Roy Palmer - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 331

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Al Conroy glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Er war gerade mit dem Nachladen der einen Drehbasse auf der Back der «Isabella» beschäftigt. Neben ihm hantierte Gary Andrews an dem zweiten Geschütz. Al hatte nach Backbord geschwenkt. Er wollte der «Vencedor» noch einen Schuß verpassen, bevor sie ganz an ihnen vorbei war. Doch er erstarrte, als er sah, wie das Flaggschiff des spanischen Verbandes drei Schüsse gegen ein eigenes Schiff ausspuckte – gegen die «Confianza», drei sauber gezielte Schüsse in das Heck der «Confianza», und alle drei Schüsse, aus 25-Pfündern, trafen knapp unter der Wasserlinie. Die bringen sich gegenseitig um, dachte Al Conroy fassungslos, das gibt's doch nicht…

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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-728-0

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Der Fangschuß

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Ein stattlicher Schiffsverband bewegte sich am Morgen des neuen Tages von England her mit Kurs auf die Karibik durch den Atlantischen Ozean. Doch die Ruhe, die vor den sechs Seglern über der See lag, sollte sich als trügerisch erweisen. Schon im Morgengrauen dieses 16. Juni 1593 erwartete sie eine höchst unangenehme Überraschung.

Die „Isabella IX.“ unter dem Kommando des Seewolfs führte das stolze Geschwader an. Ihr folgten: die „Wappen von Kolberg“ unter Arne von Manteuffel und Oliver O’Brien, „Roter Drache“ unter Siri-Tong, Thorfin Njal mit „Eiliger Drache über den Wassern“, dem Schwarzen Segler also, Jean Ribault mit der „Le Vengeur III.“ sowie Jerry Reeves mit der „Tortuga“.

Turbulente Ereignisse in Cornwall lagen hinter den Männern und den drei Frauen an Bord der Schiffe. Wieder einmal waren sie in England nicht nur mit Jubel empfangen worden. So weinte Hesekiel Ramsgate, der sich an Bord der von ihm erbauten „Tortuga“ befand, dem Heimatland keine Träne nach, und auch den anderen ging es ebenso. Sie waren froh, daß auch Sir Andrew Clifford, der Earl of Cumberland, als Gegner für sie erledigt war, und nach all dem „Zustand“ freuten sie sich auf die Rückkehr zur Schlangen-Insel, wo sie bereits sehnsüchtig erwartet wurden – von Arkana und deren Kriegerinnen und Kriegern.

Araua indes, Arkanas Tochter, befand sich bei Siri-Tong an Bord von „Roter Drache“. Die dritte Frau unter diesen sechs Crews von wilden und verwegenen Männern war Gotlinde Thorgeyr, die Gefährtin des Wikingers. Stets stand sie neben ihrem Thorfin Njal auf dem Achterdeck des Schwarzen Seglers und wich nur selten von seiner Seite.

Vieles hatte sich also verändert für die Seewölfe und deren Kameraden. Jedes der neuen Gesichter war ein Gewinn für die Gemeinschaft der Schlangen-Insel. Ganz besonders froh war Hasard darüber, daß er Arne von Manteuffel, seinen Vetter, dazu hatte überreden können, Pommern zu verlassen und sich ihm anzuschließen. Der Tod der Freiin Gisela von Lankwitz, Arnes Verlobter, hatte zu diesem Entschluß wesentlich beigetragen.

Hervorragende Seeleute und Kämpfer waren auch Renke Eggens und Hein Ropers, der Erste Offizier und der Bootsmann der „Wappen von Kolberg“. Oder Oliver O’Brien, der ehemalige Kapitän der „Vanguard“ – was für ein Kerl! Auch die zwanzig Männer von Hesekiel Ramsgates Werft, die sich als Besatzungen auf der „Le Vengeur III.“ und der „Tortuga“ befanden, waren positiver Zugewinn. Alle zusammen bildeten sie schon jetzt eine große, fest miteinander verbundene Bruderschaft, die sich auch auf der Schlangen-Insel gut einleben und eingewöhnen würde.

Probleme tauchten damit für die Schlangen-Insel natürlich auch auf: Der Zuwachs an Menschen verlangte nach einer intensiveren und rascheren Versorgung der Insel mit Proviant und anderen Gütern. Wie dies zu lösen war, wußte noch keiner, aber Hasard hatte beschlossen, über diese Dinge nachzudenken und auch mit Arne, Siri-Tong, Thorfin Njal, Jean Ribault und Jerry Reeves darüber zu beraten.

Noch aber stand dieses Thema nicht zur Debatte. Daß die Schlangen-Insel ausgebaut werden mußte, stand fest, doch die Einzelheiten sollten geklärt werden, wenn das Ziel erreicht war.

Der Seewolf stand in den grauen Schleiern des jungen Morgens auf dem Achterdeck seiner „Isabella IX.“ und spähte zu seinen fünf Begleitschiffen zurück. Sie alle hatten Vollzeug gesetzt und segelten unter vollem Preß. Der Wind wehte sehr günstig aus Norden. Hasard hoffte inständig, daß diese Backstagsbrise auch weiterhin vorhielt.

Alle sechs Schiffe hielten die Durchschnittsgeschwindigkeit von sechs Knoten. Erst jetzt hatte der Seewolf Gelegenheit, die hervorragenden Eigenschaften zu begutachten, die auch die beiden Neubauten „Le Vengeur III.“ und „Tortuga“ im Verband entwickelten. Ihre Kapitäne waren ebenfalls sturmerprobte Männer von eisenhartem Kaliber: Jean Ribault hatte Hasard auf vielen abenteuerlichen Fahrten begleitet, und auch die Qualitäten von Jerry Reeves waren seit dem Unternehmen in der Bretagne bestens bekannt. Reeves hatte sich, nachdem der Verräter Easton Terry entlarvt worden war, meisterhaft bewährt. Das war auch der Grund, warum Hasard ihn in Bristol hatte suchen und für die „Tortuga“ anheuern lassen.

Plötzlich ertönte aus dem Großmars ein gellender Warnruf: „Segel! Backbord achteraus!“

Hasard blickte zu Luke Morgan auf, der an diesem Morgen den Posten des Ausgucks übernommen hatte. Luke wies in die von ihm angegebene Richtung, und augenblicklich wandten sich die Köpfe aller Männer dorthin – nach Osten.

Auch auf der „Wappen von Kolberg“ und den vier anderen Schiffen wurden jetzt Rufe laut, die Toppgasten hatten auch dort die Mastspitzen erkannt, die sich an der östlichen Kimm zeigten.

Auf dem Hauptdeck der „Isabella“ hatten der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge soeben damit begonnen, das Frühstück auszuteilen, doch die Männer kamen gerade noch dazu, ein paar Schlucke heißes Wasser mit Rum die Kehlen hinunterzuspülen. Das Brot blieb ihnen fast im Hals stecken, als bekannt wurde, wie viele Mastspitzen es waren.

Hasard hatte das Spektiv zur Hand genommen, zog es auseinander und hob das Okular ans Auge. Nur ein kurzer Blick genügte ihm, und er wußte Bescheid. Er ließ das Rohr wieder sinken und sah zu Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und den beiden O’Flynns, die zu ihm getreten waren.

„Spanier“, sagte er, „Dickschiffe mit Geleitschutz. Insgesamt scheinen es zwölf zu sein, Galeonen und Karavellen.“

„Und natürlich segeln sie Kurs Südwesten“, sagte Ben.

„Stimmt nicht ganz“, berichtigte Hasard. „Wenn sie aufsegeln sollten, bewegen sich unsere beiden Verbände spitzwinklig aufeinander zu.“

Nicht nur auf der „Isabella“, auch auf den fünf anderen Schiffen wurde es jetzt lebendig. Die Crews bereiteten sich auf ein Gefecht vor, die Geschütze wurden geladen und kontrolliert, doch die Stückpforten blieben vorerst noch geschlossen.

Hasard verfolgte das Geschehen mit gemischten Gefühlen. „Ich bin auf eine Auseinandersetzung mit den Dons nicht scharf“, sagte er schließlich. „Sie lohnt sich nicht, nicht bei der Stärke ihres Konvois. Außerdem haben die Frachtgaleonen garantiert kein Gold und kein Silber geladen, sie sind wahrscheinlich mit Baumaterialien und Waffen in die Neue Welt unterwegs.“

„Richtig“, pflichtete Old Shane ihm bei. „Erst von Neuspanien aus segeln sie auf der üblichen Route nach Havanna zurück, übernehmen dort wertvolle Ladung und kehren nach Cádiz oder Málaga zurück. Hol’s der Henker, ich möchte mit den Kerlen auch nichts zu tun haben. Wir wollen doch versuchen, unsere Schiffe möglichst unbeschadet zur Schlangen-Insel zu bringen.“

„Genau das“, erwiderte Hasard. Er wandte sich nach vorn, legte den Kopf in den Nacken und schrie zu Luke Morgan hinauf: „Luke! Signalisiere Arne, Siri-Tong und den anderen! Ich will keine Konfrontation mit den Spaniern!“

„Aye, Sir!“ Luke nahm die Signalfahnen zur Hand und begann mit der Arbeit. Wenig später wurde von den Schiffen im Gefolge der „Isabella“ das Zeichen gegeben, daß die Nachricht aufgenommen und verstanden worden war.

„Abwarten“, sagte Arne von Manteuffel auf der „Wappen von Kolberg“ zu Oliver O’Brien, der seine Grundkenntnisse der deutschen Sprache von Tag zu Tag auffrischte und fast keine Verständigungsschwierigkeiten mehr hatte.

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