Wir hatten wirklich und wahrhaftig schon alle Hoffnung aufgegeben; ich kann mich daher nicht anders fassen.
Als wir dann gerade alle Hoffnung aufgegeben hatten, da glaubte ich plötzlich in der Ferne einen eigentümlich schaurigen Lichtschimmer zu gewahren, der zwischen den Bäumen des entgegengesetzten Ufers hervorzubrechen schien. Einen Moment lang dachte ich an Geister; denn es war ein solch schattenhaftes, unheimliches Licht. Aber im nächsten Augenblick durchzuckte mich der Gedanke, daß das unser Boot sein könnte. – Da schickte ich einen solch gellenden Ruf über das Wasser hin, der die Nacht selbst hätte aus ihrer Ruhe erwecken können. Eine Minute lang warteten wir in atemloser Spannung. Dann – o du himmlische Musik in der Dunkelheit – hörten wir das antwortende Gebell Montmorencys. Wir brüllten jetzt zusammen, laut genug, um die Siebenschläfer zu erwecken; ich habe übrigens nie verstehen können, warum es mehr Lärm brauchen sollte, um sieben Schläfer zu erwecken, als für einen einzigen. Da, es schien uns eine Stunde zu währen, in Wahrheit mögen es etwa fünf Minuten gewesen sein, da sahen wir das erleuchtete Boot langsam über die dunkle Wasserflut daherschweben und hörten Harris' verschlafene Stimme fragen, wo wir seien.
Es war etwas unerklärlich Seltsames in Harris' Wesen; es war mehr als seine gewöhnliche Schläfrigkeit. Er ruderte das Boot an eine Stelle des Ufers, an welcher es uns ganz unmöglich war einzusteigen – und schlief dann sofort wieder ein. Wir brauchten ein unendliches Gebrüll, um ihn wieder aufzuwecken und ihm etwas Verstand beizubringen; doch zuletzt gelang es uns, und wir kamen sicher an Bord.
Wir bemerkten jetzt, daß Harris' Gesicht einen sonderbar traurigen Ausdruck hatte. Er sah aus wie ein Mensch, der Schweres durchgemacht hat. Wir fragten ihn, ob ihm irgend etwas passiert sei. Er antwortete: »Schwäne.«
Wir hatten uns, wie es schien, in der Nähe eines Schwanennestes vor Anker gelegt, und bald nach meinem und Georgs Abgang war die Schwanenmutter heimgekehrt und hatte sofort einen Skandal darüber angefangen. Harris hatte sie davongejagt; da war sie gegangen, den Herrn Gemahl herbeizuholen.
Mit diesen zwei Schwänen, erzählte Harris weiter, habe er eine wirkliche Schlacht gehabt, aber Mut und Geschicklichkeit hätten am Ende obgesiegt, und er habe sie abgetrieben. Eine halbe Stunde später seien sie dann mit achtzehn weiteren Schwänen zurückgekehrt. Es muß ein furchtbarer Kampf gewesen sein, soviel wir aus Harris' Bericht entnehmen konnten. Die Schwäne hatten versucht, das Boot zu kentern und ihn und Montmorency zu ertränken; und er hatte wie ein Held vier Stunden lang alle Angriffe abgeschlagen und das ganze feindliche Heer unschädlich gemacht, so daß sie schließlich davongeschwommen seien, um zu sterben.
»Wieviel Schwäne, sagtest du, waren da?« fragte Georg.
»Zweiunddreißig,« gab Harris schläfrig zurück.
»Aber gerade vorhin sagtest du doch achtzehn,« sagte Georg.
»Nein, so sagte ich nicht,« brummte Harris, »ich sagte zwölf, meinst du denn, ich könne nicht zählen?«
Wie es sich in der Tat mit diesen Schwänen verhielt, das konnten wir nie ausfindig machen. Als wir Harris am andern Morgen über die Sache befragten, antwortete er: »Was für Schwäne?« Er glaubte augenscheinlich, es habe Georg und mir geträumt.
O, wie köstlich war es nun, nach all unsern nächtlichen Gefahren und Abenteuern sicher und wohlgeborgen im Boot zu sein! Wir aßen noch herzhaft zu Nacht. Georg und ich hätten uns nachher gerne noch einen Grog gemacht, wenn wir die Whiskyflasche hätten finden können, aber wir fanden sie nicht. Wir fragten Harris, wo er sie denn hingesteckt habe, aber er schien nicht zu begreifen, was wir mit dem Worte Whisky bezeichnen wollten, oder wovon wir überhaupt sprachen. Montmorency schaute drein, als ob er etwas davon wüßte, aber er sagte nichts.
Ich schlief recht gut in jener Nacht und hätte noch besser geschlafen, wenn Harris nicht gewesen wäre. Ich habe noch eine dunkle Erinnerung, daß ich mindestens zwölfmal von Harris, der die ganze Nacht mit der Laterne in der Hand im Boot hin und her wanderte und seine Kleider suchte, aufgeweckt wurde. Er schien wegen seiner Kleider in Unruhe zu sein. Zweimal störte er Georg und mich auf, um nachzusehen, ob wir nicht auf seinen Beinkleidern lägen. Beim zweitenmal wurde Georg fuchsteufelswild: »Was zum Donner brauchst du jetzt mitten in der Nacht deine Hosen?« fuhr er ihn an, »warum legst du dich denn nicht aufs Ohr und schläfst?«
Das nächstemal, als er mich aufweckte, war er auf der Suche nach seinen Socken; das letzte, dessen ich mich noch dunkel erinnere, ist, daß er mich auf die Seite drehte, und ich ihn murmeln hörte, er möchte doch zum Kuckuck wissen, wo sein Regenschirm hingekommen sei.
*
Ungefähr um elf Uhr bekamen wir Reading in Sicht. Der Fluß ist hier trübe und schmutzig. Um Reading herum hält man sich nicht gern lange auf. Die Stadt selbst ist ein berühmter alter Ort, der schon in den sagenhaften Zeiten des Königs Ethelred bestanden haben soll, als die Dänen mit ihren Kriegsschiffen in Kennet vor Anker lagen und von Reading aus die ganze Grafschaft Wessex verheerten; aber hier kämpften Ethelred und sein Bruder Alfred gegen sie und besiegten sie in gemeinschaftlicher, redlich geteilter Arbeit – Ethelred besorgte das Beten und Alfred das Fechten. In späteren Jahren scheint Reading als ein angenehmer Zufluchtsort betrachtet worden zu sein, wenn einem das Pflaster in London zu heiß geworden war.
Namentlich das Parlament ging gern dahin, wenn in Westminster[Fußnote: Das Parlamentsgebäude steht im Stadtteil Westminster.] eine Seuche ausgebrochen war, und im Jahre 1625 zog sich der ganze Gerichtshof dahin, weshalb alle Gerichtssitzungen dort gehalten wurden. Damals muß es noch der Mühe wert gewesen sein, eine kleine Seuche in London zu haben, wenn man dadurch alle Advokaten und das ganze Parlament auf einmal los wurde.
Bei der Readingschleuse trafen wir mit einem Dampfboot zusammen, das ein paar Freunden von mir gehörte; sie nahmen uns bis Streatley hinauf ins Schlepptau.
Von einem Dampfboot gezogen zu werden, ist ein Göttervergnügen. Es ist mir sogar noch lieber als das Rudern.
Die Fahrt würde noch himmlischer gewesen sein, wenn nicht so eine verdammte Rotte von kleinen Booten beständig unserem Schiff in den Weg gekommen wäre, so daß wir, um sie nicht in den Grund zu bohren, unaufhörlich ausweichen oder anhalten mußten.
Es ist wirklich höchst ärgerlich, in welch widerwärtiger Weise diese kleinen Ruderboote den Dampfbooten das Leben sauer machen; es sollte sicherlich etwas geschehen, um diesem Unfug Einhalt zu tun. Und sie sind zu alledem noch so verdammt unverschämt. Man kann pfeifen, bis beinahe der Kessel platzt, ehe es ihnen beliebt, aus dem Wege zu gehen. Wenn es nach mir gegangen wäre, so hätten wir hier und da ein solches Satansboot in den Grund gebohrt, nur um sie ein bißchen Mores zu lehren.
Etwas oberhalb Reading wird der Fluß wieder sehr reizend.
Meiner Freunde Dampfboot überließ uns nun wieder unserm Schicksal.
Da wollte Harris herausgefunden haben, daß jetzt die Reihe zu rudern wieder an mir sei. Das schien mir eine völlig unbegründete Behauptung. Wir waren doch am Morgen dahin übereingekommen, daß ich das Boot etwa drei Meilen über Reading hinaufzubringen habe.
Und nun waren wir hier etwa zehn Meilen oberhalb Reading. Was konnte klarer sein, als daß nun wieder an ihnen die Reihe war.
Aber ich konnte weder Georg noch Harris dahin bringen, die Sache in ihrem wahren Lichte zu betrachten; um weitere Erörterungen abzuschneiden, ergriff ich daher die Ruder.
Kaum hatte ich eine Minute lang gerudert, als Georg etwas Schwarzes im Wasser dahertreiben sah. Wir steuerten darauf los, und Georg lehnte sich über, um es zu erfassen, aber mit einem Schrei und mit geisterbleichem Gesicht fuhr er zurück.
Читать дальше