»Aber offenbar gibt es noch einen anderen Weg.«
»Diese Mönche klettern wie die Eichhörnchen.«
»Wer hat die Höhle ursprünglich entdeckt?«
»Wir«, erwiderte Hu. »Ich habe Erkundungsteams.«
»Demnach wurden auch die Mineralvorkommen der Amerikaner von Ihnen gefunden?«
»Natürlich. Wir haben die notwendige Lizenz erteilt.«
»Aber jetzt wollen Sie die Erlaubnis widerrufen.«
Hu sah Shan verärgert an und bremste den Wagen ab. Sie hatten den Stadtrand von Lhadrung erreicht. »Ganz und gar nicht. Diskutiert wird lediglich die Betriebserlaubnis, die sicherstellt, daß sie sich an genau festgelegte Verwaltungsregulanen halten. Wir führen einen Dialog über die Art des Managements. Ich bin ein Freund dieser amerikanischen Firma.«
»Meinen Sie mit >Management< bestimmte Führungskräfte?«
»Die Art der Teichkonstruktion, die Erntetechnologie, die Spezifikation der Ausrüstung, der Energieverbrauch und auch die Methoden des Führungspersonals unterliegen allesamt gewissen Genehmigungskriterien. Weshalb fragen Sie?«
»Falls Sie also wollen würden, daß eine bestimmte Führungsperson das Projekt verläßt, könnten Sie einfach die Betriebserlaubnis außer Kraft setzen.«
Direktor Hu lachte. »Und ich dachte, Ihr Interesse für Geologie würde sich auf das Schleppen von Steinen beschränken.«
Shan wog seine Worte sorgfältig ab, während sie vor dem Gebäude der Bezirksverwaltung parkten. »Ich finde es interessant, daß Sie von meinem Status als Sträfling gewußt haben und dennoch den ganzen Weg hinaus zur Höhle gefahren sind. Ich dachte, der Direktor der Minen würde einfach anordnen, daß ich bei ihm zu erscheinen habe.«
Hu lächelte ausdruckslos. »Ich bringe Leutnant Chang das Fahren bei. Als Oberst Tan mir erzählt hat, wo Sie sich befinden..« Hu zuckte die Achseln. »Chang muß lernen, die Bergstraßen zu beherrschen.«
»Ist das auch der Grund für Ihr Erscheinen auf der Baustelle der 404ten an dem Tag, an dem die Leiche gefunden wurde?«
Hu seufzte und bemühte sich, seine Ungeduld zu unterdrücken. »Wir müssen aufpassen, daß keine Fehler geschehen.«
»In geologischer Hinsicht, vermute ich.«
Hu grinste. »Die Berghänge sind unsicher. Wir haben uns um die Straßen des Volkes zu kümmern.«
Shan war versucht, erneut zu fragen, ob Hu von Geologie sprach. »Genosse Direktor, würden Sie mich zum Oberst begleiten?« fragte er statt dessen.
Direktor Hus amüsierter Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er warf Chang, der hinter ihnen aufgetaucht war, die Schlüssel zu und folgte Shan hinein.
Madame Ko begrüßte Shan mit einem Nicken und huschte in Tans verdunkeltes Büro. Die Augen des Oberst waren geschwollen. Er streckte sich. Shan schaute sich im Zimmer um. Auf dem Tisch neben seinem Schreibtisch lag ein zerknülltes Kissen.
»Oberst Tan, ich würde Direktor Hu gern eine Frage stellen.«
»Und deshalb hast du mich gestört?« knurrte Tan.
»Ich wollte das in Ihrer Gegenwart tun.«
Tan zündete sich eine Zigarette an und deutete auf Hu.
»Direktor Hu«, fragte Shan, »können Sie uns sagen, warum Sie die Erlaubnis der Amerikaner außer Kraft gesetzt haben?«
Hu sah Tan stirnrunzelnd an. »Er mischt sich in die Angelegenheiten des Ministeriums ein. Es ist kontraproduktiv, einen öffentlichen Dialog über unsere Schwierigkeiten mit der amerikanischen Mine zu beginnen.«
Tan nickte langsam. »Sie müssen nicht darauf antworten. Genosse Shan ist manchmal ein wenig übereifrig.« Er bedachte Shan mit einem tadelnden Blick.
»Könnten Sie uns dann vielleicht verraten, wo Sie in der Nacht von Ankläger Jaos Ermordung gewesen sind?« fragte Shan.
Der Direktor der Minen starrte Shan ungläubig an. Dann erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Er wandte sich Tan zu und brach in Gelächter aus.
»Direktor Hu hat sich in meiner Gesellschaft befunden«, erklärte Tan mit einem kalten Lächeln. »Er hatte mich zum Abendessen zu sich eingeladen. Wir haben Schach gespielt und gutes chinesisches Bier getrunken.«
Hu lachte so laut, daß er kaum noch Luft bekam. »Ich muß jetzt los«, sagte er keuchend, salutierte spöttisch in Shans Richtung und ging zur Tür hinaus.
»Du hast Glück, daß er so gelassen ist«, warnte Tan. Er wirkte nicht im mindesten belustigt.
»Sagen Sie mir eines, Oberst. Ist die Schädelhöhle ein offizielles Projekt?«
»Natürlich. Du hast doch all die Soldaten dort gesehen. Eine große Unternehmung.«
»Ich meine, weiß Peking davon?«
Tan atmete den Rauch aus. »Das ist Sache des Ministeriums für Geologie.«
»Die Höhle ist voller kultureller Artefakte. Der eigentliche Einsatz wird von der Armee durchgeführt. Wie passen Hu und das Ministerium für Geologie dort hinein?«
»Sie haben die Höhle entdeckt. Aber sie haben nur wenig Personal. Als Verwalter des Bezirks habe ich die Unterstützung der Armee angeboten. Das ist für die Männer eine gute Feldübung.«
»Wer zieht einen Nutzen aus dem Gold?«
»Die Regierung.«
»Wer ist in diesem Fall die Regierung?«
»Ich weiß nicht, welche Dienststellen daran beteiligt sind. Mehrere Ministerien haben damit zu tun. Es gibt entsprechende Protokolle.«
»Wieviel erhält Ihr Büro?«
Diese Andeutung ließ Tan hochfahren. »Ich bin Soldat. Gold läßt Soldaten verweichlichen.«
Shan glaubte ihm, wenngleich nicht aus dem Grund, den Tan vorgab. Für einen Mann wie den Oberst war nicht Geld, sondern politischer Einfluß die Quelle der Macht.
»Vielleicht gibt es in der Regierung Leute, die nicht gutheißen würden, daß man Gräber plündert.«
»Und das heißt?«
»Wußten Sie, daß Ankläger Jao und Direktor Hu sich wegen der Höhle gestritten haben? Die Amerikanerin ist Zeugin einer solchen Auseinandersetzung geworden. Ich glaube, daß Hu daher versucht, sie aus dem Land zu vertreiben.«
Ein mattes Lächeln erschien auf Tans Gesicht. »Genosse, du irrst dich. Du weißt nicht, weswegen Hu und Jao sich gestritten haben.«
»Jao wollte, daß Hu mit dem aufhörte, was er tat.«
»Richtig. Aber er sollte nicht etwa die Höhle aufgeben, sondern die Buchführung. Jao war der Ansicht, das Justizministerium müsse einen größeren Anteil erhalten. Sein Büro. Ich habe das schriftlich. Er hat ein paar Beschwerdebriefe verfaßt und mich um Vermittlung gebeten. Madame Ko kann dir Kopien davon geben.«
Shan sank auf einen Stuhl und schloß die Augen. Hu war es nicht. »Was ist mit seinen Leuten? Können wir die Akten über deren Vorgeschichte bekommen?«
Tan nickte nachsichtig. »Madame Ko wird sie anfordern.«
»Wer auch immer Jao ermordet hat, wollte damit etwas über diese Höhle zum Ausdruck bringen.«
»Dann frag ihn.«
»Der Gefangene spricht nicht.«
»Dann geh und frag deinen verdammten Dämon«, erwiderte Tan gereizt und ging zu seinem Schreibtisch.
»Das würde ich gern. Was meinen Sie, wo soll ich nachsehen?«
»Da kann ich dir auch nicht helfen. Dämonen werden nicht von mir verwaltet.« Er nahm eine Akte und wies auf die Tür.
Shan stand auf und wußte auf einmal genau, wohin er sich wenden mußte. Es gab tatsächlich jemanden, der Dämonen verwaltete.
Wie so vieles andere in Tibet, unterlag auch das Wetter besonderen Gesetzen. Nur selten war es trocken, ohne daß gleich eine Dürre hereinbrach, und praktisch jeder Regenguß glich einer mittleren Sintflut. Als er von Tans Büro aufgebrochen war, hatte strahlender Sonnenschein geherrscht, aber bis sie die Räumlichkeiten des Büros für Religiöse Angelegenheiten im Nordteil der Stadt erreicht hatten, war das Wetter komplett umgeschlagen. Der Himmel schüttete kleine Eisbälle über sie aus. Shan hatte mal gelesen, daß jährlich fünfzig Tibeter durch Hagelschauer ums Leben kamen. Bevor er aus dem Wagen stieg, reichte er Feng ein Stück Papier. »Gefreiter Meng Lau aus dem Lager Jadefrühling. Ich brauche Ihre Hilfe, um herauszufinden, ob er in der Nacht des Mordes an der Zufahrt zur Höhle Wachdienst gehabt hat.«
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