Monika Steiermann 2: >Mon Repos< ist am Rande unserer Stadt in einem riesigen und so verwilderten Park gelegen, daß die Villa seit langem beinahe unsichtbar geworden ist, nur im Winter sind bisweilen mühsam und unbestimmt einige Gemäuer und ein Giebel durch das wirre Geäst alter Bäume gegen den Wagnerbühl hin zu erraten. An Empfänge in >Mon Repos< vermögen sich nur noch wenige zu erinnern. Vater und Großvater der» echten «Monika gaben ihre Feste und Jubiläen schon auf ihren Landsitzen am Zuger- und Genfersee, hielten sich in unserer Stadt nur auf, um zu arbeiten (sie stellten noch Schwerarbeiter der Industrie dar), feiern taten sie auswärts, während die Damen, besuchten sie unsere Stadt, im >Dolder<, im >Baur au Lac< oder eben im >Breitingerhof< logierten. >Mon Repos< wurde nach und nach eine Sage, besonders nachdem eines Morgens drei Einbrecher, die aus Deutschland eingereist waren, jämmerlich zusammengeschlagen vor dem Parkportal der Steiermannschen Villa lagen; die Polizei gab dazu keinen Kommentar. Lüdewitz hatte sich eingeschaltet. Außer Daphne, die man für Monika Steiermann hielt, schien sich niemand in dem Haus aufzuhalten, die Lieferanten hatten ihre Ware in eine leere Garage neben dem Parkportal zu stellen, doch war die Menge der Lebensmittel beträchtlich. Daphne selber lud niemanden in die Villa ein, sie besaß noch ein Appartement in der Aurorastraße. Ich hatte schon zwei Treupel zu mir genommen, als ich zum Wagnerstutzweg fuhr. Der Wetterumsturz war wieder einmal umgestürzt, der See schien ein Rinnsal, so nah war das andere Ufer. Vier Uhr nachmittags. Vor dem Parkportal hielt ich an, den Wagen halb auf dem Trottoir geparkt. Das Portal war unverschlossen. Ich ging in den Park hinein, unsicher, die Treupel wirkten noch. Der Kiesweg führte aufwärts, hin und wieder einzelne hölzerne Stufen, aber er war durchaus nicht steil, wie ich erwartet hatte, bedeutet doch Stutz eine jähe Steigung. Der Park war ungepflegt, die Wege nicht gejätet, die Springbrunnen vermoost, dazwischen urwäldliche Partien, alles besetzt mit Unmengen von Gartenzwergen. Sie standen nicht einzeln herum, sondern in Gruppen, in Völkern, sinnlos, mit weißen Barten, rosig, lächelnd, idiotisch, saßen sogar in den Bäumen, wie Vögel auf den Ästen befestigt, dann wieder gab es größere Gartenzwerge, grimmigere, ja bösartigere, auch weibliche, die größer als die männlichen waren, unheimliche Zwergweiber mit großen Köpfen. Ich fühlte mich von ihnen verfolgt, eingekreist, lief immer schneller, bis ich nach einer jähen Kurve um eine mächtige alte Esche herum unvermittelt aufgefangen wurde: Es war, als würde ich gegen Eisen geschmettert, ohne daß ich recht erkennen konnte, wer mich da auf sich aufprallen ließ und mich umdrehte, offenbar ein Leibwächter, worauf ich den restlichen Weg zur Villa mehr getragen als geführt wurde. In der Haustüre stand ein zweiter Leibwächter, so massig, daß er die Türe auszufüllen schien, nahm mich in Empfang und schob mich ins Innere der Villa, zuerst durch eine Vorhalle, dann durch eine Halle mit einem prasselnden Kamin, ein ganzer Baumstamm schien darin zu brennen, und endlich in einen Salon oder, wenn man will, mehr in ein Kabinett. Man ließ mich in einen Ledersessel fallen. Benommen schaute ich auf. Die Arme und der Rücken schmerzten. Die beiden Leibwächter saßen mir gegenüber in klobigen Ledersesseln. Sie waren kahlköpfig. Ihre Gesichter waren wie aus Ton. Schlitzäugig, Backenknochen wie Fäuste. Sie waren sorgfältig gekleidet, dunkelblaue Anzüge aus reiner Seide, als wäre Hochsommer, seidene weiße Krawatten, doch Schuhe, wie Gewichtheber sie tragen. Sie wirkten wie Kolosse, ohne eigentlich sonderlich groß gewachsen zu sein. Ich nickte ihnen zu. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos. Ich sah mich um. An den getäfelten Wänden hingen und klebten Fotos, derart zahlreich, daß das dunkelbraune Getäfel fast wie mit einer Fototapete überdeckt war; und mit jener merkwürdigen Art von Schrecken, die jede Entdeckung begleitet, begriff ich, daß es sich um immer die gleiche Person handelte, die hier abgebildet war: Dr. Benno, und dann erst erkannte ich an der Wand gegenüber den vergitterten Fenstern in einer Nische die unanständige Meisterplastik Mocks, die nackte» falsche «Steiermann, Daphne, nur jetzt in Bronze, ihre Brüste wie Gewichte mit den Händen stemmend, und wie ich sie wahrgenommen hatte, öffnete sich die gegenüberliegende Doppeltür, und ein dritter kahlköpfiger Leibwächter, noch mächtiger, noch seidiger als die beiden in den Ledersesseln, trug ein verrunzeltes und verkrümmtes Wesen von der Größe eines vierjährigen Kindes herein. Es trug ein groteskes, tief ausgeschnittenes schwarzes Kleid, auf dem ein Saphir funkelte, über dem winzigen, zerkrüppelten Leib.
«Ich bin Monika Steiermann«, sagte das Wesen.
Ich erhob mich.»Spät, Rechtsanwalt.»
«So, so, ein Rechtsanwalt«, meinte das winzige Wesen mit dem mächtigen Kopf. Das Unheimliche war die Stimme. Es war, als ob aus dieser Ungestalt ein anderer Mensch spräche. Es war die Stimme einer Frau:»Was wollen Sie von mir?»
Der Leibwächter, das Wesen auf seinen Armen, blieb unbeweglich.
«Monika…»
«Frau Steiermann«, korrigierte mich das Wesen, und dann zupfte es an seinem Kleid:»Dior. Chic, nicht?«In seiner Stimme lag ein ruhiger, überlegener Spott.
«Frau Steiermann, Daphne will nicht mehr zu Ihnen zurückkehren.»
«Das sollen Sie mir ausrichten?«fragte das Wesen.
«Das soll ich Ihnen ausrichten«, antwortete ich.
Es war nicht zu erraten, wie das Wesen die Botschaft aufnahm.
«Whisky?«fragte es.
«Gern.»
Ohne daß das Wesen ein Zeichen gegeben hätte, öffnete sich die Doppeltür hinter mir, und ein vierter kahlköpfiger Leibwächter brachte Scotch und Eis.
«Pur?«fragte es.
«Mit Eis.»
Der vierte Leibwächter bediente, blieb. Auch die beiden ersten hatten sich erhoben.
«Wie gefallen Ihnen meine Diener, Rechtsanwalt?«fragte das Wesen, und jener, der es trug, führte ihm den Scotch zum Mund.
«Imponierend«, sagte ich.»Ich habe sie für Ihre Leibwächter gehalten.»
«Imponierend, aber blöd«, antwortete es.»Usbeken. Die Russen haben sie irgendwo in Innerasien aufgegabelt und in die Rote Armee gesteckt, dann sind sie in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten, und weil die Nazi-Anthropologen nicht imstande gewesen sind, sich zu einigen, zu welcher Rasse sie gehören, sind sie am Leben geblieben. Mein Vater hat sie in einem Institut für Rassenforschung aufgekauft. Solche Biester sind damals billig zu haben gewesen. Als unbrauchbarer Restposten der Menschheit. Für mich sind sie Usbeken, weil mir das Wort gefällt. Haben Sie die Gartenzwerge gesehen, Rechtsanwalt?»
Der Schweiß lief mir über das Gesicht. Der Raum war überheizt.
«Eine ganze Armee, Frau Steiermann.»
«Ich stelle mich manchmal unter die Weiblein«, lachte das Wesen,»und kein Mensch bemerkt mich, auch wenn ich mich bewege. Cheerio.»
Der Usbeke, der es trug, hielt ihm wieder den Scotch an die Lippen. Es trank.
«Auf Ihr Wohl, Frau Steiermann«, sagte ich und trank ebenfalls.
«Setzen Sie sich, Rechtsanwalt Spät«, befahl es. Ich setzte mich in den Ledersessel. Der Usbeke blieb vor mir unbeweglich stehen, das Wesen auf dem Arm.
«Daphne will nicht mehr zu mir zurück«, sagte es,»ich hatte gewußt, daß sie einmal nicht mehr zurückkommt«, und in seinen großen Augen im kleinen faltigen Gesicht unter dem mächtigen, fast haarlosen Schädel waren Tränen.
Bevor ich etwas zu sagen vermochte, setzte der Usbeke das Wesen auf meinen Schoß, drückte mir dessen Scotch in die freie Hand und warf sich mit den drei anderen zum Fenster hin auf die Knie, sie berührten mit ihrer Stirn den Boden, und ihre gewaltigen Hintern schnellten hoch. Das Wesen krallte sich an mich. Ich war etwas unbeholfen mit den zwei Gläsern.
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