Die Frau war dem McCloud egal; es war offensichtlich, dass er über alle Massen gereizt, und auf Blutvergießen aus war.
Er zog sein Schwert und stellte sich dem anderen.
„Dein Leben für ihres!“, sagte der McCloud.
Die Männer um sie herum machten ihnen Platz und Godfrey spürte, dass die Anspannung stieg. Er wusste, dass er einschreiten musste, bevor das hier in einen Krieg ausartete.
Godfrey sprang über den Tisch, rutschte auf dem verschütteten Bier aus, eilte ans andere Ende der Halle und stellte sich zwischen die beiden Männer und streckte seine Arme aus.
„Männer!“, rief er. Er versuchte, sich zu konzentrieren, seinen Verstand dazu zu zwingen, klar zu denken, und jetzt er bereute zutiefst, dass er zuvor so viel getrunken hatte.
„Wir sind alle Männer hier!“, schrie er. „Wir sind alle ein Volk! Eine Arme! Es gibt keinen Grund zu kämpfen! Hier gibt es mehr als genug Frauen für alle! Keiner von Euch hat es so gemeint!“
Godfrey wandte sich dem MacGil zu, der mit grimmigem Blick und gezogenem Schwert zu seiner Linken stand.
„Wenn er sich entschuldigt, bin ich bereit, es zu akzeptieren.“
Der McCloud stand zunächst verwirrt da, dann wurde der Ausdruck auf seinem Gesicht plötzlich weicher und er lächelte.
„Dann entschuldige ich mich!“, rief er und streckte seine linke Hand aus.
Godfrey trat beiseite. Der MacGil sah ihn argwöhnisch an und griff nach der Hand.
Während sie die Hände schüttelten, riss der McCloud den MacGil plötzlich zu sich heran und rammte ihm sein Schwert in die Brust.
„Ich entschuldige mich“, fügte er hinzu, „dass ich dich nicht schon früher umgebracht habe! Du Dreckskerl!“
Der MacGil sackte schlaff zusammen und sein Blut ergoss sich über den Boden. Er war tot.
Godfrey stand schockiert daneben. Er hatte die Szene genau beobachtet, und hatte das Gefühl, dass alles seine Schuld war. Er hatte den MacGil dazu aufgefordert, die Hand zu akzeptieren, er war derjenige gewesen, der den Waffenstillstand verhandelt hatte. Der McCloud hatte ihn vor all seinen Männern betrogen.
Godfrey konnte nicht klar denken, und angefacht durch den Alkohol, ging etwas mit ihm durch.
Mit einer schnellen Bewegung bückte er sich, griff das Schwert des toten MacGil und rammte es dem McCloud durchs Herz.
Godfrey blickte auf seine blutige Hand hinab und konnte nicht fassen, was er gerade getan hatte. Es war das erste Mal, dass er einen Mann in einer direkten Konfrontation getötet hatte. Er hätte nie geglaubt, dass er zu so etwas fähig war.
Godfrey hatte nicht vorgehabt, ihn zu töten, sein Verstand hatte einen Augenblick lang einfach nicht gearbeitet, und etwas aus seinem tiefsten Inneren hatte die Kontrolle übernommen, ein Teil von ihm, der Genugtuung für die Ungerechtigkeit verlangte.
In der Halle brach plötzlich Chaos aus. Überall schrien und griffen Männer einander wütend an. Schwerter wurden gezogen, und Godfrey spürte, wie Akorth ihn aus dem Weg schob, gerade rechtzeitig, bevor ein Schwert seinen Schädel spalten konnte.
Ein anderer Krieger – Godfrey konnte sich nicht erinnern wer oder warum – griff ihn und warf ihn über den bierverschmierten Tisch. Das letzte, woran Godfrey sich erinnern konnte, war, dass er den hölzernen Tisch entlangrutschte, sein Kopf gegen einen Bierkrug rammte, und er schließlich auf dem Boden landete und hart mit seinem Kopf aufschlug, wobei er sich wünschte überall zu sein, nur nicht hier.
Gwendolyn saß mit Guwayne in ihren Armen in einem Rollstuhl und nahm alle ihre Kräfte zusammen, als die Diener die Tür öffneten und Thor sie in die Kammer ihrer kranken Mutter schob. Die Wachen der Königinmutter verneigten sich und traten beiseite, und Gwendolyn drückte ihr Baby fester an sich, als sie die dunkle Kammer betraten. Die Kammer war ruhig, stickig und finster. Fackeln flackerten an den Wänden. Sie konnte den Tod spüren.
Guwayne, dachte sie. Guwayne, Guwayne.
Sie sagte immer und immer wieder seinen Namen still vor sich hin, im Versuch, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als ihre sterbende Mutter. So wie sie gehofft hatte, brachte ihr sein Name Trost und füllte sie mit Wärme. Guwayne. Das Wunderkind. Sie liebte dieses Baby mehr, als sie in Worte zu fassen vermochte.
Gwendolyn wollte, dass ihre Mutter ihn sah, bevor sie starb. Sie wollte, dass sie stolz auf sie war, wünschte sich den Segen ihrer Mutter. Sie musste es zugeben: trotz ihrer schwierigen Vergangenheit, wollte Gwendolyn Frieden mit ihrer Mutter schließen, bevor sie starb. Sie war in einem verletzlichen Zustand, und die Tatsache, dass sie ihrer Mutter in den letzten Monaten näher gekommen war, trug nur dazu bei, dass sie noch verzweifelter war.
Gwendolyn spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog, als sich die Türen hinter ihr schlossen. Sie sah sich im Raum um und sah ein Dutzend Wachen um ihre Mutter herumstehen, Angehörige der alten Wache, die früher ihren Vater beschützt hatten. Der Raum war voller Menschen, die Totenwache hielten. Neben ihrer Mutter saß natürlich Hafold, ihre treue Dienerin bis zum Ende, die über sie wachte und niemanden an sie heranlies, so wie sie es ihr ganzes Leben lang getan hatte.
Als Thor Gwendolyn an das Bett ihrer Mutter heranschob, wollte sie aufstehen und ihre Mutter umarmen. Doch sie hatte immer noch schreckliche Schmerzen und schaffte es nicht.
Stattdessen griff sie die Hand ihrer Mutter. Sie war kalt.
Im selben Augenblick, öffnete ihre Mutter langsam die Augen. Sie sah sie überrascht und erfreut an, und versuchte zu sprechen.
Sie formte Worte mit ihren Lippen, schaffte es jedoch nicht, mehr als ein Keuchen hervorzubringen. Gwendolyn konnte nicht verstehen, was sie sagen wollte.
Ihre Mutter hustete und winkte Hafold herbei.
Hafold beugte sich sofort über sie und hielt ihr Ohr dicht über den Mund ihrer Herrin.
„Ja, Mylady?“, fragte Hafold.
„Schick alle hinaus. Ich möchte mit meiner Tochter und Thorgrin alleine sein.“
Hafold sah die Königinmutter kurz widerwillig an, doch dann antwortete sie, „Wie Ihr wünscht, Mylady.“
Hafold scheuchte sofort alle anderen zur Tür und nahm schnell wieder ihren Platz an der Seite ihrer Herrin ein.
„Alleine“, wiederholte die Königin und nickte Hafold zu.
Hafold senkte überrascht den Kopf, warf Gwendolyn einen eifersüchtigen Blick zu, stürmte aus dem Raum und zog die Tür fest hinter sich zu.
Gwendolyn saß mit Thor neben ihrer Mutter und war froh, dass sie alleine waren. Der Tod lag schwer in der Luft. Gwendolyn konnte es spüren – ihre Mutter würde nicht mehr lange bei ihr sein.
Ihre Mutter drückte Gwendolyns Hand und Gwen erwiderte die Geste. Die Königinmutter lächelte und eine Träne rollte über ihre Wange.
„Ich freue mich, dich zu sehen“, sagte sie. Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.
Gwendolyn kamen die Tränen, doch sie versuchte, stark zu sein und für ihre Mutter die Tränen zurückzuhalten. Doch sie schaffte es nicht, und die Tränen rollten unaufhörlich über ihre Wangen.
„Mutter“, weinte sie. „Es tut mir Leid, so schrecklich leid!“
Gwendolyn war überwältigt vom Bedauern, dass sie sich ihr ganzes Leben lang nicht näher gestanden waren. Sie hatten einander nie vollkommen verstanden. Ihre Persönlichkeiten waren immer in starkem Kontrast zueinander gestanden, sie hatten kaum jemals dieselben Ansichten vertreten. Gwendolyn tat es leid um ihre Beziehung, auch wenn sie nicht diejenige war, die sich die Schuld dafür geben musste. Rückblickend wünschte sie sich, dass sie irgendetwas hätte sagen oder tun können, um ihre Beziehung zu verbessern. Doch mit allem, was sie jeweils in ihren Leben getan hatten standen sie an unterschiedlichen Enden des Spektrums. Und es schein, als ob jegliche Anstrengung, das zu ändern, egal von welcher Seite sie kam, vergeben Liebesmüh war. Sie waren einfach zwei vollkommen verschiedene Menschen, die zufällig in dieselbe Familie hineingeboren worden waren, vom Schicksal in eine Mutter-Tochter-Beziehung geworfen. Gwendolyn war nie die Tochter gewesen, die ihre Mutter gewollt hatte, und die Königin war für Gwendolyn nie die Mutter gewesen, die sie sich gewünscht hätte. Gwendolyn fragte sich, warum das Schicksal sie zusammengebracht hatte.
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