Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-395-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Der Abend senkte sich über den Hafen von Nuevitas. Die Sonne war hinter den Bergspitzen der spanischen Siedlung verschwunden, und die Menschen atmeten auf. Denn trotz der Nähe der offenen See war es in Nuevitas heiß, die Glut der Sonne fing sich in den Felsen, den Seewind schirmte die große vorgelagerte Insel ab, die aber auch zugleich eine natürliche Schutzbarriere für die Bucht bildete. Denn das war der Vorteil der Bucht von Nuevitas: der gutgeschützte Hafen bot Zuflucht vor jedem noch so schweren Sturm, die dort ankernden Schiffe befanden sich in Sicherheit. Außerdem ließ sich die etwa zehn Meilen lange Einfahrt, die an ihrer breitesten Stelle etwa eine Meile maß, leicht kontrollieren. Ungebetene Eindringlinge hatten keine Chance, ungeschoren an den Befestigungen vorbeizusegeln.
Im Palast des Alkalden gingen die Lichter an. Don Fuega betrat den Speisesalon mit schnellen Schritten. Unter der breiten Tür blieb er stehen und blickte die Gäste, die sich zum Festmahl versammelt hatten, aus seinen kohlschwarzen Augen an. Gleichzeitig fuhren die Finger seiner Rechten durch den ebenfalls pechschwarzen Kinnbart.
Er deutete eine leichte Verneigung an, und ein Lächeln huschte über seine Züge.
„Ich freue mich, daß sie meiner Einladung gefolgt sind, Senores, Senoritas. Wie Sie wissen, ist es in Nuevitas Brauch, am Vorabend des Gerichtstages ein Festessen zu geben. Ich werde diese gute Sitte meines Vorgängers beibehalten. Außerdem befürchte ich, daß wir es alle nötig haben, uns für den morgigen Tag zu stärken. Denn sicherlich wird der morgige Tag für etliche Bösewichter der letzte sein!“ Wieder deutete er eine leichte Verneigung an, aber das Lächeln, das jetzt auf seinen Zügen lag, war grausam.
Einige der Gäste, die Don Fuega bei seiner kurzen Ansprache angesehen hatten, spürten, wie ihnen eiskalte Schauer über den Rücken krochen. Sie kannten den Alkalden, sie wußten, wie grausam dieser Mann Gericht hielt. Don Fuega ergötzte sich an den Qualen seiner Opfer. Niemand wurde jemals verurteilt, ohne vorher gefoltert zu werden. Öffentlich, unten am Hafen. Dort, wo sich auch die Richtstätte auf einem roh gezimmerten Podest aus schweren Bohlen befand.
Der Alkalde setzte sich und zog mit einer raschen Bewegung den Stuhl näher an den Tisch heran. Gleichzeitig beugte er sich zu einem Mädchen, das zu seiner Rechten saß. Die Züge des Mädchens wirkten verkrampft, obwohl sie sich Mühe gab, das zu verbergen, besonders vor Don Fuega.
„Ich freue mich ganz besonders, daß Sie nun doch meiner Einladung gefolgt sind, Maria. Ich ersehe daraus, daß Sie sich meinen Vorschlag überlegt und Vernunft angenommen haben. Ich denke, wir werden uns später über alles unterhalten und vielleicht einen Weg finden, einen gewissen José vor dem Henker zu retten. Also, Kopf hoch, Senorita, so manche Nacht hat schon ihr kleines Geheimnis gehabt!“
Er strich ihr leicht und rasch über die Schenkel, ohne daß einer der Anwesenden das sehen konnte.
Maria spürte, wie sie wieder der Ekel zu übermannen drohte. Sie haßte den Alkalden. Sie wußte auch ganz genau, daß ihr geliebter José einer Intrige zum Opfer gefallen war, und zwar zu dem Zweck, sie den Plänen Don Fuegas gefügig zu machen. Außerdem rächte sich der Alkalde auf diese Weise dafür, daß sie ihn in aller Öffentlichkeit hatte abblitzen lassen.
Don Fuega schenkte ihr Glas voll Wein. In der dunkelroten Flüssigkeit brach sich das Licht der Kerzen, die den Speisesalon erhellten. Einen Moment hatte Senorita Maria das Gefühl, als fließe Blut über den Tisch. Vor ihren Augen drehte sich alles, aber sie zwang sich eisern wieder zur Ruhe. Es hing jetzt alles davon ab, daß sie nicht die Nerven verlor.
Der Alkalde hatte einen schweren Fehler begangen, José in den Gefängnisturm werfen zu lassen. Denn er hatte nichts weiter getan, als ein blutjunges Indianermädchen am vergangenen Markttag vor den Zudringlichkeiten einiger Soldaten zu schützen. Unter den Indios, die am meisten unter der Grausamkeit des Alkalden zu leiden hatten, gärte und brodelte es seit langem. Jenes Mädchen aber, das José beschützt hatte, war die Tochter eines alten Mayapriesters, dessen Herkunft in einem geheimnisvollen Dunkel lag. Aber die Indios verehrten den Alten, der außerhalb der spanischen Siedlung in einer Höhle wohnte. Er heilte sie, wenn sie von Krankheiten befallen wurden, er half den Sterbenden, und er rief die Indios immer wieder auf, nicht den Mut sinken zu lassen. Die weißen Teufel würden eines Tages auch wieder verschwinden, man müsse alles tun, um ihnen heimlich zu schaden, man müsse sie bekämpfen, aber auf eine Art, die sie nicht kannten. Und bald, sehr bald würde die Stunde der Vergeltung über die fremden Eindringlinge hereinbrechen.
Von alledem ahnte Don Fuega nichts.
Gleichfalls ahnte er nicht, daß sich ihm das Verhängnis noch von einer ganz anderen Seite her näherte, und daß es von nun an unerbittlich seinen Lauf nehmen würde.
Wieder prostete er der blutjungen und atemberaubend schönen Senorita an seiner Seite zu. Und schon malte er sich in Gedanken aus, wie er sie in seine Arme nehmen, wie er sie küssen und ihr die Kleider vom Leib streifen würde, wenn dieses verdammte Mahl erst beendet war. Inzwischen wollte er allerdings dafür sorgen, daß sie genügend Wein zu trinken kriegte.
Zu dieser Stunde sichtete der Posten an der Einfahrt einen Verband von drei Schiffen, die sich unter vollen Segeln der vorgelagerten Insel näherten und auf die Felsnase zuhielten, die den Beginn der schmalen Einfahrt bildete.
Als die Schiffe nahe genug heran waren, erkannte er, daß es sich um eine schwerarmierte Galeone und zwei ebenfalls ungewöhnlich gut bestückte Karavellen handelte.
Sofort gab der Posten Alarm. Denn in der Hafenbucht von Nuevitas ankerten ein paar große Galeonen, die bis oben hin mit Schätzen aus der Neuen Welt beladen waren und auf das Geleit nach Havanna warteten.
Natürlich konnten die drei Schiffe dieses Geleit sein, das der Alkalde wegen der verheerenden Verluste, die unbekannte Freibeuter den Spaniern in letzter Zeit immer wieder zugefügt hatten, angefordert hatte. Es war vom spanischen Gouverneur in Havanna striktes Verbot ergangen, daß Kauffahrer künftig ohne Geleit segelten, sei es auch nur, um zum Sammelpunkt zu gelangen. Zuwiderhandlungen bedrohten Kapitän und Steuermann mit der Todesstrafe.
Eben wollte der Posten einen seiner Meldereiter losjagen, um das in der Einfahrt gelegene Fort zu alarmieren, als die Galeone Böllerschüsse in einem ganz bestimmten Rhythmus abfeuerte.
„Halt, warte, Juan!“ Der Posten griff dem Meldereiter in die Zügel. „Das sind Schiffe von uns!“
Er kniff die Augen zusammen, um die bereits herrschende Dämmerung besser zu durchdringen, während sich die Galeone näher und näher an die Einfahrt heran schob.
„Das Schiff kenne ich doch“, sagte er schließlich, „das ist die ‚Sevilla‘, eins der stärksten Schiffe, über die unsere Leute in Havanna verfügen. Ich habe auf dem Schiff während der Überfahrt in die Neue Welt Dienst getan. Sein Kommandant ist Capitan Roca, einer der schärfsten Hunde, die ich je kennengelernt habe. Wenn der hier auftaucht, dann bedeutet das nichts Gutes, darauf kannst du Gift nehmen!“
Juan sah seinen Sergeanten an.
„Vielleicht will der nur die Kauffahrer abholen …“
Aber der Sergeant unterbrach ihn sofort.
„Nein, glaube ich nicht. Roca ist der militärische Befehlshaber von Havanna. Die ‚Sevilla‘ ist sein Flagschiff, das überläßt er keinem. Weißt du, der Kerl ist von der Sorte, die sich nicht mit ihrem Hintern in einen Palast setzen, er gehört zu denen, die alles selber tun wollen. Er hat schon viele Piraten zur Strecke gebracht, aber Gefangene gibt es keine bei ihm. In diesem Punkt hält er es genauso wie die Halsabschneider von Tortuga und wie diese verdammten Piratennester alle heißen. Er sollte Caligu jagen, aber den hat ja irgend so ein anderer Bursche erledigt.“
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