Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-715-0
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
25. März 1593 – die „Isabella IX.“ segelte wieder. Wiborg, die Hafenstadt am äußersten nordöstlichen Ende des Finnischen Meerbusens, lag hinter ihr, und somit blieb auch die Erinnerung an die turbulenten Ereignisse allmählich im Kielwasser der Dreimast-Galeone zurück.
Nach Süden war der Blick der Seewölfe gerichtet, die Ostsee würde neue Abenteuer für sie bereithalten, davon waren sie fest überzeugt. Der Auftrag, der im Grunde eher harmlos begonnen hatte, hatte sich als ein Ding mit vielen Borsten und Widerhaken erwiesen, und das Baltische Meer hielt immer wieder böse Überraschungen und unversehens auftauchende Feinde für sie bereit.
Mit anderen Worten, auch dies war ein Gewässer, das es in sich hatte. Man brauchte nicht bis in die Neue Welt oder ins ferne Asien zu segeln, um in einen Strudel von Geschehnissen gerissen zu werden. Es genügte, mit der geheimen Mission der englischen Königin nach Dänemark, Schweden und Finnland zu reisen, neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen, und schon lernte man eine Ecke Welt kennen, die voller Fallen und Tücken war.
Hasard hatte dies von Anfang an geahnt. Doch Carberry, der mit am lautesten über den „Ententümpel“ und die „Pißrinne für Reiher“ gewettert hatte, und alle anderen, die im voraus gemeckert hatten, waren eines anderen belehrt worden. Piraten und Schnapphähnen waren die Seewölfe inzwischen begegnet, wilden Kerlen, die auf öden Inseln wohnten, Spaniern und Russen, die in Skandinavien Übles im Sinn hatten – und in Abo wäre die „Isabella“ um ein Haar den Flammen zum Opfer gefallen.
Zuletzt hatten die Seewölfe in Wiborg mit Hilfe Luke Morgans Pelzwerk eingekauft. Carberrys Quadratschädel war mit einer prächtigen Glatze versehen, die er mittels einer „geklauten“ Pelzmütze tarnte. Er hatte eine Wette gegen Luke Morgan verloren, weil von ihm behauptet worden war, Luke hätte keine Ahnung vom Handwerk des Kürschners. Das war aber doch der Fall. Luke hatte alles über Pelzwerk und die Verarbeitung bei seinem Vater erlernt, nur hatte das bislang niemand an Bord der „Isabella“ auch nur geahnt.
Hiebe hatte es in Wiborg auch gesetzt, und zwar kräftig: Zuerst war es Hasard, dann Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, gewesen, der in einem jeweils grandiosen Kampf den „Bullen von Wiborg“ auf die Bretter geschickt hatte. Dieser Rahim Mansour hatte es mit seinem Partner Djemal Jarigin zusammen gewagt, die Männer der „Isabella“ herauszufordern, aber beide Kerle hatten sich dabei ins eigene Fleisch geschnitten.
Alle Schwierigkeiten waren mittlerweile jedoch beseitigt und behoben. Zur Zeit schien es keinen Widersacher zu geben, der sich anschickte, die Männer in irgendeiner Weise zu behelligen. Die See war frei und offen, sie schien an diesem Tag ausschließlich der „Isabella IX.“ zu gehören.
Birger Runeberg, der Pelzkaufmann aus Wiborg, hatte Hasard empfohlen, den Kurs zunächst auf die Insel Hogland abzusetzen – sie wurde auf finnisch Suursaari genannt – und nach ihrem Passieren weiter auf Südwestkurs zu bleiben, der sie bei Reval an die baltische Küste führen würde.
Am Vormittag dieses 25. März ließen die Seewölfe die Insel Hogland hinter sich. Da der Wind aus Südwesten wehte, mußten sie um den Generalkurs Südwesten kreuzen. Das wurde bald zu einer mühsamen Knüppelei, denn der Wind nahm zu, und es war, als würde das Schiff jeweils zwei Schritte vorwärts und einen zurück tun. Straff blähte sich das gelohte Tuch, und weit holte die „Lady“, wie die Männer sie nannten, bei den plötzlich einfallenden Windstößen über.
„Sturm wird’s geben“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn, als er zu Hasard und Ben Brighton trat, die im Ruderhaus noch einmal auf der Seekarte den Standort der „Isabella“ überprüften. „Ich spüre es mal wieder in meinem Beinstumpf. Das wird noch eine harte Nacht.“
Der Seewolf blickte ihn an. „Da gebe ich dir ausnahmsweise recht, Donegal“, sagte er. „Aber warten wir erst einmal die Entwicklung ab.“
Die Wetterentwicklung ließ nicht lange auf sich warten. Gegen Nachmittag rief Bill, der sich als Ausguck im Hauptmars befand, seine erste Alarmmeldung aus. Im Westen baute sich eine schwarze Wolkenfront auf, die rasch näher rückte.
Hasard zog seinen Messingkieker auseinander, beobachtete die drohende Wolkenwand nur kurz und gab sofort seine Befehle: „Verschalkt die Luken und Schotten! Spannt die Manntaue!“
Daß er keineswegs übertrieben vorsichtig handelte, zeigte sich sogleich. Urplötzlich waren die ersten Drücker da – aus Nordwesten. Sie hieben mit voller Wucht in die Segel, entwickelten eine geradezu unheimliche Kraft, und jetzt blieb keine Zeit mehr, die Sturmsegel zu setzen. Die Männer rannten fluchend über die Decks und trachteten danach, zu retten, was zu retten war.
Carberry stieß die übelsten Verwünschungen aus und hielt mit der einen Hand seine Pelzmütze fest. Philip junior, einer der Söhne des Seewolfs, glitt auf dem vorderen Bereich des Hauptdecks aus und vollführte eine halbe Rutschpartie quer übers Deck, die nur durch eine der Grätings gestoppt wurde. Plymmie, die Wolfshündin, bellte. Arwenack fletschte die Zähne und rettete sich in die Kombüse, Sir John, der Aracanga, flatterte krächzend hinter ihm her und prallte um ein Haar gegen das Schott, das von dem verängstigten Affen zugerammt wurde.
Es herrschte also Zustand, doch das war nur der Anfang des Übels. Die Sturmböen fetzten auf Anhieb die Fock, das Großsegel und den Besan aus den Lieken. Die Mars- und Bramsegel waren bereits geborgen, die Blindensegel ohnehin, denn sie wurden beim Kreuzen nicht gefahren. Fock, Großsegel und Besan jedoch flatterten auf und davon, so daß mit einemmal nur noch ein paar Segeltuchfetzen an den Spieren knatterten.
Pete Ballie am Ruder fluchte wie besessen, doch auch das nutzte ihm nichts. Er konnte nichts mehr tun – ohne die Segel gab es keinen Vortrieb, und das Ruderrad wurde zu einem nutzlosen Gerät unter seinen schwieligen Händen. Erbittert blickten die Seewölfe ihren davonfliegenden Segeln nach, während der Wind über ihren Köpfen jaulte und heulte.
Carberry wetterte immer noch und verlor fast seine Pelzmütze. Philip junior hatte sich wieder von den Planken aufgerappelt und sah sich verwirrt um. Bill enterte in letzter Minute aus dem Hauptmars ab und klammerte sich wie die anderen Männer der Crew an den Tauen fest – dann übernahm der Sturm das Kommando.
Er jagte die „Isabella“ vor sich her, es ging ab nach Südosten, also auf Legerwall zu, und zwar mit atemberaubendem Tempo. Unterdessen war es beinah stockdunkel geworden, und die Wogen türmten sich immer höher auf. Blitze zuckten in weit verästelten, bizarren Mustern, Donner grollte über der rauschenden und gischtenden See, Eisregen begann in Sturzbächen niederzuprasseln.
Hasard war an die Querbalustrade des Quarterdecks gestürzt und schrie: „Shane, Ferris, Ed – zu mir! Wir bringen Schlepptrossen aus!“
Sofort enterten der graubärtige Riese, Ferris und der Profos das Quarterdeck. Ben, Pete und Nils Larsen packten ebenfalls mit zu, und die Trossen wurden achtern durchs Hennegat ausgebracht, so daß das Schiff sie in riesigen Buchten hinter sich herschleppte. So drosselten die Männer die Fahrt der „Isabella“, die geradewegs in die Hölle zu führen schien. Es war ein bewährtes Manöver, das sie auch früher bereits in ähnlichen Situationen praktiziert hatten – die einzige Möglichkeit, um das Schiff am Querschlagen zu hindern und vor dem Wind zu halten. Außerdem wurde die Fahrt vermindert.
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