Sie stand in der offenen Tür und sagte, "Agentin Paige – wenn Sie wirklich Agentin Paige sind – ich fürchte, ich muss Sie bitten, zu gehen."
Riley schluckte hart.
"Ich verstehe nicht."
"Meine Assistentin hat gerade das BAU angerufen. Sie haben dort absolut keine Ahnung von einer Untersuchung bezüglich Selbstmorden am Byars College. Also, wer immer Sie auch sind––"
Riley zog ihre Marke heraus.
"Ich bin Spezialagentin Riley Paige", sagte sie bestimmt. "Und ich werde dafür sorgen, dass eine solche Untersuchung so schnell wie möglich eingeleitet wird."
Sie ging an Hazel Webber vorbei aus dem Büro.
Auf ihrem Weg aus dem Haus, war ihr klar, dass sie sich gerade einen Feind gemacht hatte – und zwar einen gefährlichen.
Es war eine andere Art von Gefahr, als die, die sie gewohnt war.
Hazel Webber war keiner der Psychopathen, dessen bevorzugte Waffen Ketten, Messer, Pistolen, oder Gasfackeln waren.
Sie war eine Frau ohne Gewissen und ihre Waffen waren Geld und Macht.
Riley bevorzugte die Art von Gegner, die sie schlagen oder erschießen konnte. Trotzdem war sie bereit, sich mit Webber auseinanderzusetzen, egal welche Drohungen sie ihr entgegenschleudern würde.
Sie hat mich über ihre Tochter angelogen, dachte Riley immer wieder.
Und nun war Riley entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.
Das Haus erschien nun leer zu sein. Riley war überrascht es zu verlassen, ohne auch nur auf einen Menschen zu treffen. Sie hatte beinahe das Gefühl, sie könnte die Gemälde von der Wand nehmen, ohne dass sie erwischt wurde.
Sie ging nach draußen, stieg in ihren Wagen, und fuhr davon.
Als sie das Tor des Anwesens erreichte, sah sie, dass es verschlossen war. Gleich davor standen der stämmige Wächter, der sie hereingelassen hatte, und der enorme Butler. Beide hatten ihre Arme verschränkt und warteten ganz offensichtlich auf sie.
Die beiden Männer wirkten bedrohlich. Sie sahen außerdem ein wenig lächerlich aus – der kleinere von beiden trug eine Wächteruniform, sein sehr viel breiterer Partner trug seinen ultraformellen Butleranzug.
Wie ein paar Zirkusclowns, dachte sie.
Aber sie wusste, dass sie nicht versuchten lustig zu sein.
Riley hielt direkt vor ihnen. Sie rollte ihr Fenster nach unten, lehnte sich nach draußen und rief ihnen zu:
"Gibt es ein Problem, Gentlemen?"
Der Wächter kam näher, direkt auf ihren Wagen zu.
Der kolossale Butler stapfte auf das Beifahrerfenster zu.
Er sprach in einem donnernden Bass.
"Abgeordnete Webber würde gerne ein Missverständnis aufklären."
"Und das wäre?"
"Sie möchte, dass Sie verstehen, dass Schnüffler hier nicht erwünscht sind."
Jetzt verstand Riley.
Webber und ihre Assistentin waren offenbar zu dem Schluss gekommen, dass Riley eine Betrügerin und keine wirklich FBI Agentin war. Sie schienen zu vermuten, dass sie eine Reporterin war, die eine Art Exposé über die Abgeordnete schreiben wollte.
Ohne Zweifel waren diese beiden Typen es gewohnt, mit neugierigen Reportern umzugehen.
Riley zog wieder ihre Marke aus der Tasche.
"Ich denke, es hat tatsächlich ein Missverständnis gegeben", sagte sie. "Ich bin wirklich eine Spezialagentin des FBI."
Der große Mann grinste abfällig. Er glaubte scheinbar, ihre Marke sei eine Fälschung.
"Steigen Sie bitte aus dem Wagen", sagte er.
"Lieber nicht, danke", erwiderte Riley. "Ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn Sie das Tor öffnen würden."
Riley hatte ihre Tür unverschlossen gelassen. Der große Mann öffnete sie.
"Steigen Sie bitte aus dem Wagen", wiederholte er.
Riley stöhnte leise auf.
Das wird nicht gut enden, dachte sie.
Riley stieg aus dem Wagen und schloss die Tür. Die beiden Männer stellten sich in kurzem Abstand nebeneinander vor sie.
Riley fragte sich, welcher von ihnen sich zuerst bewegen würde.
Dann ließ der große Mann seine Knöchel knacken und kam auf sie zu.
Riley trat ihm entgegen.
Als er nach ihr griff, packte sie ihn am Kragen und dem Ärmel seines linken Arms und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Dann drehte sie sich auf ihrem linken Fuß schnell um die eigene Achse und duckte sich. Sie spürte das massive Gewicht des Mannes kaum, als sein gesamter Körper über ihren Rücken flog. Er landete mit einem lauten Knall kopfüber vor ihrer Autotür und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf.
Das Auto hat am meisten abbekommen, dachte sie in einem Anflug von Unmut.
Der andere Mann bewegte sich bereits auf sie zu und sie wirbelte herum.
Sie landete einen Tritt in seine Weichteile. Er klappte stöhnend zusammen und Riley konnte sehen, dass dieser kleine Kampf vorbei war.
Sie nahm die Pistole des Mannes aus seinem Hüftholster.
Dann betrachtete sie ihr Werk.
Der große Mann lag noch immer in einem Haufen neben dem Auto und starrte sie verängstigt an. Die Tür des Wagens war verbeult, aber nicht so schlimm, wie Riley befürchtet hatte. Der uniformierte Mann war auf Händen und Knien und schnappte nach Luft.
Sie hielt die Pistole, mit dem Griff zuerst, dem Wächter entgegen.
"Das scheinen Sie verloren zu haben", sagte sie mit süßlicher Stimme.
Mit zitternden Händen streckte er sich nach der Waffe aus.
Riley zog sie wieder weg.
"Nicht so schnell", sagte sie. "Nicht bevor Sie das Tor geöffnet haben."
Sie nahm den Mann bei der Hand und half ihm auf die Beine. Er stolperte zurück zur Hütte und öffnete das Tor. Riley ging zu ihrem Wagen.
"Entschuldigen Sie bitte", sagte sie zu dem enormen Mann.
Immer noch verängstigt dreinblickend, kroch der Mann wie ein gigantischer Krebs beiseite, um Riley aus dem Weg zu gehen. Sie stieg in ihr Auto und fuhr durch das Tor. Die Waffe warf sie durch das Fenster auf den Boden, während sie wegfuhr.
Die denken nicht mehr, dass ich ein Reporter bin, dachte sie.
Sie war sich außerdem sicher, dass die Abgeordnete es ebenfalls sehr schnell wissen würde.
*
Einige Stunden später fuhr Riley auf den Parkplatz vor dem BAU Gebäude. Dort saß sie für einige Minuten. Sie war nicht einmal während dem letzten Monat hier gewesen. Sie hatte nicht erwartet, so schnell zurück zu sein. Es fühlte sich seltsam an.
Sie stellte den Motor aus, zog den Schlüssel ab, stieg aus dem Wagen, und ging in das Gebäude. Auf dem Weg zu ihrem Büro wurde sie von Freunden und Kollegen in variierenden Stufen von Willkommen, Überraschung, oder Zurückhaltung begrüßt.
Sie hielt am Büro ihres Partners, Bill Jeffreys, aber er war nicht da. Vermutlich war er an einem Fall, diesmal mit einem anderen Partner.
Sie spürte einen kleinen Stich der Einsamkeit – sogar der Eifersucht.
In vielerlei Hinsicht war Bill ihr bester Freund.
Trotzdem, vielleicht war es gerade gut so. Bill wusste nicht, dass sie und Ryan wieder zusammen waren, und er würde es nicht gutheißen. Er hatte zu oft ihre Hand gehalten, während der schmerzhaften Trennung und Scheidung. Er würde nur schwer glauben, dass Ryan sich geändert hatte.
Als sie die Tür zu ihrem Büro öffnete, musste sie ein zweites Mal hinsehen, um sicherzugehen, dass sie im richtigen Raum stand. Es sah alles viel zu ordentlich und organisiert aus. Hatten sie ihr Büro einem anderen Agenten gegeben? Arbeitet gerade jemand anderes hier?
Riley öffnete eine Schublade und fand vertraute Unterlagen, wenn auch besser geordnet.
Wer würde hier alles für sie aufräumen?
Sicherlich nicht Bill. Er würde es besser wissen.
Vielleicht Lucy Vargas, dachte sie.
Lucy war eine junge Agentin, mit der sowohl sie, als auch Bill gearbeitet hatten, eine, die sie beide mochten. Falls Lucy hinter all dieser Ordnung steckte, dann hatte sie wenigstens nur versucht hilfreich zu sein.
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