Gotthold Lessing - Hamburgische Dramaturgie
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Man spricht so viel von dem Feuer des Schauspielers; man zerstreitet sich so sehr, ob ein Schauspieler zu viel Feuer haben koenne. Wenn die, welche es behaupten, zum Beweise anfuehren, dass ein Schauspieler ja wohl am unrechten Orte heftig, oder wenigstens heftiger sein koenne, als es die Umstaende erfodern: so haben die, welche es leugnen, recht zu sagen, dass in solchem Falle der Schauspieler nicht zu viel Feuer, sondern zu wenig Verstand zeige. Ueberhaupt koemmt es aber wohl darauf an, was wir unter dem Worte Feuer verstehen. Wenn Geschrei und Kontorsionen Feuer sind, so ist es wohl unstreitig, dass der Akteur darin zu weit gehen kann. Besteht aber das Feuer in der Geschwindigkeit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stuecke, die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu beitragen, um seinem Spiele den Schein der Wahrheit zu geben: so muessten wir diesen Schein der Wahrheit nicht bis zur aeussersten Illusion getrieben zu sehen wuenschen, wenn es moeglich waere, dass der Schauspieler allzuviel Feuer in diesem Verstande anwenden koennte. Es kann also auch nicht dieses Feuer sein, dessen Maessigung Shakespeare selbst in dem Strome, in dem Sturme, in dem Wirbelwinde der Leidenschaft verlangt: er muss bloss jene Heftigkeit der Stimme und der Bewegungen meinen; und der Grund ist leicht zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die geringste Maessigung beobachtet hat, dennoch der Schauspieler sich in beiden Stuecken maessigen muesse. Es gibt wenig Stimmen, die in ihrer aeussersten Anstrengung nicht widerwaertig wuerden; und allzu schnelle, allzu stuermische Bewegungen werden selten edel sein. Gleichwohl sollen weder unsere Augen noch unsere Ohren beleidiget werden; und nur alsdenn, wenn man bei Aeusserung der heftigen Leidenschaften alles vermeidet, was diesen oder jenen unangenehm sein koennte, haben sie das Glatte und Geschmeidige, welches ein Hamlet auch noch da von ihnen verlangt, wenn sie den hoechsten Eindruck machen und ihm das Gewissen verstockter Frevler aus dem Schlafe schrecken sollen.
Die Kunst des Schauspielers stehet hier zwischen den bildenden Kuensten und der Poesie mitten inne. Als sichtbare Malerei muss zwar die Schoenheit ihr hoechstes Gesetz sein; doch als transitorische Malerei braucht sie ihren Stellungen jene Ruhe nicht immer zu geben, welche die alten Kunstwerke so imponierend macht. Sie darf sich, sie muss sich das Wilde eines Tempesta, das Freche eines Bernini oefters erlauben; es hat bei ihr alle das Ausdrueckende, welches ihm eigentuemlich ist, ohne das Beleidigende zu haben, das es in den bildenden Kuensten durch den permanenten Stand erhaelt. Nur muss sie nicht allzu lang darin verweilen; nur muss sie es durch die vorhergehenden Bewegungen allmaehlich vorbereiten und durch die darauf folgenden wiederum in den allgemeinen Ton des Wohlanstaendigen aufloesen; nur muss sie ihm nie alle die Staerke geben, zu der sie der Dichter in seiner Bearbeitung treiben kann. Denn sie ist zwar eine stumme Poesie, aber die sich unmittelbar unsern Augen verstaendlich machen will; und jeder Sinn will geschmeichelt sein, wenn er die Begriffe, die man ihm in die Seele zu bringen gibet, unverfaelscht ueberliefern soll.
Es koennte leicht sein, dass sich unsere Schauspieler bei der Maessigung, zu der sie die Kunst auch in den heftigsten Leidenschaften verbindet, in Ansehung des Beifalles nicht allzuwohl befinden duerften.—Aber welches Beifalles?—Die Galerie ist freilich ein grosser Liebhaber des Laermenden und Tobenden, und selten wird sie ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Haenden zu erwidern. Auch das deutsche Parterre ist noch ziemlich von diesem Geschmacke, und es gibt Akteurs, die schlau genug von diesem Geschmacke Vorteil zu ziehen wissen. Der Schlaefrigste rafft sich, gegen das Ende der Szene, wenn er abgehen soll, zusammen, erhebet auf einmal die Stimme und ueberladet die Aktion, ohne zu ueberlegen, ob der Sinn seiner Rede diese hoehere Anstrengung auch erfodere. Nicht selten widerspricht sie sogar der Verfassung, mit der er abgehen soll; aber was tut das ihm? Genug, dass er das Parterre dadurch erinnert hat, aufmerksam auf ihn zu sein, und wenn es die Guete haben will, ihm nachzuklatschen. Nachzischen sollte es ihm! Doch leider ist es teils nicht Kenner genug, teils zu gutherzig, und nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen, fuer die Tat.
Ich getraue mich nicht, von der Aktion der uebrigen Schauspieler in diesem Stuecke etwas zu sagen. Wenn sie nur immer bemueht sein muessen, Fehler zu bemaenteln, und das Mittelmaessige geltend zu machen: so kann auch der Beste nicht anders, als in einem sehr zweideutigen Lichte erscheinen. Wenn wir ihn auch den Verdruss, den uns der Dichter verursacht, nicht mit entgelten lassen, so sind wir doch nicht aufgeraeumt genug, ihm alle die Gerechtigkeit zu erweisen, die er verdienet.
Den Beschluss des ersten Abends machte "Der Triumph der vergangenen Zeit", ein Lustspiel in einem Aufzuge, nach dem Franzoesischen des Le Grand. Es ist eines von den drei kleinen Stuecken, welche Le Grand unter dem allgemeinen Titel "Der Triumph der Zeit" im Jahr 1724 auf die franzoesische Buehne brachte, nachdem er den Stoff desselben, bereits einige Jahre vorher, unter der Aufschrift "Die laecherlichen Verliebten", behandelt, aber wenig Beifall damit erhalten hatte. Der Einfall, der dabei zum Grunde liegt, ist drollig genug, und einige Situationen sind sehr laecherlich. Nur ist das Laecherliche von der Art, wie es sich mehr fuer eine satirische Erzaehlung, als auf die Buehne schickt. Der Sieg der Zeit ueber Schoenheit und Jugend macht eine traurige Idee; die Einbildung eines sechzigjaehrigen Gecks und einer ebenso alten Naerrin, dass die Zeit nur ueber ihre Reize keine Gewalt sollte gehabt haben, ist zwar laecherlich; aber diesen Geck und diese Naerrin selbst zu sehen, ist ekelhafter, als laecherlich.
Sechstes Stueck Den 19. Mai 1767
Noch habe ich der Anreden an die Zuschauer, vor und nach dem grossen Stuecke des ersten Abends, nicht gedacht. Sie schreiben sich von einem Dichter her, der es mehr als irgendein anderer versteht, tiefsinnigen Verstand mit Witz aufzuheitern, und nachdenklichem Ernste die gefaellige Miene des Scherzes zu geben. Womit koennte ich diese Blaetter besser auszieren, als wenn ich sie meinen Lesern ganz mitteile? Hier sind sie.
Sie beduerfen keines Kommentars. Ich wuensche nur, dass manches darin nicht in den Wind gesagt sei!
Sie wurden beide ungemein wohl, die erstere mit alle dem Anstande und der Wuerde, und die andere mit alle der Waerme und Feinheit und einschmeichelnden Verbindlichkeit gesprochen, die der besondere Inhalt einer jeden erfoderte.
Ihr Freunde, denen hier das mannigfache Spiel
Des Menschen in der Kunst der Nachahmung gefiel:
Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, bessern Seelen,
Wie schoen, wie edel ist die Lust, sich so zu quaelen;
Wenn bald die suesse Traen', indem das Herz erweicht,
In Zaertlichkeit zerschmilzt, still von den Wangen schleicht,
Bald die bestuermte Seel', in jeder Nerv' erschuettert,
Im Leiden Wollust fuehlt und mit Vergnuegen zittert!
O sagt, ist diese Kunst, die so eur Herz zerschmelzt,
Der Leidenschaften Strom so durch eur Inners waelzt,
Vergnuegend, wenn sie ruehrt, entzueckend, wenn sie schrecket,
Zu Mitleid, Menschenlieb' und Edelmut erwecket,
Die Sittenbilderin, die jede Tugend lehrt,
Ist die nicht eurer Gunst und eurer Pflege wert?
Die Fuersicht sendet sie mitleidig auf die Erde,
Zum Besten des Barbars, damit er menschlich werde;
Weiht sie, die Lehrerin der Koenige zu sein,
Mit Wuerde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;
Heisst sie, mit ihrer Macht, durch Traenen zu ergoetzen,
Das stumpfeste Gefuehl der Menschenliebe wetzen;
Durch suesse Herzensangst, und angenehmes Graun
Die Bosheit baendigen und an den Seelen baun;
Wohltaetig fuer den Staat, den Wuetenden, den Wilden
Zum Menschen, Buerger, Freund und Patrioten bilden.
Gesetze staerken zwar der Staaten Sicherheit
Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit;
Doch deckt noch immer List den Boesen vor dem Richter,
Und Macht wird oft der Schutz erhabner Boesewichter.
Wer raecht die Unschuld dann? Weh dem gedrueckten Staat,
Der, statt der Tugend, nichts als ein Gesetzbuch hat!
Gesetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen,
Gesetze, die man lehrt des Hasses Urteil sprechen,
Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Parteilichkeit
Fuer eines Solons Geist den Geist der Drueckung leiht!
Da lernt Bestechung bald, um Strafen zu entgehen,
Das Schwert der Majestaet aus ihren Haenden drehen:
Da pflanzet Herrschbegier, sich freuend des Verfalls
Der Redlichkeit, den Fuss der Freiheit auf den Hals.
Laesst den, der sie vertritt, in Schimpf und Banden schmachten,
Und das blutschuld'ge Beil der Themis Unschuld schlachten!
Wenn der, den kein Gesetz straft oder strafen kann,
Der schlaue Boesewicht, der blutige Tyrann,
Wenn der die Unschuld drueckt, wer wagt es, sie zu decken?
Den sichert tiefe List, und diesen waffnet Schrecken.
Wer ist ihr Genius, der sich entgegenlegt?—
Wer? Sie, die itzt den Dolch, und itzt die Geissel traegt,
Die unerschrockne Kunst, die allen Missgestalten
Strafloser Torheit wagt den Spiegel vorzuhalten;
Die das Geweb' enthuellt, worin sich List verspinnt,
Und den Tyrannen sagt, dass sie Tyrannen sind;
Die, ohne Menschenfurcht, vor Thronen nicht erbloedet,
Und mit des Donners Stimm' ans Herz der Fuersten redet;
Gekroente Moerder schreckt, den Ehrgeiz nuechtern macht,
Den Heuchler zuechtiget und Toren klueger lacht;
Sie, die zum Unterricht die Toten laesst erscheinen,
Die grosse Kunst, mit der wir lachen, oder weinen.
Sie fand in Griechenland Schutz, Lieb' und Lehrbegier;
In Rom, in Gallien, in Albion, und—hier.
Ihr, Freunde, habt hier oft, wenn ihre Traenen flossen,
Mit edler Weichlichkeit die euren mit vergossen;
Habt redlich euren Schmerz mit ihrem Schmerz vereint
Und ihr aus voller Brust den Beifall zugeweint:
Wie sie gehasst, geliebt, gehoffet und gescheuet
Und eurer Menschlichkeit im Leiden euch erfreuet.
Lang hat sie sich umsonst nach Buehnen umgesehn:
In Hamburg fand sie Schutz: hier sei denn ihr Athen!
Hier, in dem Schoss der Ruh', im Schutze weiser Goenner,
Gemutiget durch Lob, vollendet durch den Kenner;
Hier reifet—ja ich wuensch', ich hoff', ich weissag' es!—
Ein zweiter Roscius, ein zweiter Sophokles,
Der Graeciens Kothurn Germanien erneute:
Und ein Teil dieses Ruhms, ihr Goenner, wird der eure.
O seid desselben wert! Bleibt eurer Guete gleich,
Und denkt, o denkt daran, ganz Deutschland sieht auf euch!
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