IN BED WITH BERLIN
Folge 11
The Long Goodbye
Michalina Mayerhoff
Cover: Oliver Rath
Copyright: BERLINABLE UG
Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.
Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.
Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.
Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.
Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.
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The Long Goodbye
Anna bei Marian im Büro: Noch immer steht sie wie angewurzelt vor der geschlossenen Tür und hat eine betretene Miene aufgesetzt. Der Satz, den sie eben losgelassen hat, hallt in Marians Kopf nach wie ein Echo in den Bergen: „Ich habe das Kind verloren.“
Sein Kind.
„Wie ist das passiert?“, will er wissen.
„Gestern Nacht hatte ich plötzlich starke Schmerzen und bin ins Bad und da habe ich so was wie einen Blutsturz bekommen. Jedenfalls hab ich ganz stark geblutet und das Kind ... also der Fötus ... (‚Blödes Wort‘, denkt sie gleich, ‚klingt so medizinisch.‘) ist mit Sicherheit ... in der Toilette gelandet.“
Diese Formulierung entspricht so etwa dem Satz, den sie sich vorher ausgedacht hatte.
Schweigen.
Dann Marian, vorsichtig: „Na ja … hm.“
Wieder Schweigen.
„Und wie geht es dir jetzt? Damit? Und überhaupt?“
Anna windet sich. „Ich weiß noch nicht. So was ist immer ein Schock. Und dann das viele Blut. Aber ich habe fast keine Schmerzen mehr. Im Gegensatz zu heute Nacht. Da dachte ich, irgendjemand zieht mir meine Eingeweide aus dem Leib. War ja auch irgendwie so.“
„Es tut mir leid“, bringt Marian schließlich hervor.
„Wirklich“, fügt er mit klarer Stimme hinzu – und es klingt echt. In diesem Moment meint er tatsächlich, was er sagt.
Mit gewisser Verwunderung und einer Art von nicht gekannter Bestürzung realisiert er, dass er tatsächlich begonnen hatte, sich mit der Idee, ein Kind zu haben, anzufreunden.
„Okay“, beendet Anna das Gespräch mit leiser Stimme, „ich geh dann jetzt mal wieder nach vorn.“
Marian nickt. „Lass mich wissen, wenn du was brauchst. Und du kannst natürlich auch nach Hause gehen, wenn du dich nicht gut fühlst.“
Anna schüttelt den Kopf und spielt bewusst die leidende Heldin. „Ist schon in Ordnung.“
„Ein Wink des Schicksals“, denkt Marian, als Anna gegangen ist. „Sicher ist es besser so.“
Dann geht ihm der gestrige Abend durch den Kopf: der Dreier mit Lena und Martha. Das war mega-heiß. Unglaublich toller Sex. Intim, nah, hochgradig erotisch – und die Sache mit zwei Frauen gleichzeitig hat ihn immer schon gereizt, wenn er ehrlich zu sich ist. Das geht wohl den meisten Männern so. Hat zweifellos was Einzigartiges. Wahrscheinlich ist eine Wiederholung nicht möglich, aber diese tolle Erfahrung kann ihm keiner mehr nehmen. Ihnen allen drei nicht, denn es war sicher auch für Lena und Martha ein hocherotisches Erlebnis besonderer Art.
Dass die Sache mit Anna nun anders aussieht als in den letzten Tagen, wird ihm die sexuelle Freiheit geben, die er sich weiterhin wünscht; ungebremst durch eine hohe Verantwortung, die er zwangsläufig hätte übernehmen müssen. Das ist doch auch etwas, worüber man sich freuen kann – oder zumindest freuen könnte.
Anna setzt sich auf ihren High-Tech-Bürostuhl am Empfang der Kanzlei „Wiedemann, Scholz & König“.
„So, das wäre geschafft“, denkt sie.
Fast tut Marian ihr leid. Im Grunde ist er ja doch ein „guter Mensch“. Das ist ein altmodischer Ausdruck für jemanden, der charakterlich „okay“ ist, aber er trifft zu, dieser Ausdruck. Sie wusste schon, warum sie ihn hatte haben und mit ihm – und möglicherweise einem Kind – hatte leben wollen. Sie seufzt. Diesen Wunsch kann sie vorerst zu den Akten legen. Sie bemerkt, dass ein sich ein erneuter Blutschwall in die Slip-Einlage ihres Höschens ergießt, trotz Tampon in der Vagina – wenn auch nicht mehr so heftig wie gestern Nacht, als es wirklich schlimm war. Sie greift zu ihrer Handtasche und begibt sich eilig zur Toilette.
Lena in Marians Dachetage: Gedankenverloren kauert sie auf ihrem luxuriösen Gästebett, ihr Kinn ruht auf den Knien, die Arme umschließen die angezogenen Beine, der Blick geht starr ins Leere. Was soll sie tun? Ihren neuen, noch nicht mal angetretenen Job als Anästhesistin (na ja, erst mal wird sie ja als Assistenzärztin in der Charité arbeiten) absagen? Hat die Sache mit Chris überhaupt irgendeine Chance? Seit er sie bei der Zwischenlandung seines Fliegers aus Zürich angerufen hat, sind weitere Anrufe ausgeblieben. Soll sie es umgekehrt mal versuchen? Sie hasst sich schon allein für diesen Gedankengang. Dabei wäre doch gar nichts dabei. Wieso nicht? Er hat ja mehr als nur am Rande mitbekommen, wie sehr sie in jeder Hinsicht auf ihn abgefahren ist. Außerdem wäre es auch mehr als nur höflich, sich nach dem Befinden seines Freundes Mike zu erkundigen. Wie spät ist es jetzt auf Hawaii? Sie konsultiert die Weltanzeige der Uhr-App ihres iPhones. Hm, zwölf Stunden Zeitdifferenz rückwärts. In Berlin ist es 9:44 Uhr morgens, in Honolulu 9:44 Uhr abends. Es könnte gut sein, dass sie Chris jetzt telefonisch erreichen würde. Soll sie es wagen?
In dem Moment jedoch klingelt ihr iPhone. Das Display zeigt, dass Sebastian der Anrufer ist. Lena stöhnt – wenn auch nicht laut vernehmbar, sondern eher innerlich. Soll sie den Anruf annehmen? Mit ihren Gedanken ist sie gerade ganz woanders, auf der anderen Seite könnte Sebastian eine willkommene Abwechslung sein.
Sie betätigt den Touchscreen.
„Hi, Sebastian!“ Lena bemüht sich um einen munteren Tonfall.
„Hi, Lena! Wie geht es dir?“
„Gut, danke.“
„Schön. Wir wollten uns doch verabreden, oder hast du deine Meinung geändert?“
„Nein, nein“, antwortet Lena schnell. „Wenn du ... wenn du magst ... also, ich könnte ... heute Abend ... oder morgen Abend zu dir kommen“, stottert sie weiter.
Sebastian entscheidet sich für den heutigen Abend, ungeduldig, Lena wiederzusehen. Sie verabreden sich zu 19 Uhr.
„Ich kann uns auch was kochen“, fügt er hinzu. „Magst du Fisch?“
„Ja, sehr sogar.“
„Gut. Ich auch. Wunderbar.“
Als das Gespräch gleich darauf beendet ist, wandern Lenas Gedanken zwar immer noch zu Chris, aber es geht ihr etwas besser. Der Abend heute könnte eine nette Abwechslung sein, der Sex mit Sebastian war nicht von schlechten Eltern, konnte dem Zusammensein mit Chris auf emotionaler Ebene zwar nicht das Wasser reichen, aber das hatte ja nichts nicht dem Physischen zu tun, sondern eben nur mit den Gefühlen.
Sie beschließt, den Anruf bei Chris auf morgen zu verschieben. Und überhaupt ... fällt ihr jetzt etwas ein. Er sagte, der Flug würde 27 Stunden dauern. Gestern ist er geflogen. Vielleicht ist er überhaupt noch nicht gelandet. Ihr Gehirn scheint durch die Verliebtheit nicht mehr richtig zu funktionieren. Die Tendenz weist Richtung „temporäre Verblödung“. Und sie muss ihre verdammte Ungeduld unbedingt zügeln.
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