»Wow, einen Abschluss in Kriminologie«, sagte sie. »Ich habe nur einen in Psychologie. Da bist du mir wirklich einen Schritt voraus.«
John lachte.
»Dir voraus? Ich glaube nicht. Ich meine, du bist wahrscheinlich der einzige Praktikant im Programm mit echter Felderfahrung.«
Jetzt war Riley wirklich verblüfft.
Felderfahrung?
Sie hatte das, was damals in Lanton passiert war, nicht als ›Felderfahrung‹ betrachtet.
John fuhr fort: »Ich meine, du hast tatsächlich geholfen, einen echten Serienmörder aufzuspüren und zu fassen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gewesen sein muss. Ich beneide dich wirklich.«
Riley runzelte die Stirn und schwieg. Sie wollte es nicht aussprechen, aber Neid schien eine schrecklich unangemessene Emotion zu sein, um nachzuempfinden, was sie durchgemacht hatte.
Was dachte John, was in diesen schrecklichen Wochen in Lanton vorgefallen war? Hatte er eine Ahnung, wie es war, die Leichen von zwei ihrer besten Freundinnen zu finden, deren Kehlen brutal aufgeschlitzt worden waren?
Wusste er, wie entsetzt und traurig sie sich gefühlt hatte − und auch wie schuldig?
Noch immer verfolgte sie der Gedanke, dass ihre Mitbewohnerin Trudy noch am Leben sein würde, wenn Riley nur besser auf sie aufgepasst hätte.
Und hatte er eine Ahnung, wie verängstigt sie war, als sie selbst in die Klauen des Mörders geraten war?
Riley nahm einen Schluck von ihrer Limonade und stieß mit der Gabel in ihr Essen.
Dann sagte sie: »Es war ... nun, es war nicht so, wie du es dir vielleicht vorstellst. Es ist nur etwas, das passiert ist.«
Jetzt sah John sie mit echter Sorge an.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich nehme an, du willst nicht darüber reden.«
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte Riley.
Es entstand eine unangenehme Stille. Riley wollte nicht unhöflich sein und begann, John Fragen über sich selbst zu stellen. Er schien nur ungern über sein Leben und seine Familie zu sprechen, aber Riley konnte ihm ein bisschen entlocken.
Johns Eltern waren beide prominente Anwälte, die in starkem Maße in der Politik in D.C. engagiert waren. Riley war beeindruckt − nicht so sehr von Johns wohlhabendem Hintergrund, sondern davon, dass er einen anderen Weg gewählt hatte als die anderen in seiner Familie. Anstatt eine angesehene Karriere in Recht und Politik zu verfolgen, hatte sich John einem bescheideneren Leben in der Strafverfolgung verschrieben.
Ein wahrhafter Idealist, dachte Riley.
Sie verglich ihn mit Ryan, der versuchte, seinen bescheidenen Hintergrund hinter sich zu lassen, indem er ein erfolgreicher Anwalt wurde.
Natürlich bewunderte sie Ryans Ehrgeiz. Das war eines der Dinge, die sie an ihm liebte. Aber sie kam nicht umhin, auch John für die Entscheidungen zu bewundern, die er getroffen hatte.
Während sie weiterredeten, spürte Riley, dass John seinen Charme für sie ausspielte.
Er flirtet mit mir, wurde ihr klar.
Sie war ein wenig erstaunt darüber. Ihre linke Hand lag offen sichtbar auf dem Tisch, sodass er gewiss ihren neuen Verlobungsring sehen konnte.
Sollte sie erwähnen, dass sie verlobt war?
Sie hatte das Gefühl, dass das irgendwie unangenehm wäre − vor allem, wenn sie sich irrte.
Vielleicht flirtete er überhaupt nicht mit mir.
Schon bald stellte John Fragen über Riley, wobei er sich vorsichtig vom Thema der Morde in Lanton fernhielt. Wie üblich vermied Riley bestimmte Probleme − ihre schwierige Beziehung zu ihrem Vater, ihre rebellischen Teenagerjahre und vor allem, dass sie mit ansehen musste, wie ihre eigene Mutter erschossen wurde, als sie ein kleines Mädchen war.
Außerdem kam Riley zu dem Schluss, dass sie im Gegensatz zu Ryan oder John wirklich nicht viel über ihre Hoffnungen, die Zukunft betreffend, zu sagen hatte.
Was sagt das über mich aus? fragte sie sich.
Schließlich sprach sie doch noch über ihre wachsende Beziehung zu Ryan und dass sie sich erst gestern verlobt hatten − allerdings erwähnte sie nicht, dass sie schwanger war. Sie bemerkte keine besondere Veränderung in Johns Verhalten.
Ich schätze, er ist einfach von Natur aus charmant, dachte sie.
Sie war erleichtert bei dem Gedanken, dass sie voreilige Schlüsse gezogen und er nicht mit ihr geflirtet hatte.
Er war ein netter Kerl und sie freute sich darauf, ihn besser kennenzulernen. Tatsächlich war sie sich ziemlich sicher, dass John und Ryan sich mögen würden. Vielleicht könnten sie sich bald alle einmal treffen.
Nachdem die Praktikanten ihre Mahlzeiten beendet hatten, trommelte Hoke Gilmer sie zusammen und brachte sie ein paar Stockwerke tiefer in einen großen Aufenthaltsraum, der für die kommenden zehn Wochen ihr Hauptquartier sein sollte. Ein jüngerer Agent, der Gilmer assistierte, wies jedem der Praktikanten einen Spind zu. Dann setzten sich alle Praktikanten an die Tische und Stühle in der Mitte des Raumes und der jüngere Agent begann, Handys zu verteilen.
Gilmer erklärte: »Wir befinden uns am Beginn des 21. Jahrhundert und das FBI mag es nicht, den neuesten Technologien hinterherzuhinken. Wir werden in diesem Jahr keine Pager verteilen. Einige von Ihnen besitzen vielleicht ein eigenes Handy, aber wir möchten, dass Sie ein separates für das FBI haben. Eine Anleitung finden Sie in Ihrem Orientierungspaket.«
Dann lachte Gilmer, als er hinzufügte: »Ich hoffe, Sie werden sich leichter damit tun, zu lernen, wie man es benutzt, als ich.«
Einige der Praktikanten lachten und nahmen ihr neues Spielzeug in Empfang.
Rileys Handy fühlte sich seltsam klein in ihrer Hand an. Sie war an größere schnurlose Telefone gewöhnt und hatte noch nie zuvor ein Handy benutzt. Obwohl sie in Lanton Computer benutzt hatte und einige ihrer Freunde dort Handys gehabt hatten, besaß sie immer noch keins. Ryan hatte natürlich bereits einen Computer und ein Handy und er neckte Riley manchmal wegen ihrer veralteten Gewohnheiten.
Das hatte ihr nicht sonderlich gefallen. Die Wahrheit war, dass der einzige Grund, warum sie bisher weder einen Computer noch ein Handy besaß, darin bestand, dass sie es sich nicht leisten konnte.
Dieses hier sah fast genau wie Ryans aus − sehr einfach, mit einem kleinen Bildschirm für Textnachrichten, einem Ziffernblock und nur drei oder vier weiteren Tasten. Dennoch fühlte es sich seltsam an, als sie realisierte, dass sie noch nicht einmal wusste, wie man damit einen normalen Telefonanruf machte. Sie wusste, dass es sich auch seltsam anfühlen würde, die ganze Zeit telefonisch erreichbar zu sein, egal wo sie sich gerade befand.
Sie erinnerte sich daran ...
Ich beginne ein ganz neues Leben.
Riley bemerkte, dass gerade eine Gruppe von offiziell aussehenden Personen, die meisten von ihnen Männer, in die Aufenthaltsraum gekommen waren.
Gilmer sagte: »Jeder von Ihnen wird während seiner Wochen hier von einem erfahrenen Special Agent begleitet. Sie beginnen damit, Ihnen Kenntnisse in ihren eigenen Fachgebieten zu vermitteln − Analyse von Verbrechensdaten, forensische Arbeit, Computerlaborarbeit und was sie sonst noch alles machen. Wir stellen sie Ihnen jetzt vor und dann übernehmen sie die Dinge von hier.«
Als der jüngere Agent jeden der Praktikanten seinem Supervisor zugeteilt hatte, erkannte Riley ...
Es gibt einen Agenten weniger, als es Praktikanten waren.
Nachdem die anderen Praktikanten mit ihren Mentoren weggegangen waren, fand sich Riley tatsächlich ohne einen eigenen Supervisor wieder. Sie sah Gilmer perplex an.
Gilmer lächelte leicht und sagte: »Sie finden den Agenten, dem Sie wie ein Schatten folgen werden, weiter den Flur hinunter in Zimmer neunzehn.«
Riley war ein wenig verunsichert, verließ den Aufenthaltsraum und ging den Flur hinunter, bis sie das richtige Zimmer fand. Sie öffnete die Tür und sah, dass ein kleiner, fassförmiger Mann mittleren Alters auf der Kante eines Tischs saß.
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