Walter zuckte mit den Schultern. „Egal. Er sieht wie ein Philosoph aus. Lasst uns doch einfach hallo sagen.“
Er ging auf den Mann zu. Simon und Esther tauschten einen Blick, zuckten dann ebenfalls mit den Schultern und folgten ihrem selbstbewussten, unbeeindrucktem Freund.
Als sie näherkamen, fiel Esther plötzlich ein, wo sie das Gesicht des alten Mannes schon einmal gesehen hatte. Es war im Geschichtsraum der Schule für Seher ausgestellt! Die Schule besaß viele Büsten von berühmten Wissenschaftlern, Mathematikern, Philosophen, Politikern und dergleichen. Dieses Gesicht, das nun faltig und alt war, gehörte Poseidonius, dem stoischen Philosophen, dessen Lehren größtenteils verloren gegangen waren.
Esther streckte ihren Arm aus und packte Simon am Handgelenk. „Ich glaube, ich weiß, wer das ist.“
Simon nickte. Er hatte offensichtlich eins und eins zusammengezählt und war zum gleichen Schluss gekommen wie Esther.
„Poseidonius!“, riefen sie einstimmig.
Der Mann sah abrupt von seiner Arbeit auf. Er betrachtete Walter, der vor ihm stand und sich mit seiner dunklen Haut trotz Toga und Sandalen extrem von den Griechen mit ihrem bronzefarbenen Teint unterschied. Dann wanderte sein Blick zu Esther und Simon. Der blasse Simon und sein zusammengewürfeltes Outfit schienen ihn genauso zu überraschen.
Er runzelte die Stirn. Die drei Kinder, die vor ihm standen, seinen Namen kannten und ihn enthusiastisch ausgerufen hatten, verwirrten ihn offensichtlich.
Er begann, zu sprechen. Doch Esther hatte keine Ahnung, was er sagte, da er die Sprache des alten Griechenlandes sprach. Sie drehte sich zu Simon.
„Kannst du übersetzen?“, fragte sie.
Simon verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während seine Wangen hellrosa wurden. „Naja, nein. Ich meine, wir haben gelernt, wie man die Sprache liest, aber nicht, wie man sie spricht.“
Walter lachte. „So viel zur ausgezeichneten Ausbildung.“
„Niemand weiß genau, wie man die alten Sprachen richtig ausspricht“, erwiderte Simon.
„Ruhe“, meinte Esther zu beiden. „Hört auf zu zanken. Wir müssen einen Weg finden, um mit Poseidonius zu kommunizieren. Er muss der Grund für unseren Aufenthalt auf Rhodos sein.“
„Wer ist er?“, fragte Walter.
„Poseidonius“, wiederholte Esther. Sie durchkämmte ihren Verstand nach Informationen, die den Philosophen betrafen. „Er hat Physik und Astrologie studiert. Und wie der Mond die Gezeiten kontrolliert. Oh und er starb 51 vor Christus im Alter von 83 Jahren.“
Sie sah den alten Mann erneut an. Er musste sich etwa in dem Alter befinden. Das war also die Zeit, in der sie gelandet waren. Rhodos im Jahr 51 vor Christus, kurz vor Poseidonius Tod.
„Und du denkst, er wird uns helfen?“, fragte Walter. „Dabei, das Feuerzepter zu finden?“
„Ich weiß es nicht“, gab Esther zu. „Aber so funktionieren Professor Amethysts Missionen für gewöhnlich. Er schickt uns irgendwo hin, damit wir einen Seher finden, der uns helfen kann.“
Sie dachte an Oliver und ihre gemeinsame Reise in die Zeit Newtons. Sie vermisste ihn schrecklich. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich von Gefühlen ablenken zu lassen.
Sie wendete sich wieder Poseidonius zu und versuchte es erneut. „Seher“, sagte sie und zeigte auf ihre kleine Gruppe, mit der Hoffnung, dass das Wort sich universal in alle Sprachen übersetzen ließ. „Seeeeher.“
Simon schüttelte den Kopf. „Das funktioniert nicht.“
„Zepter!“, sagte Walter und stellte pantomimisch einen langen Stab dar. Dann schlängelte er seine Finger wie ein Lagerfeuer. „Feuer.“
Poseidonius Stirnrunzeln wurde immer ausgeprägter. Die Störung der Kinder schien ihn sogar zu irritieren. Schwer seufzend stand er auf und ging davon.
Als sie zusahen, wie er davonlief, überkam Esther ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Warum schickte Professor Amethyst sie nach Rhodos, ins Jahr 51 vor Christus, wenn sie nicht mit Poseidonius reden sollten? Wer war außer ihm denn noch hier?
„Seht mal!“, rief Walter. „Der alte Poseidonius hat etwas zurückgelassen!“
Er streckte seine Hand aus und griff nach dem Papierstapel, der an der Kiste angelehnt gestanden hatte. Er gehörte eindeutig Poseidonius. Er musste ihn vergessen haben.
Esther wollte ihm gerade hinterherrennen und die Pergamente zurückgeben, als sie innehielt. Vielleicht würden Poseidonius Skizzen ihnen einen Hinweis geben können.
Sie hob die erste Seite hoch. Es war eine ziemlich detaillierte Skizze einer Schule. Darunter stand ein Wort.
„Simon, weißt du, was das heißt?“, fragte sie.
Der Junge beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. „Ah, ja. Das Wort heißt Schule.“ Esther sah zu, wie er schnell den Rest des Textes überflog. „Es scheint so, als sei Poseidonius dabei, eine Schule auf einer der Inselgruppen zu errichten.“ Dann kicherte er. „Seinen Notizen zufolge ist seine stoische Philosophie hier nicht erwünscht.“
„Angeber“, murmelte Walter.
Esther blätterte zur nächsten Seite. Dieses Mal hatte Poseidonius eine Karte gezeichnet. Jede Insel war gekennzeichnet worden.
Simon las laut vor. „Kos. Patmos…“
Esther erkannte sie alle. Doch dann las Simon einen Namen vor, der sie innehalten ließ.
„Cousteau?“, sagte sie und wiederholte, was er gerade gesagt hatte. „Es gibt keine Insel mit dem Namen Cousteau.“
„Du hast Recht“, sagte Simon. „Sie muss umbenannt worden sein.“
Doch Esthers Verstand begann, zu arbeiten. „Warum kommt mir der Name so bekannt vor?“, sagte sie und klopfte sich ans Kinn.
Simon fuhr fort. „Naja, was auch immer er bedeutet – es ist die Insel, auf die Poseidonius ein großes X für den Ort seiner Schule gezeichnet hat.“
„Esther, sieh mal, der Kompass!“, sagte Walter plötzlich.
Esther betrachtete das Gerät, dessen Zeiger sich nun bewegten. Sie deuteten nun auf die Symbole Uhr, Schiffswrack und großes Zahnrad.
Plötzlich machte es in Esthers Kopf klick.
„Ich weiß, woher ich den Namen kenne!“, rief sie. „Jacques Cousteau.“
Die Jungs sahen verwirrt aus, also begann sie zu erklären.
„Bevor ich zur Schule für Seher kam, lebte ich in den 70er Jahren. Naja und da gab es einen sehr berühmten Ozeanographen, der Schiffswracks aufspürte. Er fand unter anderem die HMHS Brittanic und ein französisches Schiff aus dem 17. Jahrhundert. Im Jahr 1977 fand er, genau neben der Inselgruppe von Rhodos, das Wrack eines altgriechischen Schiffs, einer Trireme. Auf dem Schiff befand sich unter anderem eine Art Uhrwerksmechanismus.“
Simon keuchte. „Aber Uhrwerke sind doch noch gar nicht erfunden worden.“
„Genau“, sagte sie. „Alle meinten, dass es sich um einen Scherz handelte.“ Sie zeigte enthusiastisch auf die Karte. „Doch eine Insel des alten Rhodos kann nicht den Namen eines Mannes aus dem Jahr 1977 tragen!“
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