Gotthold Ephraim Lessing
Gespräche für Freimaurer
ERNST
Woran denks du, Freund?
FALK
An nichts.
ERNST
Aber du bist so still.
FALK
Eben darum. Wer dekt, wenne er geniesst? Und ich geniesse des erquickenden Morgens.
ERNST
Du hast recht; und du hättest mir meine Frage nur zurückgeben dürfen.
FALK
Wenn ich an etwas dächte, würde ich darüber sprechen. Nichts geht über das laut denken mit einem Freund.
ERNST
Gewiss.
FALK
Hast du des schönen Morgens schon genug genossen, fällt dir etwas ein: so sprich du Mir fällt nichts ein.
ERNST
Gut das!—Mir fällt ein, dass ich dich schon längst um tewas fragen wollen.
FALK
So frage doch.
ERNST
Ist es wahr, Freund, dass du ein Freimäurer bist?
FALK
Die Frage ist eines, der keiner ist.
ERNST
Freilich!—Aber antworte mir geradezu.—Bist du ein Freimäurer?
FALK
Ich glaube es zu sein.
ERNST
Die Antwort ist eines, der seiner Sache eben nicht gewiss ist.
FALK
O doch! Ich bin meiner Sache so ziemlich gewiss.
ERNST
Denn du wirst ja wohl wissen, ob und wenn und wo und von wem du aufgenommen worden.
FALK
Das weiss ich allerdings; aber das würde so viel nicht sagen wollen.
ERNST
Nicht?
FALK
Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht aufgenommen!
ERNST
Erkläre dich.
FALK
Ich glaube ein Freimäurer zu sein; nicht sowohl, weil ich von älteren Maurern in einer gesetzlichen Loge aufgenommen worden: sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die Freimäurerei ist, wenn und wo sie gewesen, wie und wodurch sie befördet oder gehindert wird.
ERNST
Und drückst dich gleichwohl so zweifelhaft aus?—"Ich glaube einer zu sein!"
FALK
Dieses Ausdrücks bin ich nun so gewohnt. Nicht zwar, als ob ich Mangel an eigner Ueberzeugung hätte: sondern weil ich nicht gern mich jemanden gerade in den Weg stellen mag.
ERNST
Du antwortest mir als einem Fremden.
FALK
Fremder oder Freund!
ERNST
Du bist aufgenommen, du weisst alles.
FALK
Andere sind auch aufgenommen und glauben zu wissen.
ERNST
Könntest du denn aufgenommen sein, ohne zu wissen, was du weisst?
FALK
Leider!
ERNST
Wieso?
FALK
Weil viele, welche aufnehmen, es selbst nicht wissen, die wenigen aber, die es wissen, es nicht sagen können.
ERNST
Und könntest du denn wissen, was du weiszt, ohne aufgenommen zu sein?
FALK
Warum nicht?—Die Freimäurerei ist nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches, sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muss man auch durch eignes Nachdenken ebensowohl darauf verfallen können, als man durch Anleitung darauf geführet wird.
ERNST
Die Freimäurerei wäre nichts Willkürliches?—Hat sie nicht Worte und Zeichen und Gebräuche, welche alle anders sein könnten und folglich willkürlich sind?
FALK
Das hat sie. Aber diese Worte und diese Zeichen und Gebräuche sind nicht die Freimäurerei.
ERNST
Die Freimäurerei wäre nichts Entbehrliches?—Wie machten es denn die Menschen, als die Freimäurerei noch nicht war?
FALK
Die Freimäurerei war immer.
ERNST
Nun, was ist sie denn, diese notwendige, diese untentbehrliche Freimäurerei?
FALK
Wie ich dir schon zu verstehen gegeben: Etwas das selbst die, die es wissen, nicht sagen können.
ERNST
Also ein Unding.
FALK
Uebereile dich nicht.
ERNST
Wovon ich einen Begriff habe, das kann ich auch mit Worten ausdrücken.
FALK
Nicht immer; und oft wenigsten nicht so, dass andere durch Worte volkommen ebendenselben Begriff bekommen, den ich dabei habe.
ERNST
Wenn nicht vollkommen ebendenselben, doch einen etwanigen.
FALK
Der etwanige Begriff wäre hier unnütz oder gefährlich. Unnütz, wenn er nicht genug, und gefährlich, wenn er das geringste zu viel enthielte.
ERNST
Sonderbar! Da also selbst die Freimäurer, welche das Geheimnis ihres Ordens wissen, es nicht wörtlich mitteilen können, wie breiten sie denn gleichwohl ihren Orden aus?
FALK
Durch Taten. Sie lassen gute Männer und Jûnglinge, die sie ihres nähern Umgangs würdigen, ihre Taten vermuten, erraten, sehen, soweit sie zu sehen sind; diese finden Geschmack daran und tun ähnliche Taten.
ERNST
Taten? Taten der Freimäurer? Ich kenne keine andere als ihre Reden und Lieder, die meistenteils schöner gedruckt als gedacht und gesagt sind.
FALK
Das haben sie mit mehrern Reden und Liedern gemein.
ERNST
Oder soll ich das für ihre Taten nehmen, was sie in diesen Reden und Liedern von sich rühmen?
FALK
Wenn sie es nicht bloss von sich rühmen.
ERNST
Und was rühmen sie denn von sich?—Lauter Dinge, die man von jedem guten Menschen, von jedem rechschaffnen Bürger erwartet.—Sie sind so freundlich, so guttätig, so gehorsam, so voller Vaterlandsliebe!
FALK
Ist denn das nichts?
ERNST
Nichts!—um sich dadurch von andern Menschen auszusondern.—Wer soll das nicht sein?
FALK
Soll!
ERNST
Wer hat, dieses zu sein, nicht, auch ausser der Freimäurerei, Antrieb und Gelegenheit genug?
FALK
Aber doch in ihr und durch sie eine Antrieb mehr.
ERNST
Sage mir nichts von der Menge der Antriebe. Lieber einem einzigen Antriebe alle mögliche intensive Kraft gegeben!—Die menge solcher Antriebe ist wie die Menge der Räder in einer Maschine. Je mehr Räder: desto wandelbarer.
FALK
Ich kann dir das nicht widersprechen.
ERNST
Und was für einen Antrieb mehr!—Der alle andre Antriebe verkleinert, verd¨chtig macht! sich selbst für den stärksten und besten ausgibt!
FALK
Freund, sei billig!—Hyperbel, Quidproquo jener schalen Reden und Lieder! Proberwerk! Jüngerarbeit!
ERNST
Das will sagen: Bruder Redner ist ein Schwätzer.
FALK
Das will nur sagen: was Bruder Redner an den Freimäurern preiset, das sind nun freilich ihre Taten eben nicht. Denn Bruder Redner ist wenigstens kein Plauderer; und Taten sprechen von selbst.
ERNST
Ja, nun merke ich, worauf du zielest. Wie konnten sie mir nicht gleich einfallen, diese Taten, diese sprechende Taten. Fast möchte ich sie schreiende nennen. Nicht genug, dass sich die Freimäurer einer den andern unterstützen, auf das kräfstigste unterstützen: denn das wäre nur die notwendige Eigenschaft einer jeden Bande. Was tun sie nicht für das gesamte Publikum eines jeden Staats, dessen Glieder sie sind!
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