An einem dieser Tage, Mitte April 1595, kehrte Achmed am Vormittag mit einem der Flöße zu dem Landeplatz im Norden der Insel zurück. Dieser Platz war eine winzige Bucht, die fast völlig von Mangroven, Zypressen und Lianen zugewuchert war und nur eine ganz schmale Einfahrt hatte. Spanisches Moos hing von den Baumästen hinunter und berührte am Ufer die Wasseroberfläche. Nur am Südufer war durch eine unerklärliche Laune der Natur ein Streifen Sand ausgespart geblieben. Dort lagen die Flöße, die die Kerle in langwieriger Arbeit zusammengezimmert hatten.
Oft liefen sie mit den Flößen aus, nur, um nach Schiffen Ausschau zu halten. Doch es zeigten sich keine Mastspitzen an der Kimm. In zehn Monaten war keine Galeone, keine Karavelle, nicht einmal eine lausige Schaluppe aufgetaucht. Es war ein desolater Zustand des Dahindämmerns. Man überlebte, aber man wußte nicht, warum man sich noch am Leben erhielt.
Achmed hatte mit simpelsten Mitteln einige recht große Fische gefangen: Zackenbarsche und Rotbarben, Umber und Zahnfische. Stolz paddelte er in die Bucht und zog das Floß neben die anderen auf den Sand. Doch nur ein Mann stand am Ufer, um ihn zu begrüßen: Ben Maruf.
„Hau ab!“ fuhr Achmed ihn an.
Ben Maruf kicherte und wedelte mit den Händen. Er stieß ein paar lallende Laute aus, dann kicherte er wieder. Dieses Kichern! Es konnte Stunden andauern. Der Kerl war darin unermüdlich wie ein kleines Kind, das immer wieder dieselben Worte brabbelt.
„Yalla-yalla“, sagte Ben Maruf. „Alla-alla-alla.“ Es folgte wieder das nervtötende Kichern. Er schien auf etwas zu deuten, das sich hinter Achmeds Rücken befand.
Aber Achmed dachte nicht daran, sich umzuschauen. Viel zu oft war er auf diesen dämlichen, idiotischen Trick hereingefallen.
„Ja, Allah“, sagte er. „Ich hoffe, Allah läßt dich in die Hölle abfahren. Verschwinde!“
Ben Maruf bewegte sich auf das Floß zu. Seine Gangart war grotesk und glich einer Art Torkeln. Jeden Moment schien er zusammenzubrechen, doch es geschah nie. Immer hielt er sich auf den Beinen, und alles in allem schien er über mehr Energien zu verfügen als alle zusammen, obgleich auch er zerlumpt, langhaarig und bärtig war.
Achmed stand noch neben dem Floß und duckte sich jetzt ein wenig. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse des Hasses.
„Du sollst abhauen, hab’ ich gesagt!“ schrie er den Verrückten an.
„Alla-alla“, sagte Ben Maruf grinsend. „Olla-olla.“
„Noch einen Schritt weiter, und ich hau’ dir den Schädel ein“, sagte Achmed, dann hob er eins der primitiven Paddel und schlug damit nach Ben Maruf.
Diese Sprache Verstand der Irre schon besser. Er wich zurück, hielt eine Hand vor den Mund und kicherte gedämpft.
Achmed wandte sich um und wollte seinen Fang von dem Floß aufnehmen, doch plötzlich hüpfte Ben Maruf hinter seinem Rücken herum. Wütend fuhr Achmed zu ihm herum und hieb mit der Faust nach ihm. „Kannst du nicht hören? Verschwinde, du Idiot!“
Ben Maruf hüpfte an Achmed vorbei und sprang auf das Floß. Es wackelte auf dem Sand, aber Ben Maruf lachte und schien sich prächtig zu amüsieren.
Achmed stand plötzlich wie vom Donner gerührt da. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Ben Maruf bückte sich, packte mit beiden Händen einen Zackenbarsch und warf ihn ins Wasser der Bucht. Der nächste folgte gleich darauf – und hoch einer.
„Fisch-fisch!“ rief Ben Maruf. Er wedelte mit den Händen und bückte sich nach dem vierten Fisch. „Olla-olla.“
Achmed hob den rechten Arm. Seine Augen waren in ungläubigem Entsetzen geweitet, sein Mund stand halb offen.
„He!“ brüllte er plötzlich. „Aufhören, verdammt!“ Und jetzt geriet wieder Bewegung in seine Gestalt. Er stürzte auf Ben Maruf zu und schrie: „Laß das sein, du räudiger Hund!“
Ben Maruf dachte jedoch nicht daran, mit seinem Treiben innezuhalten. Er hatte Gefallen daran gefunden, kicherte und stieß immer wieder sein „Alla-alla“ und „Fisch-fisch“ hervor. Er beförderte einen dicken Umber ins Wasser, dann einen Zahnfisch. Sein Kichern ging in ein glucksendes Gelächter über.
Mit einem gewaltigen Satz war Achmed am Floß und rammte Ben Maruf die Faust unters Kinn. Ben Maruf stieß einen grellen, kreischenden Laut aus, taumelte zurück und kippte ins Wasser. Achmed traf Anstalten, sich erneut auf den Verrückten zu stürzen.
In diesem Moment ertönte vom Ufer her eine grollende Stimme. „Was geht hier vor?“
Ben Maruf war untergegangen, tauchte aber wieder auf und spie einen Schwall Wasser in hohem Bogen aus. Er stand bis zum Bauch im Naß, klatschte in die Hände und stieß seine kichernden und glucksenden Laute aus. Er blickte zu dem Sprecher, und auch Achmed wandte den Kopf und sah zu dem Mann.
Es war Mustafa, der Riese.
„Was ist hier los, Achmed?“ rief er. „Kannst du mir das vielleicht mal erklären, du Sohn einer Natter?“
„Ja!“ stieß Achmed empört hervor. Er deutete auf die Reste seines Fanges. Nur zwei Fische lagen noch auf der Kante des Floßes, die anderen hatte Ben Maruf ins Wasser befördert. „Der blöde Hund schmeißt die Fische, die ich eben mühsam gefangen habe wieder rein!“ brüllte er.
„Und du hast ihn geschlagen?“ fragte Mustafa drohend.
„Nein, das habe ich nicht. Ich hab’ aber versucht, ihn an diesem Quatsch zu hindern, und da ist er vom Floß gekippt.“
„Und das soll ich dir glauben?“
„Es ist die Wahrheit“, erwiderte Achmed.
„Ben Maruf!“ rief Mustafa. „Hat er dir was getan?“
„Nein-nein-nein“, sagte Ben Maruf, kicherte dämlich und planschte im Wasser herum.
„Hol die Fische wieder heraus!“ stieß Mustafa zornig hervor. „Sofort!“ Er trat hart an den Rand des Ufers und stemmte die Fäuste in die Hüften.
Ben Maruf nickte unterwürfig. Er tauchte, schnellte wieder hoch und legte einen Zackenbarsch auf das Floß – sehr zum Erstaunen von Achmed, der nicht fassen konnte, daß der Irre die toten Tiere unter Wasser wiederfand. Eigentlich hätten sie längst von den Unterströmungen erfaßt und fortgetrieben sein müssen. Aber das Wunder geschah: Ben Maruf förderte den kompletten Fang zutage und packte ihn auf den Rand des Floßes.
Achmed beeilte sich, die Fische an Land zu schaffen. Ben Maruf war unberechenbar. Jeden Augenblick konnte er etwas Neues aushecken.
„Komm her“, sagte Mustafa zu dem Irren. Er wartete, bis dieser aus dem Wasser gestiegen war, dann hob er tadelnd den Finger. „Das war böse von dir, Ben Maruf. Mach so was nicht wieder. Wir haben sonst nicht genug zu essen.“
„Essen, essen“, sagte der Verrückte. Er nickte, rieb sich die Hände und kicherte, aber es war daraus nicht zu erkennen, ob er diese Worte wirklich verstanden hatte.
Achmed hatte die Fische mit dünnen, biegsamen Zweigen zu einem Bündel zusammengefügt. Er trat neben Mustafa und sagte: „Es will mir nicht in den Kopf, wo du die viele Geduld hernimmst.“
„Mit Ben Maruf habe ich eben Geduld“, sagte Mustafa. „Mit anderen Kerlen wie Mubarak und Selim weniger. Wenn ich sie zwischen die Finger kriege, kann ich für nichts garantieren. Los, gehen wir. Wir wollen die Fische gleich braten. Die Männer haben einen Bärenhunger.“
Sie schlugen sich in die Büsche und begaben sich auf den Weg zum Lager. Ben Maruf tänzelte hinter ihnen her und brabbelte seine unverständlichen Worte. Dann, als sie das Lager fast erreicht hatten, ertönte plötzlich wildes Geschrei.
„Das kommt vom Lager!“ stieß Mustafa hervor. „Schnell, beeilen wir uns! Zum Teufel, was ist da jetzt wieder los?“
Er begann zu laufen. Die Zweige und Blätter schlugen ihm gegen das Gesicht und gegen den Leib. Sie trafen auch Achmed, der geduckt hinter ihm hereilte, aber beide kümmerten sich nicht darum. Sie dachten das gleiche: Mubarak und seine Meute hatten das Lager überfallen! Dem Geschrei nach zu urteilen, war dort wirklich der Teufel los.
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