Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-272-8
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Der Kutscher atmete ein paarmal tief und heftig durch, dann drang ein Fluch über seine Lippen. Eigentlich war das bei ihm schon etwas Besonderes, denn schließlich hatte er bei Sir Freemont in Plymouth gedient und sich gute Manieren beibringen lassen. Gewöhnlich benahm er sich weniger ungehobelt als die anderen Männer der Seewolf-Crew. Kurzum, es mußte schon ganz dick kommen, um ihn aus dem seelischen Gleichgewicht zu werfen und auf die Palme zu schicken. Heute war das der Fall. Sein Gemütszustand drohte aus der Balance zu geraten. Aber nicht, weil die „Isabella III.“ einen Sturm zu überstehen oder sich gegen eine Übermacht von spanischen Kriegsgaleonen zu behaupten hatte – nein, es ging ihm nur ganz entschieden gegen den Strich, was die Deckskameraden mit ihm vorhatten.
„Stell dich nicht an wie eine Jungfrau“, sagte Blacky. „Wir müssen dich über Bord schmeißen. Je weniger Aufstand du dabei machst, desto besser für dich.“ „Das ist ein dicker Hund“, protestierte der Kutscher. Seine Lippen preßte er zu einem Strich zusammen. Seine blauen Augen funkelten angriffslustig. „Warum immer ich? Ihr wißt genau, daß ich das Schwimmen immer noch nicht gelernt habe. Damals vor der Mocha-Insel mußte ich auch herhalten. Aber das war ja noch was anderes, das hab ich für Matt Davies und Pete Ballie getan. Aber jetzt schon wieder – nee, da müßt ihr euch einen anderen suchen.“
Er schob die Ärmel hoch, griff nach einem auf Deck liegenden Dweil und streckte ihn vor. Das Ding war zum Deckschrubben bereitgestellt worden, aber der Kutscher funktionierte es jetzt in eine Waffe um. Er war ein bißchen schmalbrüstig, aber doch zäh. Im Kampf stand er durchaus seinen Mann.
„Hör doch auf“, erwiderte Blacky. Er stand zwei Schritte vom Kutscher entfernt am Backbordschanzkleid. Neben ihm war Buck Buchanan, der mit zupacken sollte. Buck gehörte zu den ehemaligen Karibik-Piraten an Bord der „Isabella“. Von den Ereignissen auf der Mocha-Insel wußte er wenig. Damals waren er und seine Kameraden noch nicht bei der Seewolf-Mannschaft gewesen, und sie hatten nur ansatzweise in Erzählungen vernommen, auf was der Kutscher anspielte: Pete Ballie und Matt Davies waren seinerzeit von den Araukanern gefangengenommen worden. Ed Carberry und andere „Verschwörer“ hatten einen Unfall fungiert, damit sie einen Vorwand hatten, entgegen Francis Drakes Anweisungen, zur Insel zu gelangen, um Pete und Matt herauszuhauen. Der Kutscher war also mit einem Abfallkübel in die See gestürzt und dann von den Freunden „gerettet“ worden.
„Eben daher wissen wir ja, daß du deine Aufgaben immer gewissenhaft durchführst, selbst, wenn dir das Wasser bis zum Hals steht“, fuhr Blacky fort. Die Ironie in seiner Stimme war kaum zu überhören. An Bord der „Isabella“ herrschte nicht gerade Idealstimmung, und das verwandelte ihn in eine Art gereizten Stier. „Los, komm jetzt, sei kein Frosch.“
„Warum ausgerechnet ich?“ sagte der Kutscher starrsinnig.
Blacky schaute zur Großmarsstenge hoch, als stünde dort eine präzise Antwort auf die Frage. Mit erzwungener Geduld entgegnete er: „Weil Hasard es so befohlen hat. Weil es so echt wie möglich aussehen soll. Weil man eine verlauste Landratte flinker aus dem Wasser zieht, wenn sie tatsächlich nicht schwimmen kann und jeden Augenblick abzusaufen droht.“
„Verlauste Landratte?“ Der Kutscher zeigte grimmig die Zähne. „Kommt her und holt euch ab, was der Nichtschwimmer euch um die Ohren zu hauen gedenkt.“ Wütend schwenkte er den Dweil hin und her. Die Lappen klatschten bedrohlich.
Buchanan grinste jetzt. „Hör auf, den wilden Mann zu spielen, Kutscher. Du weißt ganz genau, daß der Seewolf immer noch geladen ist und uns deshalb Feuer unterm Hintern macht. Wir tun gut daran, zu kuschen. Ich hab jedenfalls keine Lust, wegen Befehlsverweigerung an der Rahnock aufgebaumelt zu werden oder mir den Kopf abreißen zu lassen.“
„Ha!“ sagte der Kutscher. „Weil der Seewolf auf euch sauer ist, wollt ihr eure aufgestaute Wut jetzt an mir auslassen, wie? Das könnte euch so passen! Geschieht euch ganz recht, daß ihr wegen der Ausschreitungen in Culebra hart herangenommen werdet. Da lernt ihr, was es heißt, sich bei den Weibern zu verausgaben und den Mund zu voll zu nehmen.“
„Jetzt hört aber alles auf“, gab Blacky zurück. „Du verlauster Kombüsenhengst warst doch auch mit auf Landgang und hast eine dralle Hafenhure vernascht, oder? Also, was spuckst du so große Töne? Mitgefangen, mitgehangen. Stell den Dweil weg und ergib dich.“
„Nein. Ich habe in Culebra keinen Streit vom Zaun gebrochen.“
„Wir auch nicht.“
„Nein, aber ...“
„Laß Gordon Watts aus dem Spiel“, sagte Buchanan drohend. „Der liegt auf dem Grund der See und tut keiner Fliege mehr was. Was passiert ist, läßt sich nicht mehr rückgängig machen.“
Der Kutscher blickte verwirrt. Er begriff, daß er einen Schritt zu weit gegangen war. Natürlich wollte auch er einem Toten nichts Schlechtes nachreden, es tat ihm leid, daß er in seiner Empörung die falschen Worte gewählt hatte. Er stand noch unschlüssig mit dem erhobenen Dweil, da turnte Dan O’Flynn vom Quarterdeck, lief quer über die Kuhl und steuerte auf sie zu. Unter den Luvhauptwanten stoppte er. Der handige Nordostwind fuhr in seine blonden Haare und zerzauste sie. Grinsend hob er hoch, was er in den Händen hielt, zielte, rief: „Ho, Kutscher!“ und warf es dem Verdatterten zu.
Der Kutscher handelte instinktiv. Er ließ den Dweil los. Der fiel klappernd auf Deck. Unterdessen fing er Dans Geschoß auf und wog es verdutzt in den Händen. Es war ein Fender, ein dicker, mit Tauwerk bespannter Holzknüppel, der normalerweise zum Schutz der Schiffswand diente.
„Den umarmst du“, sagte Dan. „Holz schwimmt oben, deswegen sind unsere Schiffe auch aus Holz gebaut ...“
„Das weiß ich!“ rief der Kutscher. Er wollte wieder lautstarken Protest erheben, aber plötzlich ging alles sehr schnell. Blacky und Buck Buchanan hatten seine Unschlüssigkeit ausgenutzt und sich näher an ihn herangeschlichen. Jetzt packten sie zu. Der Kutscher schrie auf. Er wollte um sich schlagen, aber das ging nicht, weil die beiden ihn festhielten wie in einem Schraubstock. Er trat ihnen gegen die Schienbeine, aber das ignorierten sie. Flink trugen sie ihn bis ans Schanzkleid, hoben ihn hoch und verschafften ihm einen einmaligen Ausblick auf die tiefblaue Fläche des Stillen Ozeans.
Der Kutscher hielt sich mit den Beinen an einer Rüste fest, aber das nutzte ihm auch nicht mehr viel. Dan O’Flynn kitzelte ihm ein wenig die Füße. Der Kutscher brüllte auf. Er fühlte, wie Blacky und Buck ihn losließen, dann sauste er an den Berghölzern vorbei. Die Schiffswand war eine düstere, abweisende Mauer neben ihm, und er konnte nicht mehr tun, als verzweifelt seinen Fender zu umklammern.
Er klatschte mit dem Hintern zuunterst in die Fluten, tauchte unter, schoß prustend wieder hoch, schüttelte sich wie ein nasser Hund und hielt sich an dem Fender, seiner einzigen Rettung, fest. Damals, vor der Mocha-Insel, war es ein Holzkübel gewesen. Der Fender funktionierte nach dem gleichen Prinzip. Er verhinderte, daß der Kutscher jämmerlich absoff.
Der Kutscher sah, wie die „Isabella III.“ mit prallem Zeug davonzog. Bitterkeit packte ihn. Jemand johlte zum Beifall für seine Bravournummer – es war das dreiste Bürschchen Dan O’Flynn. Na warte, dachte der Kutscher, dich kriege ich noch!
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