein merkwürdiges Zögern auf seiten der Schauspieler wahrzunehmen. Obwohl sie damit fortfuhren, im Scheinwerferlicht ihre Zeilen zu rezitieren, warfen sie verwirrte Blicke in den Zuschauerraum. Als die Leute dies bemerkten, richteten sie sich halb auf ihren Plätzen auf, übernervös angesichts eines spürbaren Unheils. Die dröhnende Stimme des Beamten donnerte weiter. »Bleiben Sie auf Ihren Plätzen, sage ich! Bleiben Sie, wo Sie sind!«
Ganz plötzlich wurde den Zuschauern bewußt, daß der Zwischenfall kein Theater, sondern Realität war. Frauen kreischten und klammerten sich an ihre Begleiter. Der Balkon, von wo die Besucher keine Möglichkeit hatten, den Zuschauerraum einzusehen, glich einem Tollhaus.
Der Polizist wandte sich wütend einem untersetzten fremdländisch aussehenden Mann in Abendgarderobe zu, der händeringend in der Nähe stand.
»Ich muß Sie bitten, alle Ausgänge sofort zu schließen und dafür zu sorgen, daß sie auch verschlossen bleiben, Mr. Panzer«, knurrte er. »Postieren Sie Platzanweiser vor jede Tür und weisen Sie sie an, jeden zurückzuhalten, der versucht, hinaus- und hereinzugelangen. Schicken Sie auch jemanden nach draußen, um die Gänge zu kontrollieren, bis Verstärkung von der Zentrale kommt. Bewegen Sie sich, Mr. Panzer, sonst ist hier gleich der Teufel los!«
Der dunkelhäutige Mann eilte davon und schob dabei eine Reihe aufgeregter Menschen beiseite, die den gebrüllten Ermahnungen des Beamten zum Trotz aufgesprungen waren, um ihn zu befragen.
Der Uniformierte stand breitbeinig am Zugang zur letzten Reihe des linken Parketts und verdeckte mit seiner massigen Figur die zusammengefallene Gestalt eines Mannes in Abendkleidung, die in einer etwas merkwürdigen Haltung auf den Boden zwischen den Reihen gesackt war. Der Polizist sah auf und warf, während er immer noch den Arm des sich ängstlich duckenden Mannes an seiner Seite in eisernem Griff hielt, einen kurzen Blick in den hinteren Teil des Zuschauerraumes.
»Hey, Neilson!« rief er.
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