Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-443-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Dunkelheit lag wie ein schwarzes Tuch aus Samt über dem Hafen von Shanghai.
Alles sah friedlich aus, doch in dieser Dunkelheit lauerte eine unbekannte Gefahr.
Was hatte die Anwesenheit der merkwürdig geformten Drachenboote, die so plötzlich während der Dämmerung aufgetaucht waren, zu bedeuten?
Der Seewolf zermarterte sich das Gehirn. Er stand auf dem Achterkastell, zusammen mit dem jungen O’Flynn, und beide versuchten, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen.
Die „Isabella VIII.“ war heimlich auf Hasards Anordnung in eine schwimmende Festung verwandelt worden. An den vorderen und achteren Drehbasen warteten die Seewölfe, an den acht Culverinen standen sie geduckt da, bereit auf den Befehl des Seewolfs die Hölle zu entfesseln.
Zu der samtenen Dunkelheit kam die Ruhe, die für einen Hafen dieser Größe absolut unglaubwürdig wirkte. Es war, als hätte eine unsichtbare Hand jegliches Leben im Hafen ausgelöscht.
Daß dem nicht so war, das wußten sie alle, denn vor ein paar Stunden waren kleine Drachenboote in den Hafen eingelaufen und hatten die strategisch wichtigsten Punkte bezogen. In diesen Booten saßen jeweils vier Chinesen. Das hatte der Seewolf im Dämmerlicht gerade noch erkennen können.
Und noch etwas wußten sie: Die Chinesen, die sich so unauffällig verteilt hatten und deren Boote jetzt reglos auf dem Wasser lagen, hatten Bronzegestelle an Bord, Abschußrohre, mit denen sich die funkenspeienden Brandsätze verfeuern ließen.
Wollte man ihnen jetzt aus Rache für den Untergang der großen Kriegsdschunke die Hölle heiß machen?
Es konnte nichts anderes zu bedeuten haben, überlegte der Seewolf. Hier war eine Gemeinheit im Gange, ein blitzartiger Überfall auf den Rahsegler stand bevor.
In Gedanken rekapitulierte der Seewolf noch einmal die beiden letzten Tage.
Beim Einlaufen in den Hafen von Shanghai waren sie von einer großen Kriegsdschunke unter Feuer genommen worden. Der Treffer hatte die Blinde wegrasiert und sie zerschmettert.
Hasards Antwort darauf war eine Breitseite gewesen, und der Teufel persönlich hatte es anscheinend so gewollt. Das riesige Schiff war nach einem Treffer in die Pulverkammer total auseinandergeflogen, ohne noch einen einzigen Schuß abgegeben zu haben. Es war ein Bilderbuchtreffer gewesen, ein Zufall, wie er nur selten passierte, und dieser Treffer hatte die Chinesen wie auch die Seewölfe gleichermaßen geschockt.
Der Kuan von Shanghai hatte es später mit stoischem Gleichmut hingenommen und das Thema auch nicht berührt. Sie waren seine Gäste gewesen und mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt worden.
Jetzt umlauerten sie von überall die kleinen Drachenboote, und daher waren die Nerven der Männer auch zum Zerreißen gespannt.
Eröffneten die Chinesen das Feuer mit Brandsätzen, dann hatte das Schiff selbst nicht die geringste Chance, dem höllischen Inferno zu entkommen. Da halfen kein Mut, keine Tapferkeit und kein Eifer. Sie konnten sich vielleicht selbst in Sicherheit bringen, indem sie auf die Pier sprangen, aber das Schiff waren sie los.
Wie sollten sie einen Gegner bekämpfen, der mit fünfzehn kleinen wendigen Booten das an der Pier liegende unbewegliche Schiff aus allen Richtungen beschießen konnte?
Es sah schlecht aus für die Seewölfe, und vielleicht auch für das schwarze Schiff der Roten Korsarin, das nicht weit von ihnen entfernt ebenfalls an der Pier lag.
„Kannst du etwas erkennen, Dan?“ fragte der Seewolf im Flüsterton den jungen O’Flynn.
„Nein, überhaupt nichts. Ich fühle aber, daß die Kerle ganz dicht in unserer Nähe liegen. Ich schlage vor, wir fackeln nicht lange und brennen ihnen kurzerhand eins über.“
Der Seewolf antwortete nicht gleich. Erst als Dan sich kaum merklich räusperte, trat er einen Schritt vom Schanzkleid zurück.
„Vielleicht begehe ich einen Fehler“, sagte er leise, „aber ich kann nicht über meinen Schatten springen. Es widerstrebt mir, auf die Leute zu schießen.“
Dans Erwiderung klang hart und knapp. „Dann laß dich mitsamt der ‚Isabella‘ in Klumpen schießen, Sir!“
Hasard war zwar erstaunt, aber er ging auf den harten Tonfall Dan O’Flynns nicht ein. Er verstand die Männer, denen die augenblickliche ungewisse Situation nicht behagte und die keine Lust hatten, sich einfach übertölpeln zu lassen.
Ließ er das Feuer eröffnen, gab es ein zweites Chaos im Hafen. Wartete er, dann waren sie vielleicht erledigt.
„Verdammter Mist“, fluchte er leise.
„Die Entscheidung nimmt dir keiner ab, Sir“, sagte Dan wieder neben ihm. „Aber die Männer werden es dir bestimmt nicht verzeihen. Wir haben schon oft zu lange gezögert, aus purer Gutgläubigkeit und Humanität. Was war das Ergebnis? Man haute uns regelmäßig in die Pfanne!“
„Verdammt! Ich weiß, daß du recht hast, aber es …“
Dan ergriff hart seinen Arm.
Der Seewolf fuhr herum.
„Da“, sagte O’Flynn, „es geht los! Eben habe ich eins der Bronzegestelle aufblinken sehen. Jemand hat wahrscheinlich eine Lunte entzündet!“
Hasard hatte das kurze Aufblinken auch bemerkt. Aber er sah noch etwas anderes. Das kurze gedrungene Bronzegestell wies in diesem Augenblick fast senkrecht in den Himmel und war nicht auf die „Isabella“ gerichtet.
Was, bei allen Meeresgeistern, hatte das nur zu bedeuten?
Die Männer warteten auf den Befehl zum Feuern, der immer noch nicht erfolgte. Hitzköpfe wie Luke Morgan rieben sich schon die Nerven auf und waren drauf und dran, eigenmächtig zu handeln, doch der Respekt vor dem Mann auf dem Achterkastell hielt sie zurück, obwohl es ihnen in den Fäusten juckte.
Hasard wog immer noch das Für und Wider ab. Er dachte weiter als die anderen, wie der junge Dan oder Luke Morgan.
Es ergab einfach keinen Sinn, sie anzugreifen, es war keine Logik dahinter!
Das Einlaufen der Drachenboote war von allen beobachtet worden, und natürlich hatte jeder gründlich darüber nachgedacht. Wenn der Kuan also einen nächtlichen Überfall gegen sie plante, hätte er dann die Boote einfach einlaufen lassen? War nicht die Nacht sein bester Schutz, eine Nacht, in der niemand die Boote bemerkt hätte? Auch Dans scharfen Augen wären sie entgangen.
Nein, da stimmte etwas nicht, überlegte der Seewolf. Entweder war es ein Mißverständnis, oder es lief auf etwas anderes hinaus. Fast körperlich spürte er die Ungeduld Dan O’Flynns, der sich am liebsten mit einer dröhnenden Breitseite Luft verschafft hätte.
Er glaubte, leises Flüstern aus den Booten zu hören, unwirkliche Stimmen, die nur schwach durch die Finsternis drangen. Dann versuchte er, seine Leute an Deck zu erkennen, aber selbst das war wegen der Dunkelheit nicht möglich.
Luke Morgan stand fiebernd vor Ungeduld an der Culverine, die glimmende Lunte hielt er in der Hand versteckt. Der gedrungen wirkende dunkelblonde Engländer wurde von einer unheimlichen Wut erfaßt. Er haßte es zu warten, bis die anderen anfingen, und versuchte immer wieder, etwas zu erkennen. Einmal hatte er es ebenfalls kurz aufblitzen sehen, und so hatte er das Rohr der Culverine etwas höher in Stellung gebracht. Es zeigte jetzt genau auf jene Stelle, die er einmal kurz erkannt hatte.
„Warum, verdammt noch mal, läßt der Seewolf nicht endlich feuern?“ fragte er seinen Nebenmann Gary Andrews. „Will er warten, bis wir ein Trümmerhaufen sind?“
„Halt die Schnauze, Luke“, flüsterte Gary Andrews zurück. „Es soll nicht gequasselt werden.“
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