Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-716-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Hochstimmung herrschte an Bord der „Isabella IX.“, aber nicht nur deshalb, weil Rasmus es an diesem Tag, dem 27. März 1593, wieder gut mit den Seewölfen meinte. Es gab noch andere Gründe. Beispielsweise hatten Graf Hugo von Saxingen, der selbstherrliche Nachkomme eines der Ritter des ehemaligen Schwertordens „Brüder der Ritterschaft Christi in Livland“, sowie dessen Bruder Erich und dessen Freunde genau das empfangen, was sie verdient hatten – nämlich eine gewaltige Tracht Prügel. Weiter hatten die Seewölfe das Gut an der Bucht von Narwa „ein wenig aufgeklart“, so daß es in der Wohnhalle aussah, als habe dort eine Schlacht getobt.
Schließlich war die Flucht von dem Anwesen zurück zur Bucht gelungen, und Verfolger stellten sich, wie an diesem Vormittag die wiederholten Blicke der Männer zur östlichen Kimm ergaben, auch nicht ein.
Hugo von Saxingen hatte keine Schiffe. Er war ein geschlagener Mann und hatte einen Denkzettel erhalten, den er so schnell nicht wieder vergessen würde.
Der Hauptgrund für die Euphorie der Seewölfe aber, für ihr Grinsen und Schmunzeln und gänzlich verändertes Verhalten an Bord der „Isabella“ war die Anwesenheit des Freifräuleins Gisela von Lankwitz.
Ihr hatte der Kampf auf dem Gut der von Saxingens gegolten, denn sie war von Hasard, Carberry, Big Old Shane, Batuti, Smoky und acht anderen Seewölfen in einem Handstreich befreit worden. Das Unternehmen war geglückt: Die Freiin von Lankwitz konnte zurück zu ihrem Verlobten, Arne von Manteuffel, gebracht werden.
Hasard hoffte, ihn in Kolberg anzutreffen. Aus diesem Grund segelte die „Isabella“ mit westlichem Kurs bei südlichen Winden an der Küste von Estland entlang. Sie lief etwas mehr als viereinhalb Knoten Geschwindigkeit und stand jetzt, um zehn Uhr, ungefähr nördlich der Kunda-Bucht.
Ben Brighton hatte noch in der Nacht, nachdem sie in der Bucht von Narwa ankerauf gegangen und bei Winden aus Südwest zunächst von der Küste abgelaufen waren, seine Achterdeckskammer für die Freiin von Lankwitz geräumt und war in Carberrys Kammer umgezogen, die er mit ihm teilen würde, solange der Gast an Bord weilte.
Hasard stand seit sechs Uhr auf dem Achterdeck und hatte inzwischen dreimal Besteck genommen, die Positionen seines Schiffes auf der Karte eingetragen und den neuen Kurs genau festgelegt.
Als er jetzt wieder an der Querbalustrade über dem Quarterdeck verharrte und seinen Blick wandern ließ, dachte er noch einmal an den Grafen Hugo von Saxingen. Auch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nun, dachte er, der edle Hugo wird inzwischen wohl von dem Elchgeweih heruntergestiegen sein, an das ich ihn gehängt habe. Hoffentlich sinnt er über seine Sünden nach und bessert sich.
Ferris Tucker hantierte auf dem Quarterdeck an der achteren der beiden Grätings herum. Er hatte noch einen kleinen Schaden entdeckt, den der Sturm, der sie in die Narwa-Bucht gedrückt hatte, verursacht hatte. Mit dem ihm eigenen Eifer setzte er jede Kleinigkeit wieder instand und hielt überall Inspektion.
Aber noch etwas fiel dem Seewolf an ihm auf. Ferris trug ein frisches, blütenweißes Leinenhemd.
Der rothaarige Riese bemerkte den Blick seines Kapitäns, als er aufschaute, und wußte sofort, warum dieser einigermaßen erstaunt die Augenbrauen hob.
„Nun ja“, sagte Ferris und grinste. „Mein anderes Hemd war schmutzig. Es mußte dringend gewaschen werden. Da dachte ich, es ist wohl besser, wenn ich mein Sonntagshemd anziehe.“
„So? Heute ist aber nicht Sonntag. Außerdem hast du nur die beiden Hemden, wenn mich nicht alles täuscht, Mister Tucker.“
„Richtig. Das andere war aber wirklich schmutzig.“
„Das war mir gar nicht aufgefallen“, sagte Hasard. „Und wer wäscht es dir? Die Zwillinge?“
„Nein, die haben genug mit der Zubereitung des Frühstücks zu tun.“
„Frühstück?“ wiederholte der Seewolf verdutzt. „Wir haben doch schon um sieben Uhr gegessen. Werden neuerdings Zwischenmahlzeiten eingelegt? Was sind das für neue Sitten?“
Ferris hustete und fuhr sich mit der Hand über das Kinn, das er am frühen Morgen mit einem scharf geschliffenen Messer von Bartstoppeln befreit hatte. „Keine neuen Sitten. Es ist das Frühstück für das Freifräulein. Wir rechnen ja damit, daß sie bald aufsteht, und dann soll natürlich alles, äh, bestens organisiert sein. Schließlich ist sie so was wie ein Ehrengast, nicht?“
„Ja. Aber wer wäscht dir nun das Hemd?“
„Mac Pellew. Er kriegt dafür einen Silberling von mir. Außerdem hat er mir versprochen, daß er den Fleck aus meiner Sonntagshose rauskriegt, den ich neulich darin entdeckt habe.“
„Neulich?“
„Äh, heute morgen“, erwiderte Ferris. „Also, das ist so. Ich will die Hose nachher auch anziehen, weil sie am besten zu meinem Sonntagshemd paßt.“
Hasard lächelte mit einem Anflug von Spott. „Da lerne ich dich ja von einer ganz neuen Seite kennen, Mister Tucker. Sonst hast du nie großen Wert auf dein Äußeres gelegt, auch am Sonntag nicht. Nicht mal zu Ostern oder zu Weihnachten. Hast du dir vorgenommen, künftig wie ein zivilisierter Mensch auszusehen?“
„Richtig, Sir.“
„Ausgezeichnet. Aber wie ich die Dinge sehe, hat Mac Pellew noch mehr Hemden und Hosen zu waschen, oder?“
Ferris grinste schon wieder, diesmal aber ziemlich schief. „Und ob. Ich weiß gar nicht, wie er das alles schaffen will.“
Big Old Shane und die beiden O’Flynns waren auf dem Achterdeck nähergetreten, um den einzigartigen Dialog verfolgen zu können. Shane mußte unwillkürlich lachen.
„Ja“, sagte er. „Das ist wirklich erstaunlich. Bei der Crew scheint so etwas wie ein Reinlichkeitswahn ausgebrochen zu sein. Ich möchte mal wissen, was das zu bedeuten hat.“
Natürlich wußte er längst, was die Ursache für die eigenartigen Wandlungen an Bord war. Sie schlief nach wie vor fest in Ben Brightons Koje.
Hasard räusperte sich.
„Mac Pellew ist Koch und Feldscher“, sagte er vernehmlich. „So steht es in der Musterrolle. Als Wäscher habe ich ihn nicht bei uns anheuern lassen. Solche Arbeiten hat jeder Mann selbst zu erledigen, ganz gleich, ob er nun zum Achterdeck gehört oder vor dem Mast fährt. Für heute drücke ich noch mal beide Augen zu, aber ab morgen ändert sich das wieder, verstanden?“
„Aye, aye, Sir“, entgegnete der rothaarige Riese und warf Dan O’Flynn einen vernichtenden Blick zu, weil auch der zu grinsen begonnen hatte. Dann vollendete er sein Werk an der Gräting und rückte anschließend in Richtung Kombüse ab, um sich nach seinem Hemd und seiner Hose zu erkundigen.
Auf dem Hauptdeck stand Carberry und rief: „Wascht euch gefälligst auch die Haare, ihr Prielwürmer, damit alle Läuse abmustern! Was soll die Lady sonst von euch denken?“
„Du hast gut reden“, brummte Smoky und blickte bedeutungsvoll auf die Glatze, die der Profos sich hatte rasieren lassen müssen, als er die Wette gegen Luke Morgan verloren hatte. „Aber ich an deiner Stelle würde mir schleunigst wieder eine Pelzmütze besorgen und überstülpen. Sonst kriegt die arme Lady nämlich die Panik, wenn sie dich so sieht.“
„Heute nacht hat sie mich auch gesehen.“
„Aber da war es dunkel“, erklärte Smoky.
Carberrys Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Aber nicht in der Burg dieses Affenarsches Graf Hugo. Da hat sie mich in meiner vollen Pracht und Größe gesehen, die Lady.“
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