Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-366-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Es war ein stolzer, wenn auch etwas ungewöhnlicher Schiffsverband, der am Abend des 14. März 1580 in den Hafen von Falmouth lief. In beinahe gespenstischer Stille war er an Pendennis Castle, das den Eingang nach Falmouth und die Mündungsbucht des Fal bewachte, vorbeigeglitten. Das Knarren der Blöcke und Rahen, das Plätschern des Seewassers an den Bordwänden, das Rauschen der Bugsee und die hin und wieder an Oberdeck aufklingenden Männerstimmen waren Geräusche, die rasch vom Wind zerstreut und nicht bis zum Land getragen wurden.
Der Wachtposten auf dem Söller der Burg schlief, sonst hätte er die Schiffe angerufen und höchstwahrscheinlich sofort Alarm geschlagen. Es war noch nicht lange her, daß Falmouth wieder einmal von Spaniern bedroht worden war. Beinahe hätte die Landeoperation geklappt, und die Dons hätten als erstes Pendennis Castle angegriffen, wenn – ja, wenn nicht zwei Schiffe über die Eindringlinge hergefallen wären und ihnen das Fürchten beigebracht hätten.
Das Ganze lag gut einen Monat zurück. Der Posten von Pendennis Castle hätte auf der Hut sein müssen. Aber selbst wenn er den Verband gesichtet hätte, hätte er sicherlich nicht geahnt, daß es sich bei zwei Schiffen um die Retter in jener bedenklichen Nacht handelte.
Das Führungsschiff des Verbandes war eine prunkvolle Dreimast-Galeone. Jeder Kenner hätte ihr bescheinigt, daß die geklinkerte Bauweise wohl das einzige war, das sie mit einer englischen Galeone gemeinsam hatte. Alles andere, vor allen Dingen die mit vielen Schnörkeln verzierte Verkleidung des Achterkastells, deutete unmißverständlich auf ihre Herkunft hin: Spanien.
Hoch ragte der Bugspriet mit der Galion und der Blinde auf. Das Gegenstück dazu war achtern die Poop mit ihrem runden Heckteil. Es wurde von zwei Laternen gekrönt, aber die waren gelöscht. Zwischen Bugspriet und Achtersteven erstreckte sich ein imposantes Stück Schiff, fast Dickschiff, mit zwölf Stückpforten auf jeder Seite. Sie waren geschlossen. Dennoch ging eine stumme Drohung von der Galeone aus.
Sie und ihre beiden Begleitschiffe fuhren ohne Positionslichter, denn die Männer an Bord legten Wert auf den Überraschungseffekt ihres Aufkreuzens in Falmouth. Die Dunkelheit war ein schützender Mantel – ein Verbündeter, der zum Gelingen ihres Unternehmens beitrug.
Die Galeone war platt vor dem Wind gelaufen, aber jetzt luvte sie an, drehte den Bug zum Wind und richtete ihn auf eine Außenpier des Hafens. Besonders schnell ging das nicht vonstatten. Eher gemächlich. Sie war etwas schwerfällig, diese Galeone. Festung zur See war die richtige Bezeichnung für sie.
Ihr Name lautete „Isabella V.“. Einst hatte sie „San Josefe“ geheißen und war das Flaggschiff eines sechsunddreißig Galeonen zählenden spanischen Verbandes gewesen. Dann hatte Philip Hasard Killigrew sie als Prise genommen und sie umgetauft. Das war in der Karibik gewesen. Er hatte seinen immensen Schatz im Bauch der „Isabella“ verstaut, und da lagerte er auch jetzt noch. Er hatte ihn unter tausend Gefahren über den Atlantik gesteuert, doch jetzt, in England, mußte er erst recht kämpfen.
Im Gefolge der „Isabella“ befanden sich die ebenfalls dreimastige Kriegskaravelle „War Song“ sowie eine Schaluppe mit einem getakelten Mast. Bootsmann Sullivan führte die „War Song“. Auf der Schaluppe hatte Edwin Carberry, der Profos mit dem Rammkinn, den Befehl. Das Oberkommando über den Verband oblag Hasard.
Er stand an der Schmuckbalustrade, die das Achterdeck der „Isabella“ nach vorn abschloß. Der aus Südost einfallende Wind zerzauste sein schwarzes Haar. Hasard hielt die hölzerne Handleiste fest umschlossen und spähte voraus. Seine Miene war von steinerner Härte, seine Lippen zusammengepreßt. Unverwandt hielt er den Blick auf die hinter der Pier liegende Stadt gerichtet. Über Falmouth ragte Arwenack auf, die Stammfeste der Killigrew-Sippe.
Hasards eisblaue Augen glitzerten entschlossen. Es waren junge Augen in einem Gesicht, das bereits unauslöschlich von Wind, Wetter und Sonne und bitteren Erfahrungen gezeichnet war. Von der oberen rechten Stirnhälfte verlief eine Narbe schräg über die linke Augenbraue und die linke Wange. Ein Andenken an die Abenteuer in der Neuen Welt.
Überdies war Hasard blaß und trug noch deutlich die Spuren dessen, was er während der letzten Wochen durchgestanden hatte.
Er war todkrank gewesen. Vor der Küste von Portugal hatte im Gefecht eine wirbelnde Rah seinen Kopf getroffen. Der Schädelknochen war mehrfach gebrochen gewesen. Viele Tage hatte er bewußtlos gelegen. Hätte ihn die Crew nicht zu Sir Anthony Abraham Freemont, dem Arzt von Plymouth, gebracht, wäre er vielleicht nicht mehr am Leben. Sir Freemont hatte zwar immer wieder behauptet, er, Hasard, habe es nur seiner Bärennatur zu verdanken, daß er wieder völlig genesen war, aber Hasard hielt das für eine glatte Untertreibung. Sir Freemont stellte sein Licht unter den Scheffel.
Hasard war jetzt noch härter geworden, und sein Gesicht drückte dies aus. Mehr denn je verdienten sein Äußeres und seine Art aufzutreten den Beinamen, den man ihm verliehen hatte: Seewolf. Sein Gang war raubtierhaft, sein Lächeln wölfisch. Wie er zupackte, hatte erst jüngst wieder ein Gegner zu spüren bekommen.
Das war Crocker, der Strandräuber, gewesen. Er und seine rund fünfzig Verbündeten hatten die kühne Idee, die „Isabella“ um ihre Schätze zu erleichtern, mit dem Leben bezahlen müssen. Alle.
Hasards Gedanken schweiften zu Gwen ab. Schweren Herzens hatte er sich in Plymouth von seiner jungen Frau trennen müssen. Hatte Sir Freemont es geschafft, sie in seinem Landhaus bei Bere Ferrers am River Tavy zu verstekken? Dort sollte Gwen auf ihre Niederkunft warten – und auf den Seewolf.
Die riesige Gestalt Ferris Tuckers löste sich aus dem Dunkel des Achterdecks und rückte auf ihn zu. Der Schiffszimmermann hatte den Backbordniedergang genommen, der die Poop mit dem Quarterdeck verband.
„Schiff klar zum Gefecht“, meldete er.
„Pistolen und Musketen sind auch feuerbereit?“ fragte Hasard.
„Ja.“
„Dann kann es ja losgehen. Auf Pendennis Castle sind wir immer noch nicht gesehen worden, also haben wir einen gewissen Vorsprung. Sag Shane, Stenmark, Batuti, Matt und Dan Bescheid. Sie sollen sich bereithalten.“
„Mich nimmst du nicht mit?“
„Nein, Ferris, du bleibst bei Ben. Die ‚Isabella‘ darf nicht unterbesetzt sein und muß nach allen Seiten gesichert werden. Du bist hier an Bord wichtiger als an Land.“ Er beugte sich vor und gab Ben Brighton einen Wink. Ben stand unten auf dem Quarterdeck und überprüfte gerade die Ladung seiner Radschloßpistole. Er schaute auf.
„Laß Vor- und Achterleine klarlegen“, sagte Hasard. „Wenn wir längsseits der Pier liegen, fahren wir die Gangway aus. Wir gehen mit der Backbordseite an die Außenkante der Pier, so daß wir notfalls gleich wieder auslaufen können.“
„Aye, aye, Sir.“
Die Häuser von Falmouth waren graue, schweigende Klötze in der Nacht. Nur hier und dort wurden eine Gasse oder ein kleiner Hof durch Laternen erhellt. Auf den Kais war kaum ein Mensch zu sehen, keine Neugierigen rotteten sich zusammen, es war nichts los in Falmouth. Aber auf Arwenack-Castle würde bald etwas los sein, das hatte sich Hasard geschworen.
Ja, er wollte jetzt seine ungeheure Schatzbeute endlich dorthin bringen, wohin sie gehörte: nach London, zu Ihrer Majestät Elizabeth I., Königin von England. Drei Viertel, so hatte er beschlossen, sollte sie erhalten, den Rest wollte er unter der Crew verteilen. Nach dem wüsten Überfall durch Crocker und seine Komplicen waren sie aus der Bucht bei Bude an der Nordküste von Cornwall ausgelaufen. Das war vor vier Tagen gewesen. Sie hatten Land’s End gerundet, waren mit halbem Wind aus Südost bis nach Lizart Point gesegelt und hatten dann fast nördlichen Kurs nehmen können, also auch einen weniger mühseligen Törn.
Читать дальше