Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-891-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Wo sie zulangten – da bebten die Masten
Es war ein desolater Haufen von Lumpenkerlen, der in den blockierten Schatzhöhlen des Don Antonio de Quintanilla hockte und Trübsal blies. Sie saßen buchstäblich mit dem Hintern auf Gold, Silber und Edelsteinen, aber für diesen ganzen Reichtum konnten sie sich nichts kaufen. Wer sein Leben in einer Höhle beendet, braucht nichts mehr. Oder anders: Den Reichtum würde er opfern, um zu leben. Die Trübsal verwehte, als zwei Kerle einen Ausschlupf aus einer Höhle entdecken. Und prompt beginnt ein Kampf um diesen Ausschlupf, den die härtesten und brutalsten Kerle für sich entscheiden: Manzo samt den drei anderen Halsabschneidern von der „Trinidad“. Diese vier Kerle sind die ersten, die wieder ans Tageslicht kriechen – nur werden sie in Empfang genommen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Edwin Carberry– der Profos der „Isabella“ spielt das Teufelchen aus dem Faß und erschreckt jemanden.
Dan O’Flynn– bewacht ein Schiffchen und langt mit den Fäusten zu, als es zur Sache geht.
Luiz– der wuchtige und große Decksmann von der „Trinidad“ hat den Plan, mit seinem Kumpan Pablo noch ein bißchen die Schatzhöhlen auszuplündern.
Marco– ebenfalls ein Decksmann der „Trinidad“, tut sich hingegen mit Felipe zusammen, um ein anderes Süppchen zu kochen.
Ferris Tucker– der Schiffszimmermann der „Isabella“ baut eine praktische Rutsche, um Arbeit und Kräfte zu sparen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kuba, 26. Mai 1595. Hammerschläge tönten über die Bucht westlich von Batabanó, das Geräusch von Sägen und das Rufen und Lachen von Männern. Die Korsaren – Philip Hasard Killigrew, Siri-Tong, Edmond Bayeux und deren Crews – hatten über die Spanier gesiegt.
Die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“, „Le Griffon“ und die „Trinidad“ ankerten in der Bucht. Die Schätze aus der Höhle wurden zum Ufer transportiert, in Jollen verladen und zu den Schiffen gepullt.
Luiz, der Spanier, lauschte den Geräuschen. Er biß sich auf die Unterlippe. Seine Hände ballten sich zu harten Fäusten. Verdammt, dachte er immer wieder, ihr verfluchten Hunde!
Er saß auf dem Stamm eines umgestürzten Baumes mitten im Urwald, vielleicht eine halbe oder sogar eine Meile vom Schauplatz des Geschehens entfernt. Rechtzeitig hatte er sich von der „Trinidad“ abgesetzt, wo er unter dem Kommando des Diego Machado gedient hatte. Machado war ein Himmelhund gewesen, ein Höllenbraten und Bastard, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus war.
Gewesen – Machado war tot. Von Haien zerfetzt. Der Versuch, die „Trinidad“ zurückzuerobern, war gescheitert. Luiz wußte dies, weil er es beobachtet und mitgehört hatte. Daraufhin hatte Luiz beschlossen, ganz abzuhauen. Es war ihm zu brenzlig geworden.
Nach seiner Flucht hatte er zwar eine Zeitlang im Uferdickicht gehockt und überlegt, was er unternehmen sollte. Dann aber hatte er sich gesagt, daß es das beste wäre, das Weite zu suchen. Die Luft war blei- und eisenverseucht. De Mello und seine Männer von der „San Sebastian“ hatten kräftig zugelangt.
Dann aber die Wende: die „San Sebastian“ war verschwunden, und die drei Schiffe, die Luiz nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte, waren in die Bucht eingelaufen. Besonders aufgefallen waren Luiz die große Galeone mit den hohen Masten, den überlangen Rahruten und den neuartigen flachen Aufbauten sowie der düstere Zweidecker. Wer waren die Männer dieser Segler? Korsaren – oder Piraten? Luiz verfluchte sie in die tiefste Hölle. Von dem Wipfel eines Mangrovenbaumes aus, den er erkletterte, konnte er alles verfolgen.
Ein Mann ließ sich zur „San Sebastian“ pullen, ein schwarzhaariger Riese. Er ging an Bord und sprach mit Capitán Gaspar de Mello. Dann verschwand die „San Sebastian“ aus der Bucht. Die Korsaren fingen nunmehr an, die Schatzhöhlen auszuräumen.
Ganz klar: Sie waren in der Übermacht, de Mello hatte sich ihnen beugen müssen. Sicherlich war de Mello inzwischen auch aufgegangen, daß es sich bei den Schätzen nicht um das Eigentum des Königs von Spanien handelte, sondern um die Reichtümer, die Don Antonio de Quintanilla, seines Zeichens ehemaliger Gouverneur von Kuba, für sich auf die Seite gebracht und sozusagen auf die hohe Kante gelegt hatte. Alonzo de Escobedo nun, der neue Gouverneur und somit Nachfolger des dicken Don Antonio, hatte herausgekriegt, wo die Schätze lagen, und wollte sie für sich ausbeuten.
Das Unternehmen war gründlich fehlgeschlagen. De Mello hatte de Escobedo gefangensetzen lassen. De Mello war für den Señor Gouverneur nur ein nützlicher Idiot gewesen. Das hatte de Mello begriffen. So zögerte er nicht, die Bucht zu räumen und mit seiner Kriegsgaleone nach Havanna zurückzukehren.
Luiz fragte sich, ob es nicht doch besser sei, an die Bucht zurückzukehren. Jetzt, da die Kanonen schwiegen und alles friedlich war, konnte er vielleicht doch noch etwas von dem immensen Schatz ergattern. Wenn er es geschickt anstellte, bemerkten ihn die Korsaren überhaupt nicht. Sie waren viel zu sehr mit dem Bergen der Truhen und Kisten aus den Höhlen beschäftigt. Sie konnten ihre Augen nicht überall haben.
Luiz verließ also seinen Aussichtspunkt und trat den Rückmarsch zur Bucht an. Aber unterwegs, im dichten und verfilzten Gestrüpp des Regenwaldes, verlor er die Orientierung. Er konnte den Himmel nicht mehr sehen und hörte nur noch die Geräusche: das Klopfen der Hämmer und Kreischen der Sägen, die Stimmen, die sich in einer ihm fremden Sprache unterhielten. Doch aus welcher Richtung kamen sie? Luiz irrte im Dickicht herum. Er hatte sich verlaufen.
So ließ er sich auf dem umgekippten Baum nieder. Und hier hockte er nun und dachte verzweifelt darüber nach, was er tun solle. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, war er der Natur völlig ausgeliefert – den wilden Tieren und den Ausdünstungen des feuchten Dschungels, der das Sumpffieber und andere Krankheiten mehr brachte.
Ein leiser Laut hinter seinem Rücken ließ Luiz herumfahren. Sein Blick huschte hin und her. In einer instinktiven Geste griff er zum Messer – der einzigen Waffe, die ihm geblieben war. Er riß es aus dem Gurt. Gefahr schien zu drohen, Luiz spürte es. Was war dort, im Unterholz, zum Greifen nah? Ein Tier?
Plötzlich sah er, was es war. Ein grünlich-grauer Leib schob sich auf ihn zu. Unwillkürlich erschauderte der Mann. Eine Schlange! Sie steuerte auf den Baum zu und wand sich am Stamm hoch.
Luiz wollte nach dem Reptil stechen, doch etwas bremste ihn. Er fuhr hoch und wich zurück. Luiz war ein Kerl, der vor nichts und niemandem Angst hatte, aber Schlangen haßte und fürchtete er wie die Pest.
Hierbei stellte sich die Frage, ob die Schlange giftig war oder nicht, nur am Rande. Luiz hatte seine unangenehmen Erfahrungen mit Schlangen. Er wußte, daß sie unberechenbar waren, auch die angeblich harmlosen Arten. Eben glitten sie noch scheinbar geruhsam über den Boden, im nächsten Moment konnte der geringste Anlaß einen Ausbruch in ihnen auslösen.
Luiz, ein großer, wuchtig gebauter Mann mit dichtem schwarzem Vollbart, stammte von der spanischen Insel Formentera. Dort war er aufgewachsen und kannte die Strände, die Wälder und Berge wie die Taschen seines Beinkleides. Auf Formentera gab es giftige Vipern, aber auch große, bunte Nattern, die wie ein Pfeil durchs Gras schnellen konnten.
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