Iwan Turgenew - Neu-Land
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lvan S. Turgenev
Neu-Land
»Es soll das Neu-Land nicht mit leicht die
Oberfläche streifender Hacke, sondern mit tief
einschneidenden Pfluge geackert werden.«
Aus den Aufzeichnungen eines Landwirths.
Erstes Capitel
Im Frühling des Jahres 1868, ungefähr um ein Uhr Mittags, stieg ein nachlässig und ärmlich gekleideter Mann im Alter von gegen siebenundzwanzig Jahren mühsam die Hintertreppe eines fünfstöckigen Hauses in der Offiziers-Straße in St. Petersburg hinauf. Schwerfälligen Schrittes die schlürfenden, abgetretenen Galoschen nach sich ziehend, den wuchtigen, plumpen Körper langsam auf und nieder bewegend, schritt er endlich über die letzten Stufen, der Treppe hinweg, blieb vor einer morschen, halbgeöffneten Thür stehen, – und stürzte, ohne die Glocke zu ziehen, jedoch geräuschvoll Athem holend, in das kleine dunkle Vorzimmer hinein.
– Ist Neshdanow zu Hauses – fragte er fast schreiend mit tiefer, lauter Stimme.
– Er ist fort – ich bin hier, treten Sie ein, – ertönte aus dem Nebenzimmer eine weibliche, gleichfalls ziemlich rauhe Stimme.
– Maschurina? – entgegnete fragenden Tones der Ankömmling.
– Sie selbst. – Und Sie sind – Ostrodumow?
– Pimen Ostrodumow, – antwortete Dieser, worauf er die Galoschen vorsichtig abzog, den alten fadenscheinigen Mantel an den Nagel hängte, und dann in das Zimmer trat, aus welchem die weibliche Stimme erklungen war.
Es war ein niedriges, unsauberes Zimmer, dessen Wände mit mattgrüner Farbe gestrichen waren und in welches das Licht durch zwei verstaubte Fenster kaum hineinzudringen vermochte. Das ganze Ameublement bestand aus einem kleinen eisernen Bette in der Ecke, einem Tisch in der Mitte, einigen Stühlen und einer mit Büchern überladenen Etagère – Am Tisch saß eine weibliche Gestalt von schlichtem Aussehen, mit entblößten Kopfe, im Alter von ungefähr dreißig Jahren, in einem schwarzen wollenen Kleide und rauchte eine Cigarette. Als sie den eintretenden Ostrodumow erblickte, streckte sie ihm schweigend ihre breite, rothe Hand entgegen. Gleichfalls schweigend drückte sie Dieser – und holte, indem er sich auf einen Stuhl niederließ, aus der Seitentasche seines Rockes eine halb zerbrochene Cigarre hervor. Maschurina gab ihm Feuer – er tauchte die Cigarre an, und Beide begannen nun, ohne ein Wort zu sprechen und sogar ohne einander anzublicken, bläuliche Rauchwolken in die ohnedies schon dumpfe, tabakdurchtränkte Luft des Zimmers aufsteigen zu lassen.
Den beiden Rauchern schien ein unbestimmtes Etwas gemeinsam zu sein, obgleich die Gesichtszüge derselben einander durchaus unähnlich waren. Es sprach aus diesen zwei unordentlichen Menschen mit den groben Lippen, Zähnen und Nasen – Ostrodumow hatte dazu noch Blatternarben im Gesicht – eine gewisse Ehrlichkeit, Festigkeit und thätige Arbeitslust.
– Haben Sie Neshdanow gesehen? – fragte Ostrodumow endlich.
– Hab’ ihn gesehen; er wird gleich hier sein, Bücher wollte er zur Bibliothek bringen.
Ostrodumow spuckte leichthin zur Seite.
– Was läuft er denn jetzt immer umher? Man trifft ihn ja nie.
Maschurina holte eine andere Cigarrette hervor.
– Er langweilt sich, – sagte sie, die Cigarrette sorgfältig anrauchend.
– Langweilt sich! – wiederholte Ostrodumow vorwurfsvoll.
– Diese Weichlichkeit! Sollte man doch denken, wir hätten mit ihm nichts zu thun. Hier gilt es, will’s Gott, Alles energisch zu Ende zu führen, er aber – langweilt sich!
– Ist kein Brief aus Moskau angekommen?– fragte Maschurina nach einer kurzen Pause.
– Ist angekommen . . . vorgestern.
– Haben Sie ihn gelesen?
Ostrodumow nickte blos mit dem Kopfe.
– Nun . . . und was denn?
– Was? – Werde bald fahren müssen.
Maschurina nahm die Cigarrette aus dem Munde. – Weßhalb denn? Es geht dort doch Alles gut, wie man hört.
– Es geht seinen Gang. Es ist da nur ein nicht ganz zuverlässiges Männlein hineingekommen. Nun und . . . da muß man es absetzen, vielleicht auch ganz beseitigen. Dann giebt’s da noch and’re Dinge zu thun. – Sie ruft man ebenfalls dahin.
– Im Brief?
– Ja; im Brief.
Mit einer raschen Bewegung des Kopfes warf Maschurina das schwere Haar aus dem Gesicht zurück. Hinten unordentlich zu einer kleinen Flechte aufgesteckt, fiel es vorn über Stirn und Brauen herab.
Ei was! – sagte sie: – wenn der Befehl gegeben wird – so ist da nichts mehr zu reden.
– Natürlich, nichts! ohne Geld ist es jedoch gar nicht möglich; woher soll man’s aber nehmen, dieses Geld?
Maschurina sann noch.
– Neshdanow muß es schaffen, – sagte sie leise, gleichsam für sich.
– Deswegen eben bin ich gekommen, – bemerkte Ostrodumow.
– Haben Sie den Brief bei sich? – fragte Maschurina plötzlich.
– Ja. Wollen Sie ihn lesen?
– Geben Sie oder nein, ist nicht nöthig. Wir lesen ihn zusammen . . . später.
– Es ist so, wie ich sage, – brummte Ostrodumow; – zweifeln Sie nicht daran.
– Ich zweifle auch gar nicht.
Und Beide wurden wieder still, und es entstiegen wie früher nur Rauchwolken den verstummten Lippen und zogen in schwach kräuselnder Bewegung über ihren mit üppigem Haarwuchs bedeckten Köpfen hinweg.
– Da ist er! – flüsterte Maschurina.
Die Thür ging ein wenig auf und ein Kopf zeigte sich in der Oeffnung – aber es war nicht Neshdanow’s Kopf.
Es war das ein rundes Köpfchen mit schwarzem, struppigem Haar, breiter, gerunzelter Stirn, braunen überaus lebhaften Augen unter den dichten Brauen, einer entenartigen, aufgeworfenen Nase und einem kleinen rosigen, possirüch gebildeten Munde. Das Köpfchen blickte sich um, nickte, und lächelte – wobei eine Menge kleiner weißer Zähnchen zum Vorschein kamen – und trat dann mitsammt seinem schwächlichen Oberkörper, den kurzen Armen und den ein wenig krummen und lahmen Beinchen in’s Zimmer. Als Maschurina und Ostrodumow dieses Köpfchens gewahr wurden, zeigte sich in ihren Mienen sogleich eine gewisse nachsichtsvolle Verachtung, als ob gleichsam ein Jeder von ihnen innerlich ausgerufen hätte: » Ah! Dieser! « Und sie ließen kein Wörtchen weiter fallen, sie rührten sich nicht einmal. Der dem neu eintretenden Gast erwiesene Empfang setzte denselben übrigens durchaus nicht in Verlegenheit, sondern gewährte ihm sogar, wie es schien, eine gewisse Befriedigung.
– Was hat das zu bedeuten? – brachte er mit seiner, durchdringender Stimme hervor. – Ein Duett? Warum denn kein Trio? und wo ist denn der erste Tenor?
– Ihre Wißbegierde betrifft wohl Neshdanow, Herr Paklin? – fragte ihn Ostrodumow mit ernster Miene.
– Ganz recht, Herr Ostrodumow: Neshdanow.
– Er kommt wohl bald, Herr Paklin.
– Sehr angenehm zu hören, Herr Ostrodumow.
Das schwächliche Männchen wandte sich zur Maschurina. Mit finsterer Miene saß sie da – und fuhr aus ihrer Cigarrette gemächlich zu dampfen fort.
– Wie geht es Ihnen, liebste . . . liebste . . . Ach wie das ärgerlich ist! Immer vergesse ich Ihren Tauf- und auch ihren Vaternamen!
Maschurina zuckte die Achseln.
– Und Sie brauchen ihn auch nicht zu wissen! Mein Familienname ist Ihnen bekannt. Ist das nicht genug! – Und was das für eine Frage ist: wie geht es Ihnen? – Sehen Sie denn nicht, daß ich lebe?
– Vollkommen, vollkommen richtig! – rief Paklin, die Nasenflügel aufblasend und mit den Augenbrauen zuckend; – wenn Sie nicht am Leben wären, würde Ihr ergebener Diener nicht das Vergnügen haben, Sie hier zu sehen und sich mit Ihnen zu unterhalten! – Schreiben Sie meine Frage einer verjährten dummen Gewohnheit zu. Ebenso hinsichtlich des Tauf- und Vaternamens . . . Wissen Sie: es ist gewissermaßen so unbequem, ganz einfach Maschurina zu sagen. – Ich weiß freilich, daß Sie auch Ihre Briefe nicht andere unterzeichnen, als einfach: Bonaparte! – wollte sagen: Maschurina! – Aber ungeachtet dessen, in der Unterhaltung . . .
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