Und doch: zum dauernden Glück bedurfte Thoreau mehr. Vor allen Dingen — Freundschaft. Nach ihr sehnte er sich sein Leben lang. Zahlreiche Stellen in seinem Tagebuch weisen darauf hin. Er will nichts weiter von seinen Freunden „als Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, ein Gran wirklicher Hochachtung, eine Gelegenheit, einmal im Jahre die Wahrheit zu sprechen.“ Und doch — wo waren die Freunde:
„ Der Freunde harr’ ich, Tag und Nacht bereit.
„ Wo bleibt Ihr Freunde? Kommt! ’st Zeit! ’s ist Zeit!“
Sie laden ihn zu Gast, doch „sie zeigen sich nicht“. Er „grämt sich, verhungert in ihrer Nähe“. Sie behandeln ihn derart, dass er sich „tausend Meilen weit fort“ fühlt. „Ich verlasse meine Freunde beizeiten. Ich gehe fort von ihnen, und liebkose mein Freundschaftsideal.“ ,,Wie kommt’s,“ ruft er aus, „dass ich immer wieder solch hohe Anforderungen an die Menschheit stelle und so regelmässig enttäuscht werde? Wissen meine Freunde, wie sehr enttäuscht ich bin? Ist alles mein Fehler? Bin ich zur Grossmut, zur Selbstlosigkeit unfähig? Jede andere Anklage könnte ich eher gegen mich erheben!“ ,,So ungefähr,“ schreibt Thoreau, „würde ich als Freund zum Freunde sprechen: Nie erbat ich Deine Erlaubnis, Dich lieben zu dürfen. Ich besitze das Recht dazu. Ich liebe Dich nicht als etwas Individuelles, das Dir selbst gehört, sondern als etwas Universelles, Liebenswertes, das ich entdeckt habe. O, was für Gedanken ich über Dich hege! Du bist wahrhaft lauter, Du bist unendlich gut. Dir kann ich vertrauen in alle Ewigkeit. Ich wusste nicht, dass des Menschen Seele so reich sei.“ . . . Ja, sein Freundschaftsideal fand er wohl selten verwirklicht. Vielleicht nicht einmal ganz in Emerson. 1853 schreibt er in sein Tagebuch: „Unterhielt mich oder vielmehr versuchte mich mit R. W. E. zu unterhalten. Verlor Zeit, ja fast meine Identität. Er opponierte dort, wo es gar keine Meinungsverschiedenheiten gab, sprach in den Wind und ich verlor meine Zeit, indem ich versuchte mir einzubilden, nicht ich, sondern irgend ein anderer opponiere ihm.“ Da mochte der Thoreau, der sagte: „Ein Wort soll vom Freund zum Freunde gehen wie der Blitz von Wolke zu Wolke,“ sich wohl „tausend Meilen fort“ fühlen.
Frauen spielen in Thoreaus Leben keine Rolle. Eine „Jugendliebe“, die von manchen Biographen ausführlicher geschildert wird, ist ebenso uninteressant wie unbewiesen. Mit einem jungen Mädchen sich nur deshalb eine halbe Stunde lang zu unterhalten, weil sie „regelmässige Gesichtszüge“ hatte, erschien ihm ebenso zwecklos wie der Besuch von Gesellschaften. Er liebte es, allein zu sein: ,,Der ist ein reicher Mann und geniesst die Früchte des Reichtums, der immerdar im Sommer und Winter an seinen eigenen Gedanken sich erfreuen kann.“ Seine Einsamkeit, sagt einer seiner Biographen, war Selbstverteidigung ohne Zweifel. Sein Genius konnte so wenig wie Schmetterlingsflügel die Berührung rauher Hände vertragen.“ Doch je mehr er sich in die Natur versenkte und erkannte, welche Leidenschaften in ihr sich offenbarten, desto mehr empfand er, wie etwas Wildes in ihm selbst sich regte. Er fühlte bisweilen den Drang, ein Murmeltier zu ergreifen und roh zu verzehren. „Ich werde wilder von Tag zu Tage,“ steht in einem seiner Briefe, „als ob ich von rohem Fleisch mich nähre, und meine Zahmheit ist nur die Ruhe meiner Unbezähmbarkeit.“ Bisweilen sehnt er sich danach, in einer entlegenen Höhle drei Wochen in Kälte und Nässe während eines Sturmes zu sitzen, um seinem Organismus Spannkraft zu geben. Indianer, halbwilde Irländer und Jäger befassen stets seine Vorliebe. Diese Wildheit war, wie seine Widerspenstigkeit und seine revolutionäre Gesinnung, ein Erbteil französischen Blutes, während in seiner Ehrlichkeit, in der Verachtung jeder Konvention und in seiner Wahrheitsliebe das puritanische Element zum Vorschein kam.
Seiner Familie war er von Herzen zugetan. Kinder liebte er bis zu seinem Todestage. Oft zogen sie in Scharen mit ihm in Wälder und Felder zum Heidelbeersuchen hinaus, und dann wusste der Einsiedler und Philosoph Töne anzuschlagen, die unmittelbar in der Kinder Herzen drangen. Auch hier zeigte sich der einfache Mann als tiefer Psychologe.
Ja, nichts Menschliches war ihm fremd. Er liebte das Leben, die Mutter Erde und all ihre Bewohner. ,,Die Natur,“ sagt er, „hat keinen menschlichen Einwohner, der sie zu schätzen weiss. Der Vögel Gefieder und Gesang harmonieren mit den Blumen. Doch welcher Jüngling, welches Mädchen versenkt sich mit Inbrunst in die wilde, wonnige Schönheit der Natur? Sie blüht meistens im Verborgenen, fern von den Städten, wo die Menschen wohnen. Schwätzt vom Himmel — Ihr entweiht die Erde!“ 1
St. Louis, Mo., Januar 1905
Wilhelm Nobbe
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