»Ja. Eine sehr seltene Ausgabe aus dem Jahr 1870. Ich habe Ihnen vor zwei Monaten ein Exemplar verschafft.«
»Derselbe Kunde möchte jetzt den Band Académie de l’espée. Kennen Sie ihn?«
»Meinen Sie den Kunden oder das Buch? Sie treiben einen derartigen Mißbrauch mit den Personalpronomen, daß ich manchmal überhaupt nicht mehr mitkomme.«
Varo Borjas finsterer Blick verriet, daß er diesen Kommentar lieber überhört hätte.
»Nicht alle drücken sich so sauber und präzise aus wie Sie, Corso. Ich habe natürlich von dem Buch gesprochen.«
»Das ist ein Elzevier-Druck aus dem 17. Jahrhundert. GroßFolio mit Stichen. Es gilt als das schönste Traktat übers Fechten. Und als das teuerste.«
»Der Käufer ist bereit, jeden Preis zu bezahlen.«
»Dann müssen wir es wohl auf treiben.«
Varo Borja saß wieder in seinem Bürosessel vor dem Fenster mit Panoramablick und schlug zufrieden die Beine übereinander, während er die Daumen in die Täschchen seiner Weste hängte. Es war offensichtlich, daß seine Geschäfte gut gingen. Nur wenige unter seinen qualifiziertesten Kollegen in Europa konnten sich eine solche Aussicht hinterm Schreibtisch leisten. Aber das beeindruckte Corso nicht. Typen wie Borja hingen von Leuten wie ihm ab, und das wußten sie beide.
Er rückte sich seine verbogene Brille zurecht und sah den Buchhändler an.
»Was machen wir mit der Hypnerotomachia?«
Varo Borja ließ seinen Blick zwischen Corso und dem Bücherschrank hin- und herwandern und war unentschlossen, ob er seiner Abneigung oder seinem Geschäftsinteresse nachgeben sollte. »Also gut«, gab er zähneknirschend nach. »Verhandeln Sie mit dem Schweizer.«
Corso nickte, ohne seine Genugtuung über diesen kleinen Sieg zu verraten. Den Schweizer gab es gar nicht, aber das war seine Sache. So ein Buch hatte immer Käufer.
»Lassen Sie uns über Ihre Neun Pforten reden«, schlug er vor und sah, wie sich die Miene des Antiquars aufhellte.
»In Ordnung. Nehmen Sie den Auftrag an?«
Corso biß sich das Nagelhäutchen eines Daumens ab und spuckte es wie beiläufig auf die saubere Fläche des Schreibtischs.
»Stellen Sie sich einen Augenblick vor, Ihr Exemplar wäre gefälscht. Und das echte wäre eines der anderen beiden. Oder keines.«
Varo Borja wirkte irritiert, während sein Blick das winzige Nagelhäutchen suchte. Schließlich gab er auf.
»In diesem Fall«, erwiderte er, »schreiben Sie sich alles gut auf und befolgen meine Anweisungen.«
»Und die wären?«
»Das erfahren Sie noch früh genug.«
»Ich möchte es aber jetzt erfahren.« Corso fiel auf, daß der Antiquar einen Moment lang zögerte, und er merkte, daß im hintersten Winkel seines Gehirns, dort wo der Jagdinstinkt steckte, etwas ins Stolpern geriet. Krack, krack. Das kaum wahrnehmbare Geräusch einer Maschine, die aus dem Takt gekommen war.
»Wie es weitergeht«, sagte der andere schließlich, »werden wir später entscheiden.«
»Was gibt es da zu entscheiden?« fragte Corso leicht gereizt. »Eines der Bücher befindet sich in einer privaten Sammlung und das andere in einer öffentlichen Stiftung; keins der beiden ist verkäuflich. Und das bedeutet, daß an diesem Punkt alles zu Ende ist: mein Auftrag und Ihre Forderungen. Ich sage Ihnen, das oder das Buch ist falsch, oder auch nicht. In jedem Fall ist meine Aufgabe damit erfüllt, Sie bezahlen mich, und auf Wiedersehen.«
So einfach ist das nicht, schien das schiefe Lächeln des Antiquars zu sagen. »Kommt ganz darauf an.«
»Das ist es ja, was ich befürchte ... Sie führen irgend etwas im Schilde, stimmt’s?«
Varo Borja hob ein wenig seine Hand und betrachtete ihr Spiegelbild auf der polierten Schreibtischfläche. Dann ließ er sie langsam sinken, bis sie sich mit ihrem Spiegelbild vereinte. Corso kannte sie nur zu gut, diese breite, behaarte Pratze mit dem riesigen Goldpflaster am kleinen Finger. Er hatte sie gefälschte Schecks unterzeichnen, grobe Lügen beteuern und Hände drücken sehen, die sie später verriet, und immer noch hörte er das verdächtige Krack-krack und fühlte sich auf einmal seltsam müde, ja, er war plötzlich gar nicht mehr sicher, ob er diesen Auftrag überhaupt wollte.
»Ich bin nicht sicher«, sagte er laut, »ob ich diesen Auftrag möchte.«
Varo Borja mußte den Unterton in seiner Stimme wahrgenommen haben, denn sein Verhalten änderte sich. Er stützte das Kinn auf die ineinander verschlungenen Finger und verharrte reglos. Seine perfekt gebräunte Glatze glänzte im Licht, das zum Fenster hereinflutete. Er schien nachzudenken, während seine Augen unverwandt auf Corso ruhten.
»Habe ich Ihnen nie erzählt, wie ich dazu gekommen bin, Antiquar zu werden?«
»Nein. Und das interessiert mich einen feuchten Dreck.«
Der andere bekundete mit einem theatralischen Lachen, daß er zum Scherzen aufgelegt war und einiges einstecken konnte. Bis auf neue Order durfte Corso seiner schlechten Laune freien
Lauf lassen.
»Ich bezahle Sie dafür, daß Sie mir zuhören, egal, um was es geht.«
»Diesmal haben Sie aber noch nicht bezahlt.«
Borja öffnete eine Schublade, zog ein Scheckheft heraus und legte es auf den Tisch, während Corso sich resigniert und hilflos umsah. An diesem Punkt mußte er entweder seinen Hut nehmen und gehen oder dableiben und abwarten. Freilich hätte es sich auch gehört, daß man ihm an diesem Punkt etwas zu trinken anbot, aber zu der Sorte von Gastgebern gehörte sein Gegenüber nicht. So zuckte er nur kurz die Schulter und berührte mit einem Ellbogen den Flachmann, der eine seiner Manteltaschen ausbeulte. Es war absurd. Er wußte genau, daß er nicht gehen würde, egal welchen Vorschlag er unterbreitet bekam. Und Varo Borja wußte das auch. Er schrieb eine Ziffer, setzte seine Unterschrift unter den Scheck und riß ihn vom Block ab. Dann schob er ihn seinem Visavis über den Tisch hinweg zu.
Corso warf einen Blick auf den Scheck, ohne ihn zu berühren.
»Sie haben mich überzeugt«, seufzte er. »Ich bin ganz Ohr.«
Der Antiquar verzichtete auf eine Gebärde des Triumphs. Er nickte nur, kühl und gelassen, als habe er soeben eine lästige Formalität erledigt.
»Daß ich zu diesem Beruf gekommen bin, war purer Zufall«, begann er zu erzählen. »Eines Tages stand ich ohne einen Heller in der Tasche da, mit nichts als einer Bibliothek, die mir ein verstorbener Großonkel als einzige Erbschaft hinterlassen hatte. Rund zweitausend Bände, von denen höchstens hundert etwas wert waren. Aber zu diesen gehörte eine Erstausgabe des Quijote, zwei Psalter aus dem 13. Jahrhundert und ein Exemplar von Geoffroy Torys Champfleury, von dem insgesamt nur vier Exemplare bekannt sind. Wie finden Sie das?«
»Sie hatten unverschämtes Glück.« »Das können Sie laut sagen«, erwiderte Varo Borja. Er erzählte ohne die Selbstgefälligkeit, die viele Erfolgverwöhnte zur Schau tragen, wenn sie von sich sprechen. »Ich hatte damals keine Ahnung von den Sammlern seltener Bücher, aber das Wesentliche begriff ich sofort: Es ging um Leute, die bereit waren, für ein rares Produkt sehr viel Geld hinzublättern. Und ich besaß gleich mehrere von diesen raren Produkten . So kam es, daß ich Begriffe kennenlernte, die ich vorher noch nie gehört hatte, wie Kolophon, Fliegenkopf, goldener Schnitt oder Leporello. Und während ich mich langsam für dieses Gewerbe zu begeistern begann, habe ich eine Entdeckung gemacht: Es gibt Bücher zum Verkaufen und Bücher zum Aufbewahren. Was letztere angeht, so tritt man der Bibliophilie bei wie einer Religion: fürs ganze Leben.«
»Sehr ergreifend. Aber jetzt sagen Sie mir, was ich und die Neun Pforten mit Ihrem ewigen Gelübde zu tun haben.«
»Sie haben mich vorhin gefragt, was passiert, wenn sich herausstellen sollte, daß mein Exemplar gefälscht ist . Nun, eins kann ich Ihnen jetzt schon sagen, es ist gefälscht.«
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