Das war Ceres egal, solange sie dadurch entkommen konnten. Die Schiffe hatten bereits begonnen, sie einzukesseln. Sie brauchte das.
„Berühr das Wasser, Ceres, und vergib mir, denn es wird wehtun.“
Ceres stellte keine weiteren Fragen. Sie legte ihre Hand auf das Wasser und spürte, wie das Nass über ihre Haut spülte. Sie machte sich bereit...
... und konnte kaum an sich halten, als etwas sie zu durchströmen begann. Es schimmerte über dem Wasser und breitete sich in der Luft aus. Es schien ihr, als hätte jemand einen Schleier über die Welt gelegt.
Ceres konnte dennoch sehen, wie sich Bogenschützen und Krieger entsetzt umblickten. Sie konnte die Verwunderung in ihren Stimmen hören, auch wenn ihr Rufen wie durch einen Schalldämpfer zu kommen schien.
„Sie können nichts sehen“, sagte Jeva. „Sie sagen, es sei dunkle Magie.“ Sie blickte Ceres mit einer gewissen Ehrfurcht an. „Mir scheint, Thanos hat im Hinblick auf dich nicht übertrieben.“
Da war sich Ceres nicht sicher. Den Schmerz zu ertragen war ihr eine größere Last, als sie glauben mochte. Sie war sich nicht sicher, wie lange sie ihn noch würde aushalten können.
„Rudert“, sagte sie. „Rudert bevor es nachlässt!“
In den hohen Gewölben des Schlosstempels beobachtete Irrien ungerührt, wie Stephania von den Priestern für die Opferung vorbereitet wurde. Er rührte sich nicht vom Fleck während sie umherhuschten, um die schreiende und sich windende Stephania auf dem Altar festzubinden.
Normalerweise hatte Irrien wenig Zeit für solcherlei Dinge. Die Priester waren ein Haufen blutrünstiger Narren, die glaubten, dass man den Tod auf diesem Wege beschwichtigen konnte. Als könnte irgendjemand den Tod aufhalten als wenn nicht durch die Stärke des eigenen Arms. Betteln nützte nichts, nicht bei den Göttern und nicht bei ihm, wie Delos’ kurzzeitige Herrscherin bald erfahren würde.
„Bitte Irrien, ich werde alles tun, was du von mir verlangst! Willst du, dass ich vor dir niederknie? Bitte!“
Irrien stand immer noch wie versteinert da und ignorierte sie so wie er die Schmerzen seiner Wunde ignorierte. Gaffende Adlige und Krieger umringten ihn. Sie zusehen zu lassen, war von ebenso großem Wert wie den Priestern ihre Opferung zu gewähren. Ihre Gunst war letztlich eine weitere Quelle der Macht, die er anzapfen konnte, und Irrien würde nicht so dumm sein, sich diese Möglichkeit durch die Lappen gehen zu lassen.
„Begehrst du mich denn nicht?“ bettelte Stephania. „Ich dachte, du wolltest mich zu deiner Gespielin machen.“
Auch gegen Stephanias Charme konnte sich Irrien nicht völlig erwehren. Das war Teil des Problems. Als ihre Hand auf seinem Arm gelegen hatte, hatte er etwas gespürt, das sich von den gewöhnlichen Regungen, die er für andere schöne Sklavinnen empfand, unterschied. Das würde er nicht zulassen. Das konnte er nicht zulassen. Niemand würde Macht über ihn haben, selbst nicht, wenn diese Macht ihren Ursprung in ihm selbst hatte.
Er blickte über die Menge. Dort gab es genügend schöne Frauen. Stephanias ehemalige Zofen knieten dort angekettet. Einige weinten angesichts dessen, was ihrer früheren Herrscherin gleich bevorstehen würde. Er würde sich schon bald mit ihnen ablenken. Jetzt musste er sich erst einmal von Stephania und der Bedrohung, die durch das, was er für sie fühlte, von ihr ausging, befreien.
Der Ranghöchste unter den Priestern trat zu ihm. Das Gold und Silber in seinem Bart klirrte, während er sich bewegte.
„Alles ist bereitet, gnädiger Herr“, sagte er. „Wir werden das Kind aus dem Mutterleib schneiden und es dann in traditioneller Weise auf dem Altar opfern.“
„Und euren Göttern wird das gefallen?“ fragte Irrien. Wenn der Priester den feinen Spott in seinen Worten wahrgenommen hatte, so wagte er nicht, es sich anmerken zu lassen.
„Es wird ihnen gefallen, Erster Stein. Sogar sehr.“
Irrien nickte.
„Dann soll es geschehen, wie du gesagt hast. Allerdings werde ich derjenige sein, der das Kind töten wird.“
„Ihr, Erster Stein?“ fragte der Priester. Er klang überrascht. „Aber warum?“
Weil es sein Sieg war, nicht der des Priesters. Weil Irrien derjenige gewesen war, der sich seinen Weg durch die Stadt gekämpft hatte, während diese Priester aller Wahrscheinlichkeit irgendwo auf einem Schiff in Sicherheit gesessen hatten. Weil er derjenige gewesen war, der dafür eine Wunde davongetragen hatte. Weil sich Irrien gerne selbst um die durch ihn zum Tode Geweihten kümmerte anstatt sie Männern von niedrigerem Rang zu überlassen. Er würde ihnen jedoch diese Erklärung schuldig bleiben. Er schuldete solchen Menschen keine Erklärungen.
„Weil ich es so will“, sagte er. „Hast du irgendwelche Einwände?“
„Nein, Erster Stein, ich habe keine Einwände.“
Irrien bemerkte zufrieden die in diesen Worten mitschwingende Furcht, nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie ein Beweis seiner Macht war. Alles das hier waren Beweise seiner Macht. Es war zu gleichen Teilen eine Siegeserklärung wie eine Danksagung an die schaulustigen Götter. Auf diesem Weg konnte er zeigen, dass er diesen Ort für sich beanspruchte, während er gleichzeitig sich ein Kind vom Halse schaffte, dass, wenn es alt genug wäre, Anspruch auf seinen Thron erheben könnte.
Weil es ein Beweis seiner Macht war stand er hier und beobachtete die Menge während die Priester begannen, ihr Blutbad in die Wege zu leiten. In ordentlichen Reihen aufgestellt knieten sie sich hin, die Krieger und Sklaven, Händler und jene die von sich behaupteten von adligem Blut zu sein. Er konnte ihre Angst riechen, ihre Tränen und ihre Abscheu.
Hinter ihm sangen sie Priester in einer alten Sprache, die ihnen angeblich von den Göttern selbst gegeben worden war. Irrien blickte sich um und sah, dass der höchste der Priester eine Klinge über Stephanias entblößten Bauch hielt. Die Klinge setzte an, während Stephania sich noch immer zu wehren versuchte.
Irrien wendete sich wieder den Zuschauern zu. Hier ging es um sie und nicht um Stephania. Er sah ihr Entsetzen als sich hinter ihm Stephanias Bitten in Schreie verwandelten. So konnte er ihre Reaktionen sehen, die Ehrfurcht, die Angst, den stillen Hass und jene, die das Spektakel zu genießen schienen. Er sah auch, wie eine der Zofen beim Anblick dessen, was dort hinter ihm vor sich ging, ohnmächtig wurde, und er nahm sich vor, sie dafür zu bestrafen. Eine andere weinte so sehr, dass eine andere sie festhalten musste.
Irrien fand, dass diese Beobachtungen ihm mehr über jene, die ihm dienten, verriet als irgendeine Loyalitätsbekundung es vermocht hätte. Schweigend machte er jene unter den Sklaven aus, die noch immer noch vollends gebrochen worden waren und jene unter den Adligen, die ihn mit zu großem Neid ansahen. Die Aufmerksamkeit eines klugen Mannes ließ auch im Augenblick des Sieges nicht nach.
Stephanias Schreie wurden einen Moment lang noch greller. Sie schienen sich zu einem Crescendo zu steigern, das sich mit den Gesängen der Priester in perfekter Weise ergänzte. Es folgte ein Wimmern. Irrien bezweifelte, dass sie das überleben würde. Doch das war ihm gerade egal. Sie erfüllte ihren Zweck, indem sie der Welt zeigte, wer hier der Herrscher war. Alles andere war unnötig. Beinahe geschmacklos.
Irgendwo inmitten dieses Lärms mischte sich ein neues Geschrei, das des Neugeborenen, unter das von Delos’ schönster Adliger. Irrien trat wieder an den Altar und breitete seine Arme aus, um so die Aufmerksamkeit der Zuschauenden zu gewinnen.
„Wir sind hergekommen und das Reich war schwach. Also haben wir es eingenommen. Ich habe es eingenommen. Die Schwachen sollen dienen oder sterben und ich bestimme, welches Schicksal ihnen gehört.“
Er wandte sich dem Altar zu, auf dem Stephania lag. Ihr Kleid war zerschnitten worden und so kleidete sie jetzt zu gleichen Teilen Blut und Gedärme wie Samt und Seide. Sie atmete noch immer, doch unregelmäßig. Solch eine Wunde würde eine schwache Person wie sie es war nicht einfach wegstecken können.
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