»Mit einem Wort: Liebe auf den ersten Blick«, spöttelte Corso.
»Ich verstehe nicht, warum Sie das in diesem Ton sagen. Die Ehe ist in der ehrlichsten Absicht geschlossen worden. Nur, daß Enrique mit der Zeit jedem auf die Nerven fällt - selbst einer so standhaften Frau wie Liana . Andererseits waren wir gute Freunde, und ich habe die beiden oft besucht. Liana .« Ich stellte mein Glas neben dem Corsos auf der Balustrade ab. »Na ja. Sie können sich ja vorstellen, wie es weiterging.«
»Das kann ich mir allerdings vorstellen!«
»Ich meine jetzt etwas anderes. Liana hat sich zu einer hervorragenden Mitarbeiterin entwickelt, so daß ich schließlich dafür plädierte, Sie in unsere Gesellschaft aufzunehmen. Das war vor vier Jahren. Ihr gehört Kapitel siebenunddreißig: Miladys Geheimnis. Sie hat es selbst ausgesucht.«
»Warum haben Sie Milady auf mich angesetzt?«
»Lassen Sie uns der Reihe nach vorgehen. In letzter Zeit war Enrique zu einem echten Problemfall geworden. Anstatt sich auf das einträgliche Geschäft mit seinen Kochbüchern zu beschränken, hatte er sich darauf versteift, einen Fortsetzungsroman zu verfassen. Aber Sie glauben ja nicht, was für einen Mist er zusammengeschrieben hat. Und nicht nur das - er hat auch noch schändlich plagiiert! Sämtliche Gemeinplätze dieser Gattung hat er sich zusammengesucht und schamlos kopiert. Er nannte sein Werk .«
»Die Hand des Toten.«
»Genau. Nicht einmal der Titel stammte von ihm. Und was das Unerhörteste ist: Er wollte, daß es bei Dumas & Co. erscheint! Natürlich habe ich versucht, ihm diesen Spleen auszureden. Der Vorstand wäre niemals damit einverstanden gewesen, diese Mißgeburt zu veröffentlichen. Außerdem hatte Enrique Geld genug, um das Buch selbst zu drucken, und das habe ich ihm auch gesagt.«
»Worauf er wahrscheinlich ziemlich sauer reagiert hat. Ich habe seine Bibliothek gesehen.«
»Sauer? Das ist gar kein Wort! Die Auseinandersetzung hat in seinem Büro stattgefunden. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er sich - klein und pummelig - vor mir auf die Zehenspitzen stellt und mich mit irren Augen anstarrt. Er war einem Schlaganfall nahe. Sehr unangenehm, das Ganze. Was er mir nicht alles an den Kopf warf ... Er habe dieser Sache sein ganzes Leben gewidmet. Wer sei ich, um sein Werk zu beurteilen? Das fiele der Nachwelt zu. Ich sei ein voreingenommener Kritiker und unausstehlicher Pedant. Und außerdem sei ich mit seiner Frau liiert ... Das kam natürlich unerwartet. Ich hatte keine Ahnung, daß er diesbezüglich auf dem laufenden war. Aber anscheinend redet Liana im Traum und hat ihrem Mann nach und nach alle Folgen der Geschichte erzählt - unter Ausrufen wie >Potztau-send!< und Verwünschungen an die Adresse d’Artagnans und seiner Freunde, die sie haßt, als hätte sie sie persönlich kennengelernt ... Können Sie sich meine Lage vorstellen?«
»Peinlich.«
»Höchst peinlich! Obwohl das Schlimmste erst noch kommt. Enrique geriet immer mehr in Rage. Wenn er ein mittelmäßiger Schriftsteller sei, tobte er, dann könne es mit Dumas auch nicht weit her sein. Er hätte sehen wollen, was aus ihm geworden wäre ohne Auguste Maquet, den er schamlos ausgebeutet habe. Der beste Beweis dafür seien die blauen und weißen Blätter in seinem Tresor ... Unsere Diskussion wurde immer heftiger. Er schimpfte mich einen Ehebrecher, wie in den alten Tragödien, und ich nannte ihn einen Analphabeten und machte noch ein paar boshafte Bemerkungen über seinen letzten gastronomischen Verlagsrenner. Am Ende habe ich ihn sogar mit dem Pâtissier von Cyrano verglichen. >Ich werde mich rächen!< sagte er im Ton und mit den Gebärden des Grafen von Monte Christo. >Ich werde den ganzen Betrug auffliegen lassen, den sich dein verehrter Dumas da geleistet hat, um seinen Namen unter fremde Romane zu setzen. Ich gebe das Manuskript der Öffentlichkeit preis, damit die Leute sehen, wie dieser Schwindler seine Geschichten fabriziert hat. Und um die Satzung der Gesellschaft kümmere ich mich einen Dreck: Das Kapitel gehört mir, und ich verkaufe es, an wen ich Lust habe. Also mach dich auf was gefaßt, Boris!«<
»Da hat er Ihnen aber schwer zugesetzt.«
»Sie können sich gar nicht vorstellen, wozu ein verschmähter Autor in seinem Zorn fähig ist. Meine Proteste nützten nichts. Enrique hat mich aus dem Haus geworfen. Von Liana habe ich erfahren, daß er später diesen Buchhändler, La Ponte, zu sich bestellt und ihm das Manuskript geschenkt hat. Ich glaube, er ist sich so schlau und listig wie Edmund Dantes vorgekommen. Offensichtlich wollte er einen Skandal auslösen, ohne selbst davon direkt betroffen zu werden. An seinem guten Ruf sollte keiner kratzen. Und so kam es, daß Sie in die Geschichte gerieten, Senor Corso. Sie können sich denken, wie erschrocken ich war, als ich Sie plötzlich mit dem Vin d’Anjou bei mir auftauchen sah.«
»Das haben Sie aber gut vertuscht.«
»Natürlich. Liana und ich hielten das Manuskript nach Enriques Tod für verloren.«
Corso zog eine zerknitterte Zigarette aus der Manteltasche, klemmte sie zwischen die Lippen und ging auf der Terrasse auf und ab, ohne sie anzuzünden.
»Ihre Story ist absurd«, sagte er schließlich. »Kein Edmund Dantes würde sich umbringen, bevor er seine Rache ausgekostet hat.«
Ich nickte, obwohl er das nicht sehen konnte, da er mir in diesem Augenblick den Rücken zukehrte.
»Das ist auch noch längst nicht alles«, entgegnete ich. »Am Tag nach unserem Streit kam Enrique zu mir nach Hause und wollte mich noch einmal umstimmen. Aber ich hatte die Nase gestrichen voll und lasse mich sowieso nicht erpressen . Also habe ich zum tödlichen Stoß ausgeholt, freilich ohne mir der möglichen Folgen bewußt zu sein. Sein Fortsetzungsroman war nicht nur von miserabler Qualität, er war mir beim Lesen auch irgendwie bekannt vorgekommen. Als Enrique mir die zweite Szene machte, bin ich deshalb in meine Bibliothek gegangen und habe ein uraltes Buch mit dem Titel Der illustrierte Unterhaltungsroman aus dem Regal gezogen - es wurde Ende des letzten Jahrhunderts veröffentlicht und ist ziemlich unbekannt. Ich habe die erste Seite einer kurzen Erzählung aufgeschlagen, die von einem gewissen Amaury de Verona stammt und die schöne Überschrift Angélique von Gravaillac oder Die unbefleckte Ehre trägt. Als ich begann, laut den ersten Absatz zu lesen, wurde Enrique auf einmal blaß, als sei der Geist dieser Angélique aus dem Grab auferstanden. Und mehr oder weniger war er das auch. Felsenfest davon überzeugt, daß niemand sich an diese Erzählung erinnern würde, hatte Enrique sie beinahe wortwörtlich abgeschrieben. Bis auf ein Kapitel, das er unverändert von Fernândez y Gonzalez übernommen hat - nebenbei bemerkt, das beste des ganzen Romans ... Ich bedauerte es, keinen Fotoapparat zur Hand zu haben: Er schlug sich mit der Hand an die Stirn, um >Donnerschlag!< zu brüllen, aber er brachte nur ein asthmatisches Röcheln zustande, an dem er beinahe erstickt wäre. Daraufhin hat er sich auf dem Absatz umgedreht, ist nach Hause gerannt und hat sich an der Wohnzimmerlampe erhängt.«
Corso kaute an seiner kalten Zigarette.
»Später haben sich die Dinge noch etwas verwickelt«, fuhr ich fort und merkte, daß er mir nur langsam zu glauben schien. »Das Manuskript war bereits an Sie weitergereicht worden, und Ihr Freund La Ponte zeigte sich anfänglich nicht bereit, es zurückzugeben. Für mich kam es nicht in Frage, den Arsène Lupin zu spielen. Das hätte ich mir bei meinem Ansehen nicht leisten können. So habe ich Liana mit der Wiederbeschaffung des Kapitels beauftragt. Die Jahresversammlung rückte näher, und es war an der Zeit, einen Nachfolger für Enrique zu bestimmen. Leider hat Liana ein paar Fehler begangen. Zuerst hat sie Ihnen einen Besuch abgestattet«, an dieser Stelle räusperte ich mich verlegen, um nicht tiefer ins Detail gehen zu müssen, »und später hat sie versucht, La Ponte so weit zu bringen, daß er den Vin d’Anjou von Ihnen zurückverlangte. Sie wußte ja nicht, wie hartnäckig Sie sein können . Das Schlimme ist, daß Liana schon immer davon geträumt hatte, einmal ein richtig spannendes Abenteuer zu erleben - voll von Intrigen, Liebesaffären und Verfolgungsjagden, wie bei ihrem Vorbild Milady. Und diese Episode, aus dem Stoff ihrer Träume gemacht, gab ihr dazu eine willkommene Gelegenheit. Sie hat sich also voller Enthusiasmus auf Ihre Fersen geheftet. >Ich bringe dir das Manuskript in die Haut dieses Corso genähte, hat sie mir versprochen. Ich sagte ihr, sie solle nicht übertreiben, aber ich muß zugeben, daß die Hauptschuld bei mir liegt: Ich habe ihre Phantasie angeregt und damit die Milady freigesetzt, die in ihr schlummerte, seit sie zum erstenmal die Drei Musketiere gelesen hatte.«
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