Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-370-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Der Sturm glich einem Giganten.
Er schien in den Tiefen der Biskaya geschlummert zu haben, doch jetzt hatte ihn ein einzelnes Schiff gestört und in Wut und Rage versetzt – jedenfalls mutete es so an. Er erhob sich, stieg auf und rückte an. Die Farbe des Himmels war schwarzgrau bis schwarz, teilweise aber auch von roten und gelben Streifen durchzogen. Das Meer verwandelte sich in ein milchig-grünes Pandämonium.
Urgewalten wurden da frei. Der Sturm orgelte mit größter Kraft von Nordosten heran und wurde zu einem Ungeheuer, das sich brüllend und tobend vor der Karavelle mit den zwei Masten aufrichtete, zupackte und dann nicht wieder losließ. Gischtende Wogenberge türmten sich bis zu Haushöhe auf und trugen die „Isabella VII.“ bis auf ihre Schaumkämme empor.
Die „Isabella“ ritt über den Kamm. Sie schüttelte sich unter der Wucht der Vorwärtsbewegung und lief auf der rasenden Flut der Verdammnis mit, bis sie an den Abbruch gelangte. Danach jagte sie hinunter in die gähnende schwärzlichgrüne Tiefe einer Schlucht, aus der es kein Entkommen mehr zu geben schien.
Dan O’Flynn war gerade noch rechtzeitig aus dem Hauptmars abgeentert.
Er hatte mit seinen scharfen Augen natürlich entdeckt, was sich im Nordosten zusammengebraut hatte. Dann war plötzlich alles sehr schnell gegangen, und er hatte Eile gehabt, seinen luftigen Posten zu räumen. Aber Arwenack, der kecke Schimpansenjunge, hatte sich diesmal wohl um einen Deut überschätzt. Er hangelte noch an einem losen Fall, als der Sturm zum ersten Mal zuschlug.
Dan, schon auf Deck angelangt, schrie auf.
Arwenack wirbelte plötzlich durch die Luft und wurde über das Backbordschanzkleid hinauskatapultiert. Er war ein schwarzes, unbedeutendes Nichts im dröhnenden Höllenkonzert der entfesselten Naturmächte. Es sah aus, als würde er in die brodelnden Fluten gestoßen und gnadenlos ersäuft.
Aber er hatte Glück. Vielleicht existierte auch in der Affenwelt eine Art Schutzengel, wie auch immer, Arwenack kam gewissermaßen mit einem blauen Auge davon. Die „Isabella VII.“ rauschte jählings in die Tiefe. Und die Richtungsänderung versetzte Arwenack den nötigen Gegenschwung, durch den er wieder zurück an Bord gelangte. Das Fall hatte er keinen Augenblick losgelassen – es wäre unweigerlich sein Ende gewesen. So aber hatte es ihn zwar außenbords befördert, riß ihn nun aber wieder auf das Schiff zurück.
Arwenack landete, kroch kreischend zu Dan und klammerte sich an ihm fest. Sein Leben war gerettet. Vorläufig.
Dan hangelte in den vor Sturmbeginn rasch gespannten Manntauen in Richtung auf das Achterkastell. Es war ein beschwerlicher Weg, fast wie am Hang eines steilen und glatten Berges, denn die „Isabella“ raste ja immer noch in die Tiefe. Fast rutschte Dan aus und segelte mit dem Affen über die Kuhl bis an die Back. Doch bevor sie sich beide die Knochen brachen, krallte sich Dan in den Manntauen fest. Er duckte sich und wartete die weitere Entwicklung ab. Sturmwind und Gischt zerrten an ihm, doch er ließ sich nicht unterkriegen.
Es donnerte, heulte und pfiff. Wasser, sehr viel Seewasser prasselte auf die Karavelle ein. Es kam von den Seiten, von vorn, von achtern und auch von oben. Es wollte das ganze Oberdeck leerfegen und am liebsten auch gleich die Masten knicken. Doch noch hielt die „Isabella“ stand. Es krachte, rauschte und gischtete, und Dan O’Flynn junior lag platt auf der Kuhl und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Arwenack hielt sich nach wie vor an ihm festgeklammert. Er jammerte wie ein Mensch.
Die „Isabella“ hatte den Wogenabgrund erreicht und richtete sich stöhnend und ächzend wieder auf. Sie war der Gigantenfaust für kurze Zeit entwichen, ein Schlachtroß, das todesmutig eine mörderische Barriere durchbrach und stolz weitergaloppierte. Sie war stark, weil sie von einer einmaligen Crew geführt wurde, aber sie war auch nicht unverwundbar.
Eine Bastion zur See wie die „Isabella V.“ war sie schon gar nicht. Die große, prunkvolle Galeone lag jetzt wieder an der Pier von Sheerness an der Themsemündung. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte sie Ihrer Majestät Königin Elizabeth als Geschenk übereignet.
Vielleicht, so sagte sich Dan in diesen Augenblicken, vielleicht hatte er da doch einen Fehler begangen. Denn wie die Galeone einem Sturm zu trotzen wußte, hatten sie ja in der Karibik gesehen. Da hatte es Don Francisco Rodriguez’ ehedem so mächtigen Verband von sechsunddreißig Schiffen endgültig aufgerieben, und die „San Josefe“ war als einzige Galeone übriggeblieben. Hasard hatte sie gekapert und in „Isabella V.“ umgetauft.
Hätte er sie nicht behalten sollen? Aber er hatte ja nicht ahnen können, was in der Biskaya auf sie wartete. Und – halt, Moment – war nicht auch die „Isabella IV.“ eine Karavelle gewesen? Eben, sie hatte mit der „San Josefe“ den Wirbelsturm in der Karibik überstanden und war gemeinsam mit ihr an das Nordufer der Insel Grand Cayman gespült worden. Dan hätte es in seiner Aufregung fast vergessen. Also: Karavellen waren Glücksschiffe. Jedenfalls unter dem Seewolf. Dan redete es sich mit aller Macht ein, aber er wußte dabei ganz genau, daß es ein Selbstbetrug sein konnte.
Er raffte sich wieder auf und arbeitete sich weiter nach achtern. Wenig später packten ihn Hände, so groß wie Ankerklüsen, und rissen ihn ins Backbordschott des Achterkastells. Arwenack hing wie eine Klette an Dan und flog also gleich mit in die Hütte.
Dan sah Edwin Carberry, den Profos. Er hatte zugegriffen, aber jetzt waren auch Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und Donegal Daniel O’Flynn, sein Alter, zur Stelle.
„Ja, Mann, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“ sagte Carberry. Er war der Profos bei Francis Drake gewesen, jetzt war er’s bei Hasard, und wenn er normal sprach, mußte man sich eigentlich schon die Ohren zuhalten. Jetzt schrie er und übertönte mit Leichtigkeit den Sturm. „Verdammt und zugenäht, immer dieses junge Gehüpfe, mit dem man seinen Ärger hat!“
„Jetzt halt aber mal die Luft an“, protestierte Dan.
Arwenack rettete sich vorsichtshalber gleich zu Shane. Der graubärtige Riese war allemal stärker als Dan. Das konnte von Vorteil sein. Als Affe hatte man auch seine Probleme. Arwenack hatte ja nichts gegen den Profos – aber der schien was gegen ihn zu haben!
Carberry fluchte und schüttelte die Faust. „Bodenloser Leichtsinn, erst, im letzten Augenblick den Großmars zu verlassen. Den Hosenboden sollte man euch Affenärschen versohlen.“
„Affenärsche?“ Dan blickte zu Arwenack, und der kratzte sich am Hinterkopf. Shane mußte lachen, obwohl die Situation, weiß Gott, alles andere als vergnüglich war.
Eine Gestalt schob sich aus dem, Dunkel des Ganges von achtern auf sie zu. Die „Isabella VII.“ schlingerte und schaukelte wie verrückt in den Fluten der wildgewordenen See, und selbst der große Mann dort hatte Schwierigkeiten, die Schiffsbewegungen mit den Beinen auszugleichen.
Hasard trat zu den anderen, hielt sich fest und sagte: „Ed, nun halte keine Volksreden. Wir können froh sein, daß wir Dan und Arwenack nicht verloren haben.“
„Aye, aye, Sir.“
„Wir haben die Trossen achtern ausgebracht. Wenn Pete Ballie es schafft, die ‚Isabella‘ zu parieren und platt vor dem Sturmwind herlaufen zu lassen, müßten wir mehr Stabilität kriegen.“
„Aye, aye!“ brüllte Carberry wieder zurück. „Er muß es schaffen, der Himmelhund, ich habe ihn eigenhändig festgelascht, daß er uns nicht flötengehen kann.“
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