Plante zögerte zunächst, auf das konkrete Angebot einzugehen. Er wusste, dass Leute, die sich gegen die Hells Angels stellten, diesen Verrat in der Regel mit dem Leben bezahlten.
Der Beamte gab Plante Bedenkzeit, übergab ihm seine Karte und sagte, er könne ihn bei einem eindeutigen Entschluss jederzeit anrufen.
Nachdem er in die Zelle zurückgekehrt war, dachte Plante über sein Leben nach. Ihm war klar, dass ihm mindestens einige Jahre im Knast blühten. Unter dem Vorwand, seinen Rechtsanwalt anrufen zu wollen, bat er um die Möglichkeit eines Telefonats. Er wollte erfahren, was die Mounties genau von ihm verlangten.
„Wir werden Ihnen die Spesen erstatten und abwarten, wie es so läuft“, lautete die Antwort.
Plante erkannte, dass es bei einer Zusage keinen Weg mehr zurück gab. Das ihm so vertraute Leben wäre vorbei. Er hatte gehört, wie die Biker über „Ratten“, wie Polizeispitzel in der Unterwelt hießen, redeten.
„Nur eine tote Ratte ist eine gute Ratte“, hatte man ihm wiederholt zu verstehen gegeben.
„Blutgeld“ ist die packende Geschichte der Zerschlagung der Hells Angels in Vancouver. Sie basiert auf Material, das der Krone im Zusammenhang mit dem Prozess zugänglich gemacht wurde, auf Mitschnitten von Abhöraktionen, Zeugenaussagen vor Gericht und Interviews mit der Polizei und Personen der kriminellen Unterwelt. Die Cops und die Behörden kamen schnell zu der Einsicht, dass sie es bei den Hells Angels mit einem mächtigen und furchterregenden Feind zu tun hatten, und auch Plante erkannte, dass er sich mit Typen eingelassen hatte, die man besser niemals betrügen sollte …
1Nachdem gegen Robinson am Ende langwieriger Ermittlungen schließlich Anklage erhoben wurde, stieg er bei den Hells Angels aus.
2O’Hara hat mittlerweile die Hells Angels verlassen und arbeitet nun als Industrieschweißer.
3Die Anklagen gegen Plante und O’Hara wurden später übrigens von der Krone wieder fallengelassen.
Eine angespannte Erwartungshaltung bestimmte das Leben der Beamten, denn nun war es ihnen endlich gelungen, einen Informanten mit Insider-Wissen bei den Hells Angels in Vancouver einzuschleusen. Die Polizei hatte wiederholt bekanntgegeben, dass die Hells Angels die Nummer 1 des organisierten Verbrechens in B.C. [British Columbia, kanadische Provinz an der Westküste] seien und somit ganz oben auf ihrer Liste ständen. Das East-End-Chapter hatte sich bislang aber einer Strafverfolgung der Behörden entziehen können. Seinen Mitgliedern eilte der Ruf der Unberührbarkeit und Immunität voraus …
Nachdem Plante auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden war, kontaktierte er über einen Pager die RCMP, um mit ihr Details der Informantentätigkeit zu klären. Die Mounties, die dem Unternehmen den Codenamen E-Pandora gaben, boten ihm zuerst 2.000 Dollar monatlich für alle erdenklichen Informationen über die Biker an. Schon bald erhöhten sie die Summe auf 3.000 Dollar.
Plante stimmte der Vereinbarung zu, da er wahrscheinlich den vor ihm liegenden Stress unterschätzte. „Ich versuchte einige meiner Schandtaten wieder gutzumachen“, gab er später in einem Gespräch als Grund dafür an, dass er die Angels infiltrierte.
Plante sollte einen wichtigen Beitrag bei den Ermittlungsarbeiten leisten, die bis zu dem Zeitpunkt ergebnislos verlaufen waren. 2004 beherrschten die gefürchteten Hells Angels British Columbia bereits seit über 20 Jahren. Sie waren für ihre Drogengeschäfte bekannt und für die gewaltsame Durchsetzung der Kontrolle im eigenen Gebiet. An erfolgreich abgeschlossenen Strafverfahren konnte die Polizei der Öffentlichkeit nur wenig vorweisen; dadurch wurde das Vertrauen der Bürger nachhaltig erschüttert. Das Gesetz schien für die Hells Angels nicht zu gelten.
Eine Recherche der Vancouver Sun im Jahr 2004 ergab, das 60 Prozent der Fälle gegen die Hells Angels, darunter Anklagen wegen Drogenhandel, Erpressung und tätlicher Angriffe, mit Freisprüchen endeten oder mit der Einstellung durch die Krone – was offiziell aber meist als Aussetzung deklariert wurde.
Ein aufsehenerregendes Beispiel eines eklatanten Fehlschlags stellte der Verfahren der Western Wind dar, eines Fischerbootes voller Kokain, das von Kolumbien aus verfolgt worden war. Polizeiinformationen zufolge war Vancouver Island das Ziel. Der Kapitän, ein gewisser Philip John Stirling, hatte den Cops Informationen über einen großangelegten Kokainschmuggel angeboten, mit dem das Nanaimo- und das East-End-Chapter in Zusammenhang gebracht werden konnten. Stirling verlangte 1 Million Dollar als Gegenleistung für die Informationen zuzüglich einer Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm für sich und seine Familie. Zuerst stimmte die Polizei den Forderungen zu, doch dann zog sie sich zurück, da die Beamten den Eindruck hatten, er sei nicht vertrauenswürdig.
Als sich das Fischerboot kanadischen Hoheitsgewässern näherte, beobachtete die Polizei wartende Hells Angels am Pier von Nanaimo. Unverzüglich änderten sie ihre Meinung über Stirling und baten die US-Behörden, das Boot zu stoppen, bevor es sein Ziel erreiche.
Am 21. Februar 2001 hielt die Küstenwache der USA das Boot also an und verhaftete die Crew. Sie fanden in einem Geheimversteck 2,5 Tonnen reines Kokain im Wert von 250 Millionen Dollar. Doch die ganze Angelegenheit endete mit einem unglaublichen Ergebnis. Die US-Staatsanwälte konnten nicht beweisen, dass die Drogen für die USA bestimmt waren, und mussten demzufolge von einer Strafverfolgung absehen!
Kurzfristig kämpfte Stirling um die Herausgabe des beschlagnahmten Bootes, doch er gab die Bemühungen auf, als seine Verhandlungen mit der RCMP durch Dokumente des US-Gerichts bekannt wurden.
Fünf Jahre später schnappte die Polizei Stirling an Bord der MV Baku vor der Küste von Vancouver Island. Das Schiff war von Halifax durch den Panamakanal verfolgt worden und transportierte Marihuana-Ballen im Wert von 6,5 Millionen Dollar. Doch Stirling hatte erneut Glück, denn die Krone ließ alle Anklagen gegen ihn und vier weitere Matrosen, zwei davon hatten schon auf der Western Wind gearbeitet, kurz vor Weihnachten 2006 fallen. Der Grund hierfür lag angeblich in Problemen, die sich bei der Verfolgung ergeben hätten, für die die Behörde für Fischfang und Ozeanographie verantwortlich war.
Die Polizei gab später bekannt, dass einer der Verdächtigen im Fall der Western Wind David Francis (Gyrator) Giles war, ein langjähriges Mitglied der Hells Angels. Giles kam ursprünglich aus Sherbrooke, Quebec, und gehörte zum dortigen Biker-Club, bevor er nach British Columbia umzog und dem East-End-Chapter beitrat. Im Fall der Western Wind wurde Giles jedoch niemals angeklagt. Vermutungen nach steckte die Mafia aus Montreal hinter dem Drogenschmuggel, die die Hells Angels aus B.C. mit dem Transport nach Quebec beauftragt hatten.
Das Versagen wurde später einem älteren RCMP-Beamten angelastet, der als Beispiel für das Scheitern der Mounties herhalten musste, sich im richtigen Moment einzubringen und die notwendigen Zahlungen zu leisten, um den Fall zu knacken. Andere benannten jedoch den Ermittlungsleiter als Schuldigen, da er seiner Quelle fälschlicherweise misstraute.
Der Fall der Western Wind wurde zum wunden Punkt einiger Ermittlungsbehörden, die die mangelnde Koordination verschiedener Einsatzkräfte beklagten, die bei optimaler Leitung wohl zu einer erfolgreichen Strafverfolgung geführt hätte.
Eine weitere Panne gipfelte in einem Prozess im Jahr 2006, bei dem sich der Polizeibeamte Allen Dalstrom, ein ehemaliger Angehöriger der Abteilung gegen Biker-Verbrechen, gegen seine ungerechtfertigte Entlassung zur Wehr setzte. Den von Dalstrom angeforderten Gerichtsakten nach schien der Prozess eine langgehegte Rivalität zwischen der Polizei Vancouvers und der RCMP zu offenbaren, die während eines missglückten Versuchs, die Hells Angels zu überführen, ans Tagesicht kam. Es war ein klassisches Beispiel für Kompetenzgerangel.
Читать дальше